# taz.de -- Andrea Nahles hört auf: „Machen Sie’s gut!“ | |
> Nach Jahrzehnten löst sich Andrea Nahles nun endgültig von der SPD. Damit | |
> endet nicht nur ihre Karriere – sondern auch eine politische Ära. | |
Bild: Andrea Nahles teilte in ihrer Partei aus, musste aber als Frau noch härt… | |
BERLIN taz | Andrea Nahles hat im Grunde schon Anfang Juni Adieu gesagt. Am | |
2. Juni hatte sie erklärt, sowohl den SPD-Parteivorsitz als auch den | |
Fraktionsvorsitz niederlegen zu wollen. Ebenso, dass sie ihr | |
Bundestagsmandat zurückgeben werde. Nun aber ist es amtlich: Andrea Nahles | |
hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble darüber informiert, dass sie zum | |
1. November aus dem Parlament ausscheiden wird. | |
Damit endet eine politische Ära, eine bemerkenswerte Karriere und ihr – | |
misslungener – Versuch, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands mit dem | |
vollen Gewicht der eigenen Persönlichkeit [1][vor dem Niedergang zu | |
retten]. | |
Dass sich also Andrea Nahles im Herbst 2019 aus dem politischen Geschäft | |
zurückzieht, mag in turbulenten großkoalitionären Zeiten wie diesen wie | |
eine weitere Meldung unter vielen wirken. Bei der Union fand gerade ein | |
intrigant inszenierter Deutschlandtag der Jungen Union statt, auf dem junge | |
Männer einen alten Lobbyisten wie Friedrich Merz gegen die gewählte | |
Parteivorsitzende in Stellung gebracht haben. | |
Und die SPD tingelte seit Wochen mit einer rollenden KandidatInnen-Roadshow | |
mit zahllosen Namen, Gesichtern, Geschichten durch die Lande. Dass sich | |
eine der prominentesten SPD-Politikerinnen, die sich Jahrzehnte krumm | |
gemacht hat für ihre Partei, pünktlich am ersten Tag der Urabstimmung aus | |
dem Parlament abmeldet, mag da kaum noch auffallen. | |
## 13 Vorsitzende seit 1990 | |
Gleichwohl ist die Rückzugsmeldung der 49 Jahre alten Andrea Maria Nahles | |
mehr als ein Vollzug. Sie ist eine Respektsbezeugung gegenüber der Basis | |
und eine erfrischend deutliche „Macht doch euren Scheiß alleine“-Message an | |
die Funktionärsebene. | |
Denn wer immer als neue Doppelspitze ins Berliner Willy-Brandt-Haus | |
einziehen mag – dass er und sie überhaupt die Möglichkeit dazu haben, liegt | |
unter anderem daran, dass Nahles sich zurückzieht. Und das wiederum ist | |
nicht nur, aber auch die unmittelbare Folge des mehr als handfesten Umgangs | |
der SozialdemokratInnen untereinander. | |
Sage und schreibe 13 Vorsitzende hatte die Partei seit 1990, und da sind | |
die kommissarischen Vorsitzenden noch nicht mitgezählt. Diese beachtliche | |
Zahl lässt zweierlei Schlüsse zu. Erstens: Bei der SPD wird jedeR | |
Vorsitzende alsbald verschlissen. Weil es, zweitens, in dieser Partei einen | |
geradezu verdächtig wirkenden Wunsch nach starker Führung bei | |
gleichzeitiger permanenter Infragestellung eben dieser gewählten Person | |
gibt. | |
Am Ende, daran sei hier noch einmal erinnert, hat Nahles die Verantwortung | |
übernommen für das miserable Abschneiden ihrer Partei bei der Europawahl: | |
Gerade einmal 15,8 Prozent der Wählerschaft waren im Mai noch bereit, der | |
einst stolzen Sozialdemokratie ihre Stimme zu geben. Kaum war das Desaster | |
amtlich, hatte Nahles angekündigt, die Neuwahl zum Fraktionsvorsitz im | |
Bundestag vorzuziehen. | |
Am Ende dauerte es dann aber nur noch wenige Tage bis zum Rückzug, auch vom | |
Parteivorsitz. Zu unverhohlen waren zuvor die Rücktrittsforderungen gegen | |
sie durchgestochen worden – als sei in diesen Zeiten SPD-Vorsitzende zu | |
sein vergnügungsteuerpflichtig und jedeR halbwegs begabte Genossin | |
mindestens ebenso geeignet. | |
Schon klar, Andrea Nahles hat immer kräftig ausgeteilt, hart ausgeteilt. | |
Sie ist die „Bätschi!“-Frau, die „In die Fresse“-Politikerin, die | |
schambefreit singende Fraktionsvorsitzende. Schwer erträglich, ja. Und hart | |
vor allem zu sich selbst. Aber ihre eigene Partei war eben immer noch ein | |
bisschen härter – am härtesten zu den Frauen in ihren Reihen. [2][Und | |
beinhart zu ihrer ersten Frau an der Spitze]. | |
Nahles ist seit 1988 Parteimitglied. Die SPD war in diesen drei Jahrzehnten | |
alles, was sie hatte und kannte. Sie war Juso-Chefin, Abgeordnete, | |
Generalsekretärin, Bundesministerin, Fraktions- und Parteivorsitzende. Sie | |
war laut und ja, sie hat auch Fehler gemacht. Aber immer musste sie sich | |
gegen die Männer in der SPD erwehren. Sie ist burschikos, clever und schwer | |
abzuschätzen, schon deshalb taugte sie nicht als Adresse für das gute alte | |
Mansplaining. | |
Als sie 2013 SPD-Generalsekretärin und damit Wahlkampfmanagerin war, hielt | |
es der damalige Kanzlerkandidat Peer Steinbrück für eine gute Idee zu | |
erklären, ohne Andrea Nahles wäre sein Leben einfacher. Und die Abneigung | |
zwischen dem damaligen Vorsitzenden Sigmar Gabriel und Nahles war | |
Pausengespräch im Willy-Brandt-Haus. | |
Als sie als Arbeits- und Sozialministerin ein Gesetzesprojekt nach dem | |
anderen durchsetzte, lobte sie niemand. Aber als Nahles ab 2017 Fraktions- | |
und später 2018 Parteivorsitzende wurde, durfte sie sich immer wieder | |
schlaue Kommentare vom dauerbeleidigten Ex-Vizekanzler Gabriel anhören. | |
## Ein mieser Laden | |
Als Andrea Nahles am 3. Juni vom Partei- und Fraktionsvorstand | |
zurückgetreten war, verließ sie noch vor der angesetzten Pressekonferenz | |
mutterseelenallein die Parteizentrale. | |
Architektonisch ist das Gebäude an einen Tanker angelehnt. In den | |
zurückliegenden Jahren war es zum Schlachtschiff mutiert, das in schwerer | |
See vor allem die eigenen Truppen aufgerieben hatte. Nahles trug damals | |
dunklen Anzug, weißes Shirt und war noch von ihren engsten Mitarbeiterinnen | |
bis zur Drehtür begleitet worden, vor der die Kameras und Mikrofone | |
standen. | |
Die letzten Meter musste sie allein zurücklegen. Ihr Mund lächelte, als sie | |
sagte: „Ich habe mich gerade eben im Parteivorstand verabschiedet, ich bin | |
zurückgetreten. Und ich wollte mich auch bei Ihnen persönlich | |
verabschieden. Dankeschön, machen Sie’s gut.“ | |
Man sah das und dachte: Was für ein mieser Laden das ist. Keiner aus dem | |
Vorstand hatte es für nötig gehalten, die eigene Genossin, die sich | |
jahrelang für die Partei aufgeopfert hatte, zu begleiten, ihr ein Stück | |
Würde zu bewahren, Solidarität zu zeigen. Solidarität, das ist doch eines | |
dieser Schlagworte, auf das diese alte Partei sonst immer so stolz ist. | |
„Bleibt beieinander und haltet zusammen“, hatte Andrea Nahles nach 31 | |
Jahren SPD-Mitgliedschaft an ihre GenossInnen geschrieben. Prompt fand sich | |
einer, der das Gegenteil beweisen wollte: „Die SPD braucht eine | |
Entgiftung“, kommentierte Sigmar Gabriel den Rücktritt seiner eigenen | |
Vorsitzenden. Der ehemalige Vizekanzler hatte da schon nichts mehr zu | |
gewinnen – bei und in seiner Partei. Irgendwie folgerichtig, dass Sigmar | |
Gabriel am selben Tag wie Andrea Nahles sein Bundestagsmandat abgeben wird. | |
14 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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