# taz.de -- Beispielhafte Flüchtlingsaufnahme: Nordhorns Kraftakt | |
> Die kleine Stadt Nordhorn hat alles richtig gemacht. Sammelunterkünfte | |
> für Flüchtlinge gibt es hier nicht. Ein Ortsbesuch vor dem | |
> Flüchtlingsgipfel. | |
Bild: Sammelunterkunft in Hannover: In Nordhorn werden solche Einrichtungen bis… | |
NORDHORN taz | Alle Kommunen ächzen unter der Last der | |
Flüchtlingsunterbringung? Nun ja, nicht alle Kommunen, könnte man in | |
Anlehnung an Asterix sagen. „Wir haben zwischendurch sogar mal Flüchtlinge | |
angefordert“, sagt Frank Rawers vom Fachbereich Soziales in der Stadt | |
Nordhorn beiläufig. | |
Gekriegt hat er aber keine. In allen Kommunen in Niedersachsen kommen | |
derzeit nur noch vereinzelt Geflüchtete an, das Land hat seine Quote | |
übererfüllt, der Bund weist derzeit keine neuen Kontingente zu. Deshalb | |
häuften sich im Januar die Nachrichten über leer stehende Sammelunterkünfte | |
in verschiedenen Landkreisen und Gemeinden. Und die kommunalen | |
Spitzenverbände beklagen, dass man auf den Vorhaltungskosten sitzen bleibt. | |
Dieses ständige Auf und Ab ist nicht nur [1][logistisch die größte | |
Herausforderung für die Kommunen] – es ist auch den Bürger*innen nur | |
schwer vermittelbar. | |
Insofern ist die kleine Momentaufnahme aus Nordhorn vielleicht ein bisschen | |
unfair: Man hat hier mal gerade eine kleine Verschnaufpause und natürlich | |
ist auch hier die Unterbringung ein gewaltiger Kraftakt. Gleichzeitig hat | |
die kleine Stadt an der niederländischen Grenze mit ihren 56.600 | |
Einwohner*innen eben auch ganz viel richtig gemacht – und muss nun | |
hoffen, dass ihr die Zuweisungspolitik dabei kein Bein stellt. | |
Bisher ist es in Nordhorn gelungen, alle Geflüchtete dezentral, in privaten | |
Wohnungen unterzubringen, wie es unter anderem vom Flüchtlingsrat immer | |
gefordert wird. 854 Geflüchtete waren das bis jetzt, 1,5 Prozent der | |
Bevölkerung. | |
Und die leben wirklich über die ganze Stadt verteilt, wie Ulrich van der | |
Veen-Liese vom Hochbauamt stolz betont. Nicht alle im selben Viertel, nicht | |
alle Kinder an den gleichen Schulen. Das, sagt der Stadtbaurat Thimo | |
Weitemeier, sei eine der wichtigsten Lektionen aus 2015 und den Folgejahren | |
gewesen: Die Lasten auf möglichst viele Schultern zu verteilen – und zwar | |
sowohl in der Verwaltung, als auch in der Stadtgesellschaft. | |
Nordhorn hat aber eben bisher auch das Glück, genügend Wohnraum | |
mobilisieren zu können – das sieht in vielen Ballungszentren anders aus. | |
Noch immer melden sich Vermieter mit Wohnungsangeboten bei ihm, sagt van | |
der Veen-Liese. Da sind Unternehmer, die Gästewohnungen zur Verfügung | |
stellen, Privatleute, die die Einliegerwohnung, die sie für die erwachsenen | |
Kinder reserviert hatten, hergeben. | |
Die Stadt ist als Mieter beliebt und zwar nicht nur, weil sie solide zahlt, | |
sondern auch das eigene Hausmeisterteam losjagt, um die Wohnungen vor dem | |
Einzug und nach dem Auszug in Schuss zu bringen, herzurichten und zu | |
möblieren. | |
Das Hausmeisterteam haben sie extra aufgestockt, genauso wie das | |
stadteigene Team an Sozialarbeitern, mit Leuten, die Russisch, Arabisch und | |
Kurdisch sprechen. Man hat ja schließlich keine Zeit, wochenlang auf | |
Handwerker zu warten und braucht Menschen, die die Neuankömmlinge behutsam | |
durch den anfänglichen Behördenmarathon lotsen können. | |
## Sammelunterkünfte für alle die schlechteste Lösung | |
Dass die Hilfsbereitschaft in Nordhorn so hoch ist, erklärt sich | |
Bürgermeister Thomas Berling (SPD) auch damit, dass die Stadt eben schon | |
zahlreiche Zuwanderungswellen erlebt hat. „Das ging los mit dem Boom der | |
Textilindustrie in den 20er und 30er Jahren, der Arbeitskräfte von überall | |
her anlockte, dann kamen nach dem Krieg die Vertriebenen, später die | |
Gastarbeiter und immer so weiter“, sagt er. | |
Manchmal, sagt Stadtbaurat Weitemeier, hat man eben auch das Glück, dass | |
sich zwei Krisen überschneiden: Eher zufällig stieß die Stadt auf einen | |
Objekt mit Wohnungen, die eigentlich abgerissen werden sollten. Aufgrund | |
der Zinsentwicklung und der Unsicherheiten bei den Baukosten legte der | |
Projektentwickler das Neubauprojekt aber vorläufig auf Eis – und überließ | |
der Stadt die Wohnungen zur Zwischenmiete. Die schrieb daraufhin weitere | |
Projektentwickler in der Region an – und akquirierte so prompt weitere | |
Wohnungen. | |
Anfangs hatte der Landkreis die Kreissporthalle zur Sammelunterkunft | |
umfunktioniert und damit für den dringend nötigen zeitlichen Puffer | |
gesorgt. Mittlerweile hat die Stadt selbst eine Gewerbeimmobilie übernommen | |
und zur Sammelunterkunft umfunktioniert, die allerdings gerade leer steht. | |
Zwei bis drei Monate Vorlauf braucht man, um Privatwohnungen flottzumachen | |
und sinnvoll zu belegen, schätzen die Praktiker. Das ist schwierig, wenn | |
die Zuweisungen immer schubweise kommen und manchmal nur Tage zwischen dem | |
Bescheid und der Ankunft des nächsten vollbesetzten Busses liegen. | |
Gleichzeitig sind Sammelunterkünfte für alle Beteiligten die schlechteste | |
Lösung: Die Vorhaltung kostet mehr, weil man nicht nur das Gebäude selbst, | |
sondern auch die Verträge mit den Dienstleistern für Sicherheit, Küche und | |
soziale Betreuung bedienen muss. Die Geflüchteten leiden unter dem ewigen | |
Verschiebebahnhof, der mangelnden Privatsphäre, den Konflikten, die sich | |
unweigerlich auftun, wenn man einen Haufen – zum Teil traumatisierter – | |
Menschen zusammenpfercht. Und auch die unentbehrlichen ehrenamtlichen | |
Helfer*innen werden irgendwann überlastet. | |
„Wenn sie eine Familie in der Straße haben, die Hilfe braucht, finden sich | |
immer ein paar Nachbarn, die das tun. Wenn es drei, vier, fünf Familien | |
sind, wird es irgendwann schwierig“, heißt es im seit Langem SPD-regierten | |
Rathaus. Und eine gelingende Integration ist oberstes Ziel, schließlich | |
macht die Stadt das auch nicht vollkommen uneigennützig. „Wir haben hier | |
ständig Unternehmer aus allen möglichen Branchen sitzen, die den | |
Fachkräftemangel beklagen“, sagt Weitemeier. | |
Wie schnell die Stimmung zu kippen droht, haben sie allerdings auch schon | |
gemerkt. Als das Land Niedersachsen im Herbst höhere Zuweisungen | |
ankündigte, räumten sie hier hektisch Teile des Jugendzentrums leer. Das | |
kam in den lokalen Facebook-Gruppen nicht gut an. Als die Geflüchteten | |
ausblieben, machte die Stadt das schnell rückgängig. | |
Nun kommen schon seit drei Monaten kaum Geflüchtete an, aber jeder ahnt, | |
dass sich das bald wieder ändert. Wenn sich die Stadt vom [2][großen | |
Flüchtlingsgipfel im Hause der Bundesinnenministerin] etwas wünsche dürfte, | |
wäre es wohl das: mehr Vorlauf, mehr Planbarkeit, lieber einen stetigen | |
Zustrom an Neuankömmlingen als diese absurden Wellenbewegungen. Aber wie, | |
das weiß hier auch niemand genau. | |
16 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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