# taz.de -- Bericht des Weltklimarats IPCC: Klimawende kann gelingen | |
> Der Weltklimarat warnt vor dem Pfad zu 3 Grad Erwärmung. Die Zahlen | |
> rechtfertigen Wut. Es gibt aber auch Erfolge und mögliche Lösungen. | |
Bild: Eine gute Entwicklung ist auch das weltweit wachsende Bewusstsein für me… | |
BERLIN taz | Der oberste Diplomat der Welt ließ alle diplomatische | |
Höflichkeit vermissen: Der Bericht des UN-Klimarats IPCC sei „deprimierend“ | |
und „eine Schande“, erklärte UN-Generalsekretär António Guterres bei der | |
Veröffentlichung [1][des umfangreichen Reports am Beginn der vergangenen | |
Woche]. Vor den drohenden Hitzewellen, Stürmen und Wasserknappheiten | |
verschlössen Unternehmen und Regierungen nicht nur die Augen, sondern | |
„gießen auch noch Öl ins Feuer“, indem sie weiter Kohle, Gas und Öl | |
verbrennen. „Sie sagen das eine und tun das andere“, wetterte der UN-Chef | |
in New York mit Blick auf die Klimaversprechen der Länder, „einfach | |
ausgedrückt: Sie lügen.“ | |
Tatsächlich rechtfertigen die vorgelegten Zahlen jeden Wutausbruch. Die | |
[2][Arbeitsgruppe III des IPCC, die sich mit den Maßnahmen zum Klimaschutz | |
befasst, hat in ihrem Bericht] klargemacht, dass die Welt derzeit immer | |
tiefer in die Klimakrise steuert: Trotz aller Versprechen und trotz des | |
Pariser Klimaabkommens von 2015 liegt der jährliche Ausstoß | |
klimaschädlicher Treibhausgase mit umgerechnet derzeit etwa 59 Milliarden | |
Tonnen CO2 so hoch wie noch nie. | |
In der letzten Dekade gab es die größte je gemessene Zunahme an Emissionen, | |
sie liegen nun 54 Prozent höher als noch 1990. Was an Kohlendioxid mit viel | |
Mühe und Technik eingespart wird, geht durch immer mehr Produzieren und | |
Konsumieren wieder verloren. Das Emissionsbudget für 1,5 Grad ist bereits | |
zu 80 Prozent aufgebraucht. Die Emissionspfade, die sich aus den | |
Klimaversprechen der Länder ergeben, „werden wahrscheinlich 1,5 Grad | |
während des 21. Jahrhunderts überschreiten“, fassen die | |
WissenschaftlerInnen den Stand des Wissens zusammen. Die Welt ist derzeit | |
auf dem Weg zu einer Erwärmung von 3,2 Grad bis 2100. | |
Und trotzdem: Wer den Bericht genau liest, findet auch Hinweise darauf, | |
dass die Klimawende gelingen kann. Es sind ein paar Hoffnungszeichen, | |
vergraben in den 63 Seiten der Zusammenfassung, neutralisiert durch | |
nüchterne Schachtelsätze der Wissenschaft. | |
## Ein paar Hoffnungszeichen | |
Große Hoffnung macht den AutorInnen etwa der ungeahnte Aufstieg der | |
erneuerbaren Energien: Zwischen 2010 und 2019 sind die Preise pro Einheit | |
massiv gefallen, für Strom aus Wind (minus 55 Prozent), Sonne (minus 85 | |
Prozent) und Lithium-Ionen-Batterien (minus 85 Prozent). Solarenergie wird | |
zehnmal mehr installiert als vor einem Jahrzehnt, elektrische Autos | |
hundertmal mehr verkauft. „Die Entwicklung war viel schneller, als selbst | |
die optimistischsten Modelle vorhergesagt haben“, sagt Jan Minx, Leiter der | |
Arbeitsgruppe „Angewandte Nachhaltigkeitsforschung“ am Thinktank MCC Berlin | |
und einer der Hauptautoren des Berichts. | |
Erneuerbare sind deshalb in vielen Weltgegenden die günstigste Energie, | |
wenn neu geplant und gebaut wird, findet der Bericht. Damit können jährlich | |
über 5 Milliarden Tonnen CO2 vermieden werden, wenn einfach die billigste | |
Lösung gesucht wird: Strom aus Wind und Sonne, durch effiziente Autos, | |
Lampen, Schifffahrtsrouten oder Abfallsysteme. | |
Dann bemerkt der Bericht, dass gute Klimapolitik durchaus wirken kann: Es | |
gebe immer mehr Gesetze, Verordnungen und Regeln zum Klimaschutz, die | |
Emissionen senkten. 2016 etwa wurden demnach schon gegenüber einer Welt | |
ohne Regulierung knapp 6 Milliarden Tonnen CO2 vermieden. Und immerhin: 18 | |
Staaten der Welt – unter ihnen viele Industrieländer – „haben langfristig | |
absolute Emissionsreduzierungen über mindestens ein Jahrzehnt seit 2005 | |
geschafft“, bilanziert der Bericht. | |
Zwischenfazit: Die Anstrengungen reichen bei Weitem nicht aus. Aber | |
manchmal geht es durchaus voran. Ebenso, wie sich im letzten Jahrzehnt der | |
globale Anstieg der Emissionen deutlich verlangsamt hat. | |
Nächster Hoffnungsschimmer im Bericht: Die Preise für Klimaschmutz steigen | |
– und das Potenzial, mit CO2-Preisen die Emissionen zu drücken, ist riesig. | |
Schon mit einem weltweiten Preis von 20 Dollar pro Tonne CO2 (derzeit liegt | |
der Preis im EU-Emissionshandel bei knapp 90 Dollar) ließe sich etwa ein | |
Viertel der globalen Emissionen verhindern. Ein CO2-Preis von 100 Dollar | |
weltweit könnte die Hälfte aller CO2-Emissionen vermeiden. Allerdings | |
unterliegen bislang erst 20 Prozent aller Treibhausgase einem solchen | |
Preis. Lohnen würde er sich auch ökonomisch, so der Bericht: Studien | |
zeigten, dass es billiger sei, in saubere Technik zu investieren, als | |
später die Schäden des Klimawandels zu begleichen. | |
Zum ersten Mal kalkuliert der IPCC-Bericht auch, welche Entlastung | |
veränderte Lebensstile für das Klima brächten. Resultat: Die Folgen können | |
riesig sein: weniger Fleischkonsum, anderer Städtebau, mehr Radfahren und | |
Busse und Bahnen statt Autoverkehr, Energiesparen, weniger | |
Lebensmittelverschwendung oder Reparaturen bei Konsumgütern: All diese | |
Maßnahmen auf der „Nachfrageseite“ könnten „die globalen | |
Treibhausgasemissionen in den Sektoren des Endverbrauchs um 40 bis 70 | |
Prozent im Jahr 2050 reduzieren“. | |
Auch andere Potenziale sind gewaltig: Die unterirdische Speicherung von CO2 | |
(CCS) mag umstritten sein und [3][wurde im Bericht zum Ärger von | |
Umweltschützern auch als Überlebensstrategie für fossile Rohstoffe | |
geadelt.] Aber die Debatte über nötige Speicherung für unvermeidbare | |
Emissionen etwa aus der Industrie ist eröffnet – und zumindest stehen im | |
Zweifel ausreichende geologische Speicher für 1.000 Milliarden Tonnen | |
bereit. Insgesamt 4 bis 7 Milliarden Tonnen Reduktion könnten bessere | |
Forst- und Landwirtschaft bringen, heißt es, und zwar zum Preis von weniger | |
als 20 Dollar pro Tonne. Überhaupt brächten viele dieser | |
Einsparmöglichkeiten Gewinne, etwa bei besserer Luft in Städten, wenn die | |
Kohleverbrennung zurückgeht. Viele solcher Ideen seien „technisch machbar, | |
werden zunehmend kosteneffizient und werden im Allgemeinen von der | |
Öffentlichkeit unterstützt“, heißt es. | |
Das ist kein Wunder, wenn man eine der großen Grafiken des Berichts | |
betrachtet: Da listen die ForscherInnen auf, welche Klimamaßnahmen | |
gleichzeitig die 17 „nachhaltigen Entwicklungsziele“ (SDG) der UN (etwa | |
Gesundheit, Bildung, Ernährung, sichere Städte, Geschlechtergerechtigkeit) | |
voranbringen, auf die sich die UN-Staaten 2015 geeinigt haben. Fazit: Fast | |
alle Maßnahmen zum Klimaschutz zahlen auf die SDG ein, besonders etwa | |
bessere Stadtplanung, Elektrifizierung, Wind- und Solarenergie. „Wenn wir | |
es schaffen, auf einen nachhaltigen Pfad zu kommen, ist eine große Dynamik | |
möglich“, sagt IPCC-Autor Jan Minx. „Aber es ist wichtig, diese Trendwende | |
in den nächsten fünf bis zehn Jahren zu schaffen.“ | |
Dafür hilft auch der klare Blick auf die fossilen Realitäten, die der | |
Bericht liefert: Wenn die existierenden und heute geplanten Kohle-, Öl- und | |
Gasprojekte ihre Lebensdauer erreichen, sprengt allein das schon das Budget | |
für 1,5 Grad. Diese Infrastruktur „außer Betrieb zu nehmen, sie mit CCS | |
auszustatten oder auf andere Brennstoffe umzurüsten und neue Kohleprojekte | |
zu streichen“, seien Optionen, um auf den Klimaschutz-Pfad zu kommen. | |
Das bedeutet einen schnellen weltweiten Kohleausstieg. Das ist nicht | |
einfach und billig schon gar nicht: Den Klimawandel auf 2 Grad zu begrenzen | |
„lässt eine beträchtliche Summe von fossilen Treibstoffen unverbrannt und | |
könnte [4][die beträchtliche Infrastruktur der Fossilen stranden lassen]“. | |
Und der Bericht heftet auch ein Preisschild an diese Werte: 1 bis 4 | |
Billionen Dollar zwischen 2015 und 2050. Das sind die Umsätze, die ein | |
dringend nötiger Ausstieg aus den Fossilen verhindern würde. Das aber müsse | |
sein, so UN-Generalsekretär Guterres. Denn: „In neue fossile Infrastruktur | |
zu investieren ist moralischer und ökonomischer Wahnsinn.“ | |
11 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Stand-der-Klimaforschung/!5843281 | |
[2] https://www.ipcc.ch/report/sixth-assessment-report-working-group-3/ | |
[3] https://www.climatechangenews.com/2022/04/04/saudi-arabia-dilutes-fossil-fu… | |
[4] /Erweiterung-des-Kohle-Tagebaus/!5841536 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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