# taz.de -- Die besonderen Potenziale von Terra Preta: Blühende Landschaften | |
> Die Indios nutzten schon vor 7.000 Jahren die Fruchtbarkeit von | |
> Schwarzerde. Terra Preta kann beim Kampf gegen Welthunger und Klimakrise | |
> helfen. Ein Besuch bei den Pionieren. | |
Bild: Schwarzerde wurde im Amazonasgebiet schon lange vor der Kolonialzeit eing… | |
Und plötzlich Schwärme von Schmetterlingen. Vor dem Hintergrund blauer | |
Viertausender flattert und flirrt es in allen Farben und Formen. Bläulinge, | |
weißbunte Schwalbenschwänze, Kleine Wiesenvögelchen und Scheckenfalter | |
lutschen an Luzernen, die neben Weinstöcken wuchern. | |
Nur wenige Schritte weiter, zwischen den konventionell bewirtschafteten | |
Reben des Nachbarn, wirkt alles steril - Monokultur im Schweizer Wallis. | |
Wie militärisch aufgereiht stehen: Reben, Reben, Reben. "Vor fünf Jahren, | |
als wir den Weinberg übernahmen, hatten wir auch fast toten Boden", lacht | |
Hans-Peter Schmidt, Leiter des Forschungsweinguts Mythopia. Hier darf sich | |
die Vielfalt der Natur frei entfalte(r)n - die Schmetterlinge sind | |
Indikatoren der Pflanzendiversität. | |
Mythopia, das ist ein Wortspiel aus Mythos und Utopie. Hans-Peter Schmidt, | |
studierter Philosoph, hager und braun gebrannt, liebt solche Anspielungen. | |
Ithaka, so hat er das von ihm betreute Internetjournal von Mythopia | |
genannt. Die meisten Bewohner von Odysseus Heimatinsel sind mangels | |
Lebensgrundlagen ausgewandert. | |
"Ithaka steht für die Sehnsucht der von der Landwirtschaft vertriebenen | |
Schmetterlinge, Bienen, Libellen, Gottesanbeter, in absehbarer Zukunft | |
wieder ihre angestammten Lebensräume in den Weinbergen, Wiesen und Feldern | |
zu bewohnen", heißt es auf [1][www.ithaka-journal.net]. | |
Auch der gebürtige Sachse Schmidt sieht sich im französischsprachigen | |
Wallis als Wanderer zwischen den Welten, als Vagabund, der sein Herz nicht | |
an Reichtümer hängt, sondern an die Natur. In Mythopia duftet es nach | |
Thymian und Salbei, Curry und Lavendel. Zwischen den Reben stehen | |
Wildkräuter, Rosen und Ringelblumen, alte Getreidesorten, Tomaten, Kürbisse | |
und Gemüse aller Art. | |
Obstbäume für Insekten und Menschen | |
Um Inseln für nützliche Insekten, Bakterien und Pilze zu schaffen, ließ | |
Schmidt mindestens alle 50 Meter einen Obstbaum pflanzen: Apfel, Quitte, | |
Pfirsich, Kirsche, Aprikose, Mandel oder Feige. Kästen mit Schlupflöchern | |
dienen als "Wildbienenhotels", auch Schlupfwespen wohnen hier und | |
verspeisen die Plage der benachbarten Monokultur. | |
Hier und da kleben Wissenschaftler wie große Insekten im Weinberg. Der | |
Biologe Claudio Niggli freut sich: Er hat insgesamt 47 tagaktive | |
Schmetterlingsarten und über 150 verschiedene Wildpflanzen gezählt. Die | |
rasant gestiegene Biodiversität ist indes nur eine der Besonderheiten der | |
Domaine de Mythopia, die andere ist das "Klimafarming" mit Terra Preta. | |
Auf 3.000 Quadratmetern findet hier der erste und bisher größte Feldversuch | |
in Europa statt. Der US-Bodenwissenschaftler Andrew Crane-Droesch von der | |
Universität Berkeley, der gerade die Wasserspeicherkapazität der Erde | |
misst, ist begeistert: Anders als auf den Nachbargrundstücken, wo in den | |
heißen Sommern des Wallis ständig Sprenkler laufen, muss in Mythopia kaum | |
gewässert werden, weil die Biokohle Feuchtigkeit speichert. Auch sind die | |
Weinstöcke auf der Schwarzerde größer und ertragreicher als vergleichbare | |
Bio- oder konventionelle Reben. | |
Humusaufbau durch Schwarzerde | |
Schwarzerde ist nicht nur gut für Schmetterlinge, sondern für alle | |
Lebewesen, weil sie Dauerhumus bildet. Derzeit wird durch Raubbau, | |
Klimakrise und Agroindustrie weltweit 6.000-mal so viel Humus ab- wie | |
aufgebaut. | |
Nach UN-Zahlen ist in den letzten 20 Jahren fast ein Viertel der globalen | |
Landfläche degradiert; rund 1,5 Milliarden Kleinbauern ernten immer | |
weniger, vor allem in Afrika. Humuswirtschaft mittels selbst erzeugter | |
Schwarzerde würde sie unabhängig machen von Kunstdünger und Agrokonzernen | |
und ihnen damit ein wirksames Mittel gegen den Hunger an die Hand geben. | |
Bruno Glaser von der Universität Bayreuth ist überzeugt, Terra Preta könne | |
"aus eigentlich unfruchtbaren Böden blühende Landschaften" machen. Auch | |
Haiko Pieplow vom Bundesumweltministerium sieht darin eine | |
"Jahrhundertinnovation". | |
Schmidt ließ sich vor fünf Jahren samt Familie auf der Domaine de Mythopia | |
nieder und produziert seither Bioweine für den Versandhandel Delinat. | |
Dessen Inhaber Karl Schefer hat eine Stiftung gegründet, die das seit Juni | |
2009 im Wallis ansässige Delinat-Institut für Ökologie und Klimafarming | |
finanziert. | |
Unter Schmidts Leitung betreiben zehn Mitarbeiter Feldforschung, arbeiten | |
über das Netzwerk Biokohle mit diversen Universitäten zusammen und | |
veröffentlichen alle Ergebnisse auf der Website | |
[2][www.delinat-institut.org]. | |
In diesem Jahr hat das Institut 500 Kleinbauern und Hobbygärtnerinnen | |
eingeladen, sich an Versuchen mit Biokohle zu beteiligen; auch deren | |
Ergebnisse werden ins Internet gestellt. "500 überzeugte Kleingärtner | |
erzählen das je 25 Leuten weiter, deshalb wird sich die Idee rasant | |
durchsetzen", glaubt Hans-Peter Schmidt. "Wir haben einen Traum, ein Ziel", | |
schreibt er im Ithaka-Journal. "Wenn es gelingt, werden bis 2020 - | |
zumindest in der Schweiz - die meisten Landwirte Klimafarming betreiben." | |
Seit zweieinhalb Jahren wird in Mythopia Schwarzerde in 25 Meter langen | |
Rotten auf einer Talwiese aus Kompost und Biokohle innerhalb von sechs | |
Wochen hergestellt. Die Kohle dafür liefert seit Anfang 2010 eine | |
"Pyreg"-Pyrolyseanlage von Swiss Biochar in Lausanne. Sie optimiert die | |
Klimafreundlichkeit der Biokohle, aber rein technisch ist sie nicht nötig. | |
In Mythopia geht es um die Freiheit aller Lebewesen. Unabhängig sollen auch | |
die 90 Suchtabhängigen werden, die weiter bergauf unter Anleitung des | |
Delinat-Instituts seit Anfang des Jahres Gemüse auf Terra-Preta-Böden | |
züchten. Ihr Leiter Philippe Mottet ist zuversichtlich, dass die | |
gärtnerischen Erfahrungen ihnen zur Gesundung verhelfen. Erste Erfolge | |
seien schon sichtbar, eine magersüchtige Frau etwa habe ihre Tochter wieder | |
annehmen können. | |
Revolutionäre in einem pfälzischen Weiler | |
Schmetterlinge sind freie Gesellen, sie wechseln oft den Ort, und wir | |
ziehen mit ihnen weiter. Dort, wo die westdeutsche Pfalz am ländlichsten | |
ist und am wenigsten Arbeit und Zukunftsperspektiven bietet, liegt inmitten | |
von weichen Hügeln der Weiler Hengstbacherhof. Auf den sieben Bauernhöfen | |
leben 30 Bewohner, es gibt Hühner, Enten und Gemüsebeete, ein Bauerncafé, | |
einen Teich und ein Indianerzeltdorf mit wehender schwarzer | |
St.-Pauli-Fahne. | |
Hier wohnt der quirlige Joachim Böttcher, gebürtiger Hesse, Antiatom- und | |
Startbahn-West-Kämpfer und nun Schwarzerde-Pionier. Der Oberrevolutionär | |
von 1848, Friedrich Hecker, habe sich in Hengstbacherhof versteckt, erzählt | |
er stolz, auch der Schinderhannes, der "Robin Hood vom Hunsrück", sei hier | |
gewesen. Das Bauerncafé trägt seinen Namen. | |
Das Gut ernährt seine Leute im Überfluss. Im Gemüsegarten, seit 2008 voller | |
Terra-Preta-Erde, "wächst alles viel zu schnell", sagt der gelernte Gärtner | |
Böttcher. Auch hier flattern Falter, mangels Luzernen aber nicht so viele | |
wie im Wallis. | |
Das Maggikraut ist 2,50 Meter in die Höhe geschossen, die Radieschen sind | |
groß wie Hühnereier, eine Kartoffelknolle brachte ein ganzes Kilo auf die | |
Waage. Auch im Sommer werden die Pflanzen nicht gegossen und wachsen | |
dennoch schneller als anderswo. "Damit ist die Welternährung gesichert", | |
lacht Joachim Böttcher ein jungenhaftes Lachen. | |
Schwarzerdeproduktion begann in einer Garage | |
In einem Schuppen begann er 2005 seine Experimente zur | |
Schwarzerdeproduktion. "Die Bill-Gates-Garage", sagt Böttcher | |
selbstbewusst. Schräg gegenüber leuchtet in der Sonne die nagelneue Anlage | |
für jährlich 500 Kubikmeter Terra Preta, die wie ein größeres Gewächshaus | |
aussieht. | |
Betreiber mit bislang fünf Beschäftigten ist die Palaterra | |
Vertriebsgesellschaft, die Böttcher zusammen mit der Wind-, Bio- und | |
Solarfirma Juwi gegründet hat. Auch in Hengstbacherhof stellt eine | |
"Pyreg"-Anlage Biokohle her; auf fünf Rotten wird aus Grünschnitt, | |
Biogasanlagen-Abfall, Mist und Chinaschilf in einem mehrwöchigen Prozess | |
Terra Preta. | |
Die Stoffströme der Anlage sind geschlossen: Gase werden wieder | |
eingeblasen, in einer Pflanzenkläranlage filtert Chinaschilf das Wasser, | |
die entstehende Überschusswärme geht in die Fußbodenheizung. Und wenn alles | |
gut läuft, werden 2011 im nahen Energiepark Morbach und im fernen Schanghai | |
größere Anlagen gebaut. Ein chinesischer Regierungsbeauftragter will | |
Palaterra die Generallizenz für China erteilen, auch etliche europäische | |
Länder sind interessiert. | |
Lange Jahre hat der umtriebige Böttcher vor allem Pflanzenkläranlagen und | |
Naturschwimmbäder gebaut, die Region ist voll davon. 2005 lernte er den | |
Bodenwissenschaftler Haiko Pieplow und den Mikrobiologen Alfons Krieger | |
kennen, gemeinsam tüftelten sie aus, wie die Indios wohl ihre Schwarzerde | |
hergestellt haben. | |
Uneinigkeit in der Szene über Patentantrag | |
Als Proben ergaben, dass die Terra Preta vom Amazonas und die vom | |
Hengstbacherhof weitgehend identisch sind, meldete Böttcher das Verfahren | |
als Patent an - "das ist schließlich auf meinem Mist gewachsen". Ein | |
Schritt, den andere Schwarzerde-Pioniere heftig kritisieren. "Das Patent | |
ist ein Verrat an der Idee", schimpft etwa Hans-Peter Schmidt. Kleingärtner | |
sollten machen, was sie wollen, von denen werde man keine Lizenzgebühren | |
eintreiben, verteidigt sich Joachim Böttcher. | |
"Aber bei Großanlagen wollen wir ein Wörtchen mitreden." Kommunen sollen | |
beim Stoffstrommanagement begleitet werden, und Böttcher will dafür sorgen, | |
dass das ganze Verfahren nicht durch Trittbrettfahrer oder Hygieneprobleme | |
in Verruf gebracht wird. Die Anerkennung durch das Europäische Patentamt | |
steht aber noch aus, und vielleicht kommt sie auch gar nicht, weil uralte | |
Kulturtechniken nicht patentierbar sind. | |
Bei einem anderen Thema sind sich Schmidt und Böttcher einig: Auch Biokohle | |
kann missbraucht werden. Im Rahmen des globalen Treibhausgashandels und der | |
derzeitigen massiven Landkäufe in Afrika sei es denkbar, dass Großkonzerne | |
Wälder abholzen und in Form von Holzkohle unter die Erde bringen, um auf | |
diese extrem fragwürdige Weise Kohlendioxid einzusparen. | |
"Biokohle muss immer in regionale Stoffströme eingebettet werden", fordert | |
Böttcher. Deshalb betreibt er zusammen mit den Bauernaktivisten Michael | |
Diestel und Christoph Fischer die Gründung einer Art Muttergenossenschaft, | |
die ein Gütesiegel für gutes Stoffstrommanagement entwickelt und | |
Terra-Preta-Genossenschaften bei der Gründung hilft. "Wir brauchen noch | |
Leute mit Ideen, auch die taz-Genossen sind herzlich zum Mitmachen | |
eingeladen", sagt er. | |
Noch in einem weiteren Punkt gleichen sich die Pioniere Schmidt und | |
Böttcher: Sie haben Ausstrahlung, sie haben Visionen, und sie wollen die | |
Unabhängigkeit von der Agroindustrie. Schmetterlings-Schmidt schwärmt von | |
Biodiversität, Chinaschilf-Böttcher von naturnahen Gewässern und | |
Waldstädten. Der Pfälzer hat die konservativen Landwirte von Rockenhausen | |
in einer Zukunftswerkstatt so sehr begeistert, dass deren Gesamtgemeinderat | |
vor etwa einem Jahr mit Zustimmung aller Fraktionen beschloss, bis 2020 | |
Nullemissionsort zu werden. | |
Die Anzeichen in der Region sind jetzt schon unübersehbar: Wind-, Solar- | |
und Pflanzenkläranlagen allüberall. In St. Alban steht ein "Sonnenpark", in | |
dem Ingenieur Klaus Becher raffiniert gebaute Biosolarhäuser ohne Heizung | |
verkauft. Auf dem Hügel nebenan betreibt Juwi neben einem Solarpark das | |
größte Binnenwindrad Europas. Und auf vielen Höfen glänzen Solardächer. Die | |
strukturschwache Region Pfalz ist drauf und dran, Avantgarde zu werden. | |
Mit Schmetterlingen im Bauch. | |
20 Nov 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.ithaka-journal.net | |
[2] http://www.delinat-institut.org | |
## AUTOREN | |
Ute Scheub | |
## TAGS | |
Kohle | |
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