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# taz.de -- Experte über Pflanzenkohle: „Beachtliches Klimapotenzial“
> Pflanzenkohle-Technologie kann laut dem Geoökologen Robert Wagner in
> Berlin Wärme und Strom liefern, Treibhausgase reduzieren und Böden
> verbessern.
Bild: Auch was beim Beschnitt von Straßenbäumen anfällt, lässt sich problem…
taz: Herr Wagner, Sie forschen zur Herstellung und zum [1][Klimapotenzial
von Pflanzenkohle] in Berlin. Was sind Ihre Ergebnisse?
Robert Wagner: Berlin hat riesige Mengen Biomasse, die man karbonisieren
könnte, um daraus Wärme, Strom und Pflanzenkohle zu gewinnen: Baum- und
Strauchschnitt sowie Laub aus der Grünanlagenpflege und Verkehrssicherung,
Weihnachtsbäume, Tiermist und Einstreumaterialien aus den zoologischen
Einrichtungen und Tierkliniken. Davon könnten jährlich mindestens rund
40.000 Tonnen in sechs bis acht dezentralen Pyrolyse-Anlagen karbonisiert
werden.
Was genau passiert da?
Das ist ein unter hohen Temperaturen ablaufender Verkohlungsprozess, der so
viel Wärme freisetzt, dass damit Gebäude geheizt werden können. Auch die
Erzeugung von Strom ist möglich. In Nahwärmenetzen könnten damit rund 6.000
Tonnen CO2-Äquivalente aus der Erdgasverbrennung eingespart werden.
Gleichzeitig könnten wir knapp 4.000 Tonnen Pflanzenkohle gewinnen, die
durch die langfristige Bindung des Kohlenstoffs 5.000 Tonnen CO2 einspart.
Verwendet zur Kompostierung werden mit 10 Prozent Pflanzenkohle noch einmal
20 bis 40 Prozent Treibhausgase vermieden. Alles in allem könnte man damit
rund 20.000 Tonnen Treibhausgase reduzieren. Das ist beachtlich.
Wo sollten diese Anlagen stehen?
Da, wo viel Biomasse anfällt und Wärme über Nahwärmenetze abgenommen werden
kann. Im Botanischen Garten, wo wir 2009 zu forschen begannen, steht ja
schon seit etlichen Jahren eine Anlage, inzwischen allerdings außer
Betrieb. Sie sollte erneuert werden. Eine andere wäre in Düppel sinnvoll,
wo die Tiermedizin der FU stationiert ist, und im Tierpark. An beiden
Standorten fällt viel Einstreumaterial an, was sich gut eignet für die
Pflanzenkohleherstellung. Weitere mögliche Standorte sind der Volkspark
Blankenfelde, das Krankenhaus Havelhöhe, der ehemalige Flughafen Tegel und
die BSR mit ihrer Laubverwertung.
Was sollte dann mit der Pflanzenkohle geschehen?
Sie kann bei Straßenbaumpflanzungen eingesetzt werden, zur Revitalisierung
von Wiesen oder zur Neuanlage von durchwurzelbaren Erdhorizonten nach
Baumaßnahmen. In Berlin haben wir dafür ein Potenzial von knapp 3.000
Hektar ermittelt, etwa in Parks und Grünflächen. [2][Pflanzenkohle steigert
die Wasserhaltefähigkeit der Böden] und ist ein [3][Beitrag zur
Schwammstadt].
Welche Einsatzmöglichkeiten gibt es noch?
Auf landwirtschaftlichen Flächen erhöht Pflanzenkohle in Verbindung mit
Kompost Ernteerträge und Bodenvitalität. Man kann sie auch auf die
kontaminierten ehemaligen Rieselfelder in und um Berlin bringen, um darauf
Energiepflanzen wachsen zu lassen, oder in Kleingärten, um Schadstoffe zu
binden. Nach dem Krieg wurde Bauschutt von Industriearealen einschließlich
Schadstoffen wie Blei und Cadmium großflächig verteilt, wo sich später
Kleingärten angesiedelt haben. Pflanzenkohle kann den Boden entgiften.
Wie können die Straßenbäume profitieren?
Pflanzenkohle in der Baumgrube kann die Resilienz der Bäume steigern, weil
die Kohle wurzelnah Nährstoffe und Wasser speichert. Wir haben vor etwa
einem Jahr in drei Zehlendorfer Straßen Jungbäume in rund ein Kubikmeter
kleine Gruben gepflanzt. Da sehen wir bereits positive Ergebnisse bei
Wachstum, Bodenfeuchte, Vitalität und der Reduktion von CO2 in der
Wurzelzone.
Ist das das sogenannte Stockholmer Modell?
Nein, in Stockholm bekommen neugepflanzte Bäume wesentlich größere Gruben.
Wir haben hier im Untergrund nur sehr begrenzt Platz. Aber in der Hagenauer
Straße in Pankow soll eine sogenannte Klimastraße entstehen, in der
Baumrigolen (ein unterirdischer Pufferspeicher, um eingeleitetes
Regenwasser aufzunehmen und zu versickern – Anm. d. Red.) nach diesem
Modell geplant sind.
CarbonThink ist Teil der Klimastrategie der Freien Universität, mit der sie
bis zum Jahr 2025 klimaneutral werden will. Kann Pflanzenkohle auch hier
helfen?
Sogar gleich mehrfach: Sie spart Treibhausgase und Erdgas ein, schafft
Kohlenstoffsenken, vitalisiert Boden und Pflanzen, speichert Wasser und
senkt zusätzlich Kosten durch verringerte Entsorgung und Energiebezug. Aber
bis 2025 – das wird schwer. Die FU könnte drei Pyrolyseanlagen bestellen,
aber die Nachfrage ist derzeit viel höher als das Angebot. Es dauert zwei
bis drei Jahre bis zur Lieferung. Da wären wir dann schon im Jahr 2026.
Warum sind Kohlenstoffsenken für die FU wichtig? Reicht es für die
Klimaneutralität nicht, den Ausstoß von Kohlendioxid zu beenden?
Diese Senken können mit dem CO2 verrechnet werden, das etwa weiterhin durch
Dienstreisen entsteht. Allerdings müssen Kohlenstoffsenken zertifiziert
werden – beispielsweise damit niemand einen aufgeforsteten Wald gleich
wieder abholzt. Die Firma Carbon Future hat eine Plattform entwickelt, über
die das abgewickelt wird. Über Anbieter wie Climate First oder Atmosfair
kann man so Flugreisen gegen Pflanzenkohle verrechnen.
Der Markt für Pyrolyse und Pflanzenkohle wächst derzeit exponentiell,
allein schon weil der CO2-Preis in der EU stark steigen wird. Dennoch ist
die Technologie immer noch weitgehend unbekannt, wie Professorin Claudia
Kammann jüngst auf einer Tagung der Freien Universität beklagte. Warum ist
das so?
Es stimmt: Unter Fachleuten ist Pflanzenkohle ein Hype, aber medial ist sie
absolut unterrepräsentiert. Die großtechnischen CO2-Abscheidungen wie etwa
CCS stehen weiterhin im Mittelpunkt der Berichterstattung. Vielleicht, weil
unsere Gesellschaft sehr technikzentriert ist.
19 May 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Ute Scheub
## TAGS
Kohle
Klimaneutralität
Boden
Schwerpunkt Klimawandel
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