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# taz.de -- Nachhaltige Energie: Die coolere Kohle
> Pflanzenkohle hat als Klimaretterin großes Potenzial. Die Technik ist
> einfach, skalierbar und sofort einsetzbar. Steht sie vor dem Durchbruch?
Bild: Sieht aus wie uncoole Kohle, ist aber coole Kohle: Pflanzenkohle
Kohle ist als Klimakiller verschrien. Braunkohle etwa stößt beim Verbrennen
fast das Dreifache ihres Gewichts an CO2 aus. Doch es gibt eine spezielle
Kohle, die ein potenzieller Klimaretter sein könnte: Pflanzenkohle. Pro
Kilo erspart sie der Atmosphäre etwa drei Kilogramm Treibhausgas. Manche
nennen sie deshalb auch Klimakohle oder „coole Kohle“.
Dazu muss man wissen: Pflanzen spalten bei der Photosynthese das CO2 in
Sauerstoff und Kohlenstoff, Letzteren brauchen sie für den Aufbau ihrer
Blätter, Zweige und Wurzeln. Bei ihrem Absterben setzen sie den
aufgenommenen Kohlenstoff vollumfänglich wieder als CO2 frei. Das ist Teil
des natürlichen Kohlenstoffkreislaufs des Planeten. Nun aber gibt es
aufgrund menschlicher Aktivitäten zu viel CO2 in der Luft, das man
reduzieren kann, wenn man Pflanzenabfällen den Kohlenstoff entzieht und
sicher speichert. Wohlgemerkt: Abfällen, also etwa Grünschnitt, Küchen-,
Garten- und Ernteresten oder Schilf, denn es wäre kontraproduktiv, dafür
etwa intakte Wälder abzuholzen.
Das Abfallpotenzial ist dabei riesig. Allein in Deutschland bleiben
jährlich mindestens 14 Millionen Tonnen Biomasse ungenutzt. Sie verrotten
oder werden verbrannt, beides lässt Treibhausgase aufsteigen. Bei einem
flächendeckenden Einsatz von Pflanzenkohle würde zwar [1][laut einer
Studie] eines Teams um den Klimaforscher Wolfgang Lucht irgendwann die
Biomasse knapp, aber das sei noch lange nicht der Fall.
Mittels sogenannter Pyrolyse können solche Abfälle in Pflanzenkohle
umgewandelt werden. Menschen praktizieren diese Verschwelung unter
Sauerstoffabschluss seit Jahrtausenden in Meilern genannten Öfen, um
Holzkohle herzustellen. Anders als frühere Meiler arbeiten moderne
Pyrolyseanlagen sicher, sauber und klimaneutral. Kontrollierte Prozesse bei
über 450 Grad Celsius verhindern, dass polyzyklische aromatische
Kohlenstoffe – das sind krebserregende flüchtige Verbindungen – zum Problem
werden. Und die Energie dafür stammt aus dem Prozess selbst, aus den
freiwerdenden Biogasen und -ölen. Ein Teil davon befeuert die Anlagen, ein
anderer kann für die Erzeugung von klimaneutralem Strom und Wärme genutzt
werden. Übrig bleibt extrem stabiler Kohlenstoff: die Pflanzenkohle.
Damit schafft man sogenannte Kohlenstoffsenken. Anders als erneuerbare
Energien, die lediglich Emissionen reduzieren, können solche Senken der
Atmosphäre dauerhaft Kohlenstoff entziehen. Bis zum Jahr 2100 müssen laut
UN-Klimarat rund 800 bis 1.000 Gigatonnen CO2 der Atmosphäre entzogen
werden, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Doch die direkte CO2-Abscheidung
aus der Luft ist ebenso teuer und unausgereift wie die Verbrennung von
Biomasse oder die CO2-bindende Verwitterung auf Vulkangestein. Sofort
einsetzbar, beliebig skalierbar und ökologisch unschädlich sind nur
Wiederaufforstung, Humusaufbau – und eben Pflanzenkohle. Und anders als
Atommüll oder CO2-Abscheidungen aus Kraftwerken ist Pflanzenkohle kein
schädlicher Reststoff, den man teuer entsorgen muss. Im Gegenteil: Das
Material ist sehr vielseitig verwendbar.
Wenn man es im Boden verbuddelt, bringt man den Kohlenstoff dorthin zurück,
wo er einst herkam. Kohle, Öl und Gas stammen ja aus unterirdisch
zusammengedrückten Pflanzenmassen. Und Humus, der wichtigste Garant für
Bodenfruchtbarkeit, besteht aus abgestorbenen Lebewesen und damit aus 58
Prozent Kohlenstoff. Doch seit Erfindung der industriellen Landwirtschaft
sind 25 bis 75 Prozent des natürlichen Bodenkohlenstoffs in die Atmosphäre
entwichen, [2][schätzt der US-amerikanische „Bodenpapst“ Rattan Lal].
Tiefes Pflügen, Chemiedünger, Pestizide und Monokulturen bewirken, dass der
Boden an innerem Zusammenhalt verliert und Leben unter der Erde abstirbt.
So wird massenhaft Kohlenstoff freigesetzt, der an der Luft zu CO2
oxidiert.
Noch im 19. Jahrhundert war ein Humusgehalt von 5 bis 10, manchmal sogar 20
Prozent normal. Heute ist das die große Ausnahme. Die meisten Äcker
enthalten nur noch 1 bis 2 Prozent Humus, mit abnehmender Tendenz. Eine
Weile kann man diese schwindende Bodenfruchtbarkeit zwar mit Chemiedünger
„verdecken“. Aber Stickstoffdünger sind Klimakiller, weil sie bei der
Herstellung extrem viel fossile Energie verbrauchen, Lachgas freisetzen und
als Nitrat Wasser und Ozeane belasten.
Zu viel Kohlenstoff in der Atmosphäre, zu wenig in den Böden: beides
Riesenprobleme, die Pflanzenkohle lösen kann. Sie baut Dauerhumus auf,
macht Böden fruchtbarer, speichert Wasser und Nährstoffe und erhöht damit
Ernten. Das entdeckte auch Hans-Peter Schmidt im Schweizer Kanton Wallis:
Pflanzenkohle, die beim Kompostieren mit Nährstoffen aufgeladen wurde, tat
seinem Weinberg gut. Er gründete das darauf spezialisierte Ithaka-Institut
und Tochterinstitute in den USA, Deutschland, Nepal und Ghana. Schmidt
beteiligte sich an wissenschaftlichen Studien, die teilweise in Berichte
des UN-Klimarats einflossen. Er [3][wertete 26 Metastudien aus], in denen
die Erkenntnisse von rund 1.500 Einzelstudien seit 2015 zusammengefasst
wurden. Ergebnis: Pflanzenkohle führt im Schnitt zu 20 Prozent größeren
Ernten, gesteigertem Bodenleben, mehr Wasserhaltefähigkeit und Humus – und
ist damit wirksamer als jede „grüne Revolution“.
Einige vor 2015 veröffentlichte Studien waren zu anderen Schlüssen
gekommen. Schmidt erklärt das damit, dass Pflanzenkohle früher direkt in
den Boden gebracht worden war, ohne vorherige biologische Aufladung bei der
Fermentierung und Kompostierung: „Aber sie ist ja kein Dünger, sondern mit
ihren vielen Poren ein gigantischer Speicher für Nährstoffe und Wasser.
Wenn sie unaufgeladen aufs Feld kommt, entzieht sie Ackerpflanzen
Nährstoffe, statt sie unterirdisch zu ernähren.“
In Nepal konnte sein Institut in Feldversuchen eine [4][Ertragssteigerung
von 100, in Einzelfällen sogar bis zu 400 Prozent beobachten]. In
Bangladesch stellte er 70 Prozent mehr Ernten fest, in Kuba 37 Prozent. Für
Kleinbäuer:innen im globalen Süden sind das – auch ganz ohne
Klimawirkung – starke Argumente.
Trotzdem kommt Pflanzenkohle in der hiesigen Landwirtschaft noch kaum zum
Einsatz. Sie ist zu teuer. Es sei denn, man nutzt sie in der Kaskade,
[5][so wie Sepp Braun aus Freising] bei München. Der Biolandwirt erntet
Holz auf seinem Ackerbaumstreifen und befeuert mit den Holzhackschnitzeln
eine Pyrolyseanlage, die sein Haus heizt und Pflanzenkohle herstellt. Diese
verfüttert er an seine Milchkühe, weil das nachweislich die Tiergesundheit
verbessert. Die Kühe übernehmen im Stall netterweise die Fermentation,
indem sie auf ihren Fladen herumtrampeln. Das Ganze wird kompostiert und
kommt nach einigen Monaten auf die Äcker. Auf Brauns 54 Hektar tummeln sich
hochgerechnet 25 Millionen Regenwürmer, der Humusgehalt ist auf rund 5
Prozent gestiegen.
Solche Kaskaden wären auf vielen deutschen Höfen machbar. Für
Agroforstsysteme gibt es zwar noch keine EU-Subventionen, aber das soll
sich laut einem Bundestagsbeschluss [6][Anfang 2023 ändern]. Und die
EU-Kommission hat Anfang 2021 Pflanzenkohle als Bodenzuschlag zugelassen.
So kann es sich für Bio- und konventionelle Landwirte schon jetzt lohnen,
Stoffkreisläufe zu schließen und Klimaschutz zu betreiben.
Steht die Klimakohle nun vor dem Durchbruch? Die Bundesanstalt für
Landwirtschaft und Ernährung, die dem Bundesagrarministerium untersteht,
[7][empfiehlt sie auf ihrer Website] für Klima und Boden. „Pflanzenkohle
goes Mainstream“ verhieß eine Tagung [8][des Fachverbands Pflanzenkohle] im
November 2021. Hans-Peter Schmidt vom Ithaka-Institut und Harald Bier vom
European Biochar Industry Consortium beobachten derzeit einen regelrechten
Ansturm von Unternehmen und Organisationen, die sich mittels
CO2-Zertifikaten klimaneutral stellen wollen. Daniel Kray, der als
Professor in der Hochschule Offenburg die Parallelen zwischen Erneuerbaren
Energien und Pflanzenkohle erforscht, spricht gar vom „exponentiellen
Wachstum“ der Sparte. Auch Saskia Kühnhold-Pospischil vom
Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme sagt: „Jedes Stadtwerk kann
Grünschnitt oder Klärschlamm pyrolysieren und durch Pflanzenkohle sinnvolle
Kohlenstoffsenken schaffen, denn Pyrolyse ist technisch ausgereift und in
ihren Anwendungen vielfältig. Die drastische Reduktion von Treibhausgasen
ist dennoch unumgänglich. Kohlenstoffsenken ergänzen diese Maßnahmen nur.“
Es besteht allerdings eine reale Gefahr, dass sich Unternehmen mit dem
gerade entstehenden EU-Handel mit CO2-Zertifikaten grünwaschen oder gar
betrügen. Ein Bündnis von WWF und anderen Umweltorganisationen wendet sich
deshalb [9][gegen die Hereinnahme von Böden in den CO2-Handel].
Hauptargument: Bodenkohlenstoff ist technisch schwer zu erfassen und
schnell wieder abgebaut, wenn sich Anbauweisen ändern. Das Ithaka-Institut
und andere Pflanzenkohlenpioniere gehen hier [10][einen anderen Weg]. Ihr
[11][European Biochar Certificate] verleiht Kohlenstoffsenken – bisher
weltweit einmalig – nur dann ein Gütesiegel, wenn der darin enthaltene
Kohlenstoff auf Dauer bleibt. Anders als bei sonstigen Methoden steht bei
der Pflanzenkohle die Menge des eingesetzten Kohlenstoffs fest und kann den
Humus über Jahrhunderte stabilisieren.
Inzwischen sprießen national wie international zahlreiche neue
Pyrolyseprojekte aus dem Boden. Im schweizerischen Langenbruck [12][wird
Kaffeeabfall verkohlt] – die dortige Anlage soll bald in Serie gebaut und
an Kaffeebauern in Vietnam und Brasilien verkauft werden. In Stockholm
werden Straßenbäume [13][in belüftete Gruben mit Pflanzenkohle und
Schotterbruch gepflanzt] und damit widerstandsfähiger gegen Dürre und
Schadstoffe gemacht. Der Darmstädter Kommunalbetrieb EAD plant,
[14][jährlich 16.000 Tonnen Grünschnitt und Bioabfall zu verkohlen]. Gas
und Wärme ihrer Anlage sollen an Haushalte gehen, die Pflanzenkohle soll
nach dem „Stockholmer Modell“ Bäume sowie Gärtnereien beglücken.
Die städtischen Industriewerke Basel [15][betreiben seit Mai 2021] eine
wirtschaftlich arbeitende Pyrolyseanlage, die Klimakohle für Äcker und
Gärtnereien liefert und gleichzeitig rund 200 Haushalte mit Wärme versorgt;
ähnliche Anlagen sind schweizweit in Planung. In Berlin [16][erforscht(e)
ein Team der Freien Universität] im Botanischen Garten und [17][im
Tierpark] die Umwandlung von Pflanzenkohle, Bioabfall und Elefantenhaufen
nach Vorbild der Terra preta, einem besonders fruchtbaren Boden aus dem
Amazonasgebiet, und will nun den kommunalen Grünschnitt des Bezirks Pankow
pyrolysieren und auf Felder bringen.
Andere wollen Pflanzenkohle beim Bauen von Häusern und Straßen einsetzen.
Beton, einer der schlimmsten Klimakiller, könnte so klimafreundlicher
werden, hoffen etwa die Firmen Carbon Instead und CarStorCon. Made of Air,
ein weiteres Start-up, will Plastik ersetzen und stellt sogar
Öko-Friedhofsurnen daraus her. Die Schweizer Firma InfraTrace will Straßen
mit der Zugabe von 5 Prozent Pflanzenkohle im Asphalt haltbarer machen. Und
in Frauenfeld bei Zürich geht mit „Bioenergie Frauenfeld“ demnächst ein
Kraftwerk in Betrieb, das die Zukunft einer klimafreundlichen
Energieversorgung zeigt. Es liefert durch die Verkohlung von Waldrestholz
Strom für rund 8.000 Haushalte, speist Wärme in ein Fernwärmenetz und spart
bei alldem Treibhausgase ein, statt sie freizusetzen.
Durch die coole Kohle könnten also Städte und Straßen zu Kohlenstoffsenken
werden, Äcker und Gärten ebenso. So würden ganze klimafreundliche
Siedlungen und Landschaften entstehen.
19 Feb 2022
## LINKS
[1] https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/aabb0e/pdf
[2] https://www.osu.edu/features/2021/research-and-innovation/rattan-lal.html
[3] https://lnv-bw.de/wp-content/uploads/2021/08/Pflanzenkohle-in-der-LW_Ithaka…
[4] https://www.altaussee-wesentlich-gesund.at/terra-preta-schwarzerde-herstell…
[5] https://www.lebendigeerde.de/index.php?id=portrait_123
[6] /Reform-der-EU-Agrarsubventionen/!5822515
[7] https://news.ble.de/m/7759382/1014487-62c57692987362c3d55ec3499d879e47acd65…
[8] https://fachverbandpflanzenkohle.org/
[9] https://www.wwf.de/2021/dezember/keine-klima-tricks-mit-humus
[10] https://www.ithaka-journal.net/kohlenstoff-senken-furs-klima
[11] https://european-biochar.org/de
[12] https://www.eenews.ch/de/biomasse/article/32676/okozentrum-lost-mit-pflanz…
[13] https://stadtundgruen.de/artikel/strassenbaeume-als-komponente-der-ueberfl…
[14] https://ead.darmstadt.de/aktuelles/detail/spatenstich-fuer-neue-karbonisie…
[15] https://pyreg.com/de/
[16] https://www.fu-berlin.de/presse/informationen/fup/2015/fup_15_206-kooperat…
[17] http://carbotip.felix-vogel.com/projektziel/
## AUTOREN
Ute Scheub
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