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# taz.de -- Regionale Währungen: Das Geld im Dorf lassen
> Einkaufen mit Parallelgeld: Im österreichischen Langenegg bezahlt man
> neben Euro mit "Talenten". 150 neue Jobs sind in dem 1.100-Seelen-Ort
> entstanden.
Bild: Im Berchtesgadener Land kann man auch mit dem Sterntaler bezahlen.
LANGENEGG taz | Vor fast hundert Jahren lebte im österreichischen
Vorarlberg ein Bauer, dessen Äcker in der Mitte zwischen zwei Dörfern
lagen. Ständig gab es Streit zwischen den Leuten in Ober- und
Unterlangenegg. Das ging dem Bauern gehörig auf die Nerven - und weil er zu
Lebzeiten nichts daran ändern konnte, schrieb er in sein Testament: Wenn
sich die beiden Dörfer zusammenschließen, vermache ich meinen Grund der
Gemeinde Langenegg. Sollten sie getrennt bleiben, wird alles dem Nachbarort
übertragen. Da beschlossen die Ober- und Unterlangenegger, fortan
zusammenzuarbeiten, und bauten später ihr Rathaus in die Mitte.
Darin sitzt heute Bürgermeister Georg Moosbrugger, ein Mann ohne
Parteibuch, genau wie alle anderen Volksvertreter in der
1.100-Seelen-Gemeinde. "Uns beneiden viele darum, dass es bei uns keinen
Fraktionszwang gibt. Das ist wohl auch der Grund, warum vieles klappt",
mutmaßt der smarte 52-Jährige.
Manchmal kommen ganze Busladungen voll Lokalpolitiker in das Dorf etwa 20
Kilometer westlich vom Bodensee, um zu erfahren, wie die Gemeinde es
schafft, eine internationale Auszeichnung nach der nächsten abzuräumen.
Erst im September hat sie den europäischen Dorferneuerungspreis
eingeheimst.
Einen zentralen Anteil daran hat Langeneggs eigene Währung, die die
Gemeindevertreter vor zwei Jahren einstimmig eingeführt haben. Die
"Talente"-Scheine mit Fotomotiven aus dem Dorf können im Lebensmittelladen,
bei der Käserei, im Café, beim Tischler, dem Elektrotechniker, der
Kfz-Werkstatt oder beim Frisör eingelöst werden.
In der Raiffeisenbank verwandeln die Mitarbeiter jeden Monat jeweils 25 bis
300 Euros von Kundenkonten in das Regionalgeld. Die Gutscheine stecken sie
in Briefumschläge, die die inzwischen 68 Abonnenten im benachbarten
Postlädele abholen können. Über 10.000 Euro sind das inzwischen monatlich.
Wer mitmacht, bekommt beim Einkauf einen fünfprozentigen Rabatt, den die
Gemeinde aus ihrem Steuersäckel finanziert. "Es geht uns dabei vor allem um
Bewusstseinsarbeit: Die Leute sollen nachdenken, wo sie ihre Euros
hinrollen lassen", so Bürgermeister Georg Moosbrugger, ein ausgebildeter
Sonderpädagoge.
Der Dorfladen läuft gut dank Regiogeld
"Am Anfang gab es einen Aufschrei: Was, schon wieder eine neue Währung",
berichtet Banker Karl Herburger. Doch er nahm sich viel Zeit, um den Sinn
der Sache zu erklären. Schließlich gibt es in fast keinem Dorf von der
Größe Langeneggs noch einen Dorfladen.
Erst ab 3.000 bis 5.000 Einwohnern gilt ein Geschäft als rentabel, und auch
das nur, wenn der nächste Discounter weit genug weg ist. In Langenegg
dagegen verdienen beim Supermarkt "Adeg" immerhin neun Leute ihr Geld,
davon drei Azubis. Und auch das Geldhaus hat drei Angestellte.
"Wir als Bank leben vor allem vom Laden und umgekehrt. Wenn es den Laden
nicht gäbe, würden die Leute anderswohin fahren und unsere Dienstleistung
viel weniger in Anspruch nehmen", ist der Banker überzeugt. Insgesamt 150
Jobs hat Langenegg in den vergangenen Jahren durch eine gezielte Förderung
der regionalen Wirtschaftskreisläufe geschaffen, schätzt der Bürgermeister.
Neben der eigenen Währung haben dazu vor allem auch günstige Gewerbemieten
in den dorfeigenen Gebäuden beigetragen, die die Gemeinde auf den Feldern
des friedensstiftenden Bauern errichtet hat.
In einem davon hat Jutta Sutterlüti ihren Arbeitsplatz. Sie sitzt an der
Kasse des erstaunlich gut sortierten Supermarkts, der in einem schicken
Glas-Holz-Neubau untergebracht ist und viel Tageslicht hereinlässt. Bei
ihren Architekturentscheidungen spielte für die Volksvertreter nicht nur
die Ästhetik eine entscheidende Rolle, sondern sie verlangten auch eine
energiesparende Passivbauweise sowie die Verwendung von Holz aus der
Umgebung.
"Das alles hat nur 1,2 Prozent höhere Kosten verursacht", betont
Bürgermeister Moosbrugger. Auch den Verkehr zu reduzieren hat hohe
Priorität für die Langenegger Abgeordneten. Deshalb sind Bustickets hier
sehr billig, und Vereine, die für einen gemeinsamen Ausflug öffentliche
Verkehrsmittel nutzen, bekommen Zuschüsse - in Talenten selbstverständlich.
Auch das kleine Dienstauto des Bürgermeisters kann von jedem Einwohner
ausgeliehen werden.
Einen erheblichen Teil der täglichen Einkaufswege legen die Langenegger
dank des guten Angebots aber eh zu Fuß zurück. So wandern inzwischen
jährlich allein im Supermarkt Talente im Wert von etwa 150.000 Euro durch
die Hände von Jutta Sutterlüti und ihren Kolleginnen - mehr als zehn
Prozent des Gesamtumsatzes.
"Vor allem Mitte des Monats, wenn die Leute das Geld drüben abholen, ist es
hier voll", berichtet die junge Frau mit dem Kurzhaarschnitt und zeigt auf
ein Fach in ihrer Kassenlade, wo sie die Talent-Scheine farblich geordnet
einsortiert hat. Auf ungerade Beträge gibt sie Centmünzen heraus.
"Kompliziert ist das alles nicht."
130 Betriebe und 600 Familien machen mit
Die Geschäftsleute versuchen nun ihrerseits, Lieferanten oder Dienstleister
aus Vorarlberg zu finden, die Talente annehmen - denn als
Verrechnungseinheit eines Tauschrings existiert die Währung bundeslandweit
schon seit 1996.
Zunächst als erweiterte Nachbarschaftshilfe von drei Dutzend Menschen
konzipiert, ging es ursprünglich darum, Zeit zu tauschen: eine Stunde
Rasenmähen gegen eine Stunde Babysitten oder Waschmaschine reparieren. Doch
längst ist das System erweitert und zu einem bedeutenden regionalen
Wirtschaftsfaktor geworden: Neben 600 Familien nehmen daran auch 130
Betriebe teil. Angebot und Suchaufträge laufen über die monatliche
Mitgliedszeitung oder das Internet, auch die Konten werden online geführt.
Dabei gilt die Umrechnungseinheit: Eine Stunde sind 100 Talente, was etwa
8,70 Euro entspricht und auch in entsprechende Waren und Dienstleistungen
umgewandelt werden kann.
Allerdings haben nur Geschäftsleute die Möglichkeit, Talente zurück in Euro
zu verwandeln - und das kostet Gebühren. Lieber beziehen sie deshalb
möglichst viel Waren und Dienstleistungen, die es gegen Talente gibt, sei
es Mehl von einer beteiligten Kornmühle oder die Autoreparatur in
Langenegg. Privatleute wie der 72-jährige Dieter Feßler, der "Reparaturen
fast aller Art" anbietet, hat seine Talente gegen ein ÖPNV-Abo und die
Organisation einer Geburtstagsfeier eingetauscht.
"In der Wirtschaftskrise hat unser System deutlich profitiert", berichtet
Rolf Schilling, Vorstandsmitglied im Regiogeldverband und einer der
führenden Köpfe in der Vorarlberger Tauschszene, der größten in Europa. Als
die Banken auf dem Weltmarkt zu crashen drohten, sprang der Umsatz mit
Talenten um 40 Prozent nach oben. Auch Autos wechselten schon gegen Talente
den Besitzer, und ein erster Vermieter akzeptiert die Regionalwährung
ebenfalls.
Der Gesamtumsatz entspricht inzwischen 1,2 Millionen Euro - Tendenz rasant
steigend. Denn das System wird laufend erweitert. So will die Region Walgau
mit immerhin 50.000 Einwohnern zum Jahreswechsel ähnlich wie Langenegg
eigene Scheine einführen. Wer dort zum Beispiel eine öffentliche Parkanlage
pflegt, soll in Talenten entlohnt werden.
20 Nov 2010
## AUTOREN
Annette Jensen
Annette Jensen
## TAGS
Schweiz
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