| # taz.de -- Behörden und Nazimorde: Der braune Faden | |
| > Bei rechtem Terror bleibt in der Öffentlichkeit das Bild vom Einzeltäter | |
| > dominant. Das zeigt auch der Fall des Neonazis Uwe Behrendt. | |
| Bild: Erlangen, Nordstadt, 20.Dezember 1980, vor dem Haus von Frida Poeschke | |
| Die gesellschaftliche Wahrnehmung von rechtem Terror versagt vor allem | |
| davor, Hintergründe und Netzwerke zu erkennen. So erscheinen Anschläge wie | |
| das Oktoberfestattentat, aber auch der Mord an Walter Lübcke als das Werk | |
| von Einzeltätern oder im Fall des NSU als Taten eines Trios. Das verhindert | |
| nicht nur, r[1][echten Terror als Kontinuität zu verstehen], auch geraten | |
| politische Bedingungen, Mittäter und sogar weitere Taten aus dem Blick. | |
| Beispielhaft für dieses Verhältnis ist der Rechtsterrorist Uwe Behrendt. | |
| [2][Der Neonazi Behrendt gilt als alleiniger Verantwortlicher für die Morde | |
| an dem jüdischen Verleger Shlomo Lewin und dessen Partnerin Frida Poeschke | |
| 1980 in Erlangen.] Er wurde nie zur Rechenschaft gezogen. Nach der Tat floh | |
| er in den Libanon, wo er sich später das Leben genommen haben soll. Weder | |
| ist allerdings seine Alleintäterschaft wahrscheinlich noch sind die | |
| Umstände seines Todes eindeutig. Dazukommen Hinweise, dass Behrendt weitere | |
| Morde begangen haben könnte. | |
| Auskunft über den Lebensweg Behrendts geben nicht nur die Prozessakten zu | |
| dem Mordfall Lewin/Poeschke oder zum Oktoberfestattentat. Auch in der | |
| Berliner Stasiunterlagenbehörde finden sich Berichte mit Bezug zu dem | |
| deutschen Rechtsterroristen. Nicht zuletzt haben teils jahrzehntelange | |
| Recherchen wie die des Journalisten Ulrich Chaussy Wesentliches | |
| zusammengetragen. | |
| Behrendt, der nach einem Fluchtversuch in der DDR inhaftiert war, wurde | |
| 1974 von der BRD freigekauft und fand schnell Anschluss an die rechte | |
| Szene. Kurz nachdem er sein Studium in Tübingen aufnahm, zog er aus dem | |
| Studierendenwohnheim aus und [3][bei der schlagenden Burschenschaft | |
| Arminia] ein, weil er seine Mitbewohner im Heim für zu links hielt. In | |
| dieser Zeit schloss er sich auch dem extrem rechten Hochschulring Tübinger | |
| Studenten (HTS) an, der im Dezember 1976 eine Veranstaltung über die | |
| „schwarz-kommunistische Aggression im südlichen Afrika“ organisierte. | |
| ## Söldner in Afrika | |
| Referent war Karl-Heinz Hoffmann, Führer der nach ihm benannten | |
| neonazistischen Wehrsportgruppe. Ebenfalls angereist war an diesem Tag ein | |
| junger Mann aus Donaueschingen, der vier Jahre später eine Bombe auf dem | |
| Münchener Oktoberfest deponieren sollte: Gundolf Köhler. Die Veranstaltung | |
| konnte nicht stattfinden. Stattdessen kam es zu schweren | |
| Auseinandersetzungen mit Linken, bei denen sich Behrendt auf Hoffmanns | |
| Seite beteiligte. | |
| Für diesen waren die südafrikanischen Länder nicht nur theoretischer | |
| Bezugspunkt. Zusammen mit dem HTS-Chef Heinzmann bemühte er sich darum, | |
| Söldner zur Unterstützung der Diktaturen in Südafrika, Rhodesien und Angola | |
| zu vermitteln. Auch Behrendt zog 1979 nach Südafrika und schrieb von dort | |
| seinem Onkel, er sei bei der südafrikanischen Armee. Möglicherweise erhielt | |
| er dort militärisches Training. Für deutsche Neonazis sind solche | |
| Söldnereinsätze nicht ungewöhnlich. Die Bundesregierung behauptete 2009 in | |
| ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen zur Wehrsportgruppe | |
| Hoffmann und dem Oktoberfestattentat allerdings, dass ihr keine | |
| Erkenntnisse dieser Art vorlägen. | |
| Nach seinem Aufenthalt in Südafrika zog Behrendt zu Hoffmann, zunächst nach | |
| Heroldsberg, später nach Ermreuth, und wurde bald zu dessen engstem | |
| Vertrauten. Auch nachdem die WSG in Deutschland verboten und mit | |
| Unterstützung der PLO in den Libanon verlegt wurde, übernahm Behrendt des | |
| Öfteren Stellvertreter-Aufgaben für Hoffmann. | |
| Im Dezember 1980 wurden Shlomo Lewin und Frida Poeschke in ihrem Erlanger | |
| Bungalow erschossen. Wie 30 Jahre später bei den Ermittlungen zum Tod der | |
| NSU-Opfer ging wertvolle Zeit verloren, weil die Polizei sich lange auf das | |
| persönliche Umfeld der Opfer konzentrierte. Medienberichte spekulierten | |
| ebenso ehrabschneidend wie haltlos über Vergangenheit und Lebensführung der | |
| Toten. Entsetzen über die rechten Morde gab es nur innerhalb der jüdischen | |
| Gemeinde, erinnerte sich der spätere Zentralratsvorsitzende Paul Spiegel, | |
| während der öffentliche Aufschrei ausblieb. Auch das ist eine Parallele | |
| nicht nur zu den NSU-Morden. Zur Kontinuität des Rechtsterrorismus gehört | |
| auch, dass viele Morde lange völlig falsch eingeordnet werden. Bei den | |
| Morden David Sonbolys im Münchener Olympia-Einkaufszentrum 2016 dauerte es | |
| Jahre, bis die Behörden einen rechten Hintergrund einräumten, beim | |
| Oktoberfestattentat sogar Jahrzehnte. | |
| ## Späte Ermittlungen | |
| Erst spät richteten sich die Mordermittlungen gegen die Wehrsportgruppe. | |
| Dabei wäre das im Wortsinne naheliegend gewesen. Tatort und Wohnsitz von | |
| Hoffmann, dessen Partnerin Franziska Birkmann und Behrendt trennten nur | |
| wenige Kilometer. Außerdem blieben am Tatort Reste eines selbst gebauten | |
| Schalldämpfers zurück, der in Bauart und Material einem Modell gleicht, das | |
| Hoffmann und Behrendt vor der Tat gemeinsam gebaut hatten. Auch eine Brille | |
| mit Herstellergravur wurde gefunden; wie sich später herausstellte, ein | |
| Geschenk der Firma an Birkmann. | |
| Erst 1984 begann der Prozess gegen Hoffmann und Birkmann. Doch nach 186 | |
| Verhandlungstagen wurden beide in allen die Morde betreffenden Punkten | |
| freigesprochen – trotz der Hinterlassenschaften am Tatort und trotz der | |
| Aussagen anderer WSG-Mitglieder, die angaben, Hoffmann hätte auch sie | |
| versucht für einen Mordauftrag an einem Juden zu rekrutieren. | |
| Hoffmann war es gelungen, Behrendt als Einzeltäter darzustellen, der allein | |
| für Entschluss, Vorbereitung und Durchführung der Morde verantwortlich | |
| gewesen sein soll. Dabei bot der WSG-Chef auch ein Motiv für Behrendts | |
| Entschluss an: In dessen Augen war Hoffmann das Opfer einer Kampagne des | |
| israelischen Geheimdienstes, der das Oktoberfestattentat geplant hatte, um | |
| Hoffmann als Schuldigen darzustellen und ihn damit unschädlich zu machen. | |
| Wahrscheinlicher ist jedoch, dass diese antisemitische Verschwörungstheorie | |
| Hoffmanns Fantasie entsprang. Das ehemalige WSG-Mitglied Arndt-Heinz Marx | |
| erinnert sich, dass ihm diese Theorie von Hoffmann im Libanon diktiert | |
| worden sei. | |
| Behrendt selbst stand nie vor Gericht. Unmittelbar nach der Tat floh er mit | |
| Hoffmanns Unterstützung in den Libanon. Dieser führte dort die WSG mit | |
| sadistischer Härte. Auf das WSG-Mitglied Kay-Uwe Bergmann hatten es | |
| Hoffmann und Behrendt besonders abgesehen. Er starb vermutlich im Februar | |
| 1981 an den Folgen der Folter. Seine Leiche wurde allerdings nie gefunden. | |
| ## Eine Brille | |
| Im Mai 1981, erinnert sich Ex-WSG-Mann Marx, sei Behrendt noch einmal nach | |
| Europa gereist, ausgestattet mit falschen Papieren und verändertem | |
| Aussehen. Nach seiner Rückkehr habe er berichtet, er habe einen weiteren | |
| Mord begangen. Kurz danach wurde er von Hoffmann zum Leutnant befördert. | |
| Währenddessen hatten sich die Mordermittlungen in Deutschland für Hoffmann | |
| bedrohlich entwickelt. Sein Wohnsitz wurde durchsucht, die am Tatort | |
| gefundene Brille wurde Birkmann zugeordnet und diese belastete ihn in einer | |
| Vernehmung. Erst dann begann Hoffmann, Behrendt als Einzeltäter | |
| darzustellen. | |
| Widersprechen konnte Behrendt nicht mehr. Im September 1981 soll er sich im | |
| Libanon das Leben genommen haben. Doch das ist nicht zweifelsfrei bewiesen. | |
| Erst 1984 reisten bayerische Beamte in den Libanon und exhumierten dort | |
| nach Hinweisen von WSG-Leuten die Leiche. Zweifelsfrei konnte die | |
| anschließende Obduktion feststellen, dass ein Schuss zum Tod geführt hatte. | |
| Ob dieser jedoch selbst beigebracht wurde, wie es Hoffmann und seine | |
| Anhänger behaupten oder ob Behrendt erschossen wurde, konnte nicht | |
| festgestellt werden. Diese Frage wird auch durch einen Vermerk aus den | |
| Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR brisant. Dort | |
| heißt es, Behrendt habe vor seinem Tod unter Hausarrest gestanden. Die | |
| Befehlsgewalt für so einen Arrest konnte nur Hoffmann haben. | |
| Je näher die Ereignisse, die nun 40 Jahre zurückliegen, heute betrachtet | |
| werden, umso mehr Fragen stellen sich, umso deutlicher wird, dass die | |
| Behörden es damals versäumt haben und heute versäumen, rechten Terror im | |
| Kontext zu begreifen und ihn effektiv zu bekämpfen. Das nämlich würde die | |
| unbequeme Erkenntnis zur Voraussetzung haben, dass rechter Terror die | |
| bundesdeutsche Geschichte durchzieht und dass dieser Terror viel mit der | |
| gesellschaftlichen Normalität, mit weit verbreitetem Rassismus und | |
| Antisemitismus zu tun hat. Weder werden die Netzwerke aufgeklärt noch | |
| werden die Verweise zu anderen Verbrechen geprüft. Was bleibt, ist eine | |
| Geschichte lauter rechter Einzeltäter. | |
| 23 Sep 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sebastian Wehrhahn | |
| Martina Renner | |
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