# taz.de -- 40 Jahre Münchner Oktoberfestattentat: Der erste rechte Einzeltät… | |
> Am 26. September jährt sich das Verbrechen. Der schwerste Terroranschlag | |
> in der Geschichte der Republik bleibt unaufgeklärt. | |
Bild: Das Fahndungsfoto des bayerischen LKA von 1980 zeigt eine Fotomontage des… | |
Schon 1982, als Generalbundesanwalt Rebmann die Ermittlungen zum ersten Mal | |
einstellte und Gundolf Köhler als frustrierten von Liebeskummer geplagten | |
Einzeltäter ohne politische Motive präsentierte, [1][stellten etliche | |
Unstimmigkeiten diese Entscheidung in Frage.] | |
Wie vorprogrammiert liefen die damaligen Ermittlungen auf die These des | |
unpolitischen Einzeltäters hinaus. Das machen auch die Vernehmungen der | |
Freunde Köhlers deutlich. Ausgedehnt fragten die Ermittler nach sexuellen | |
Vorlieben und romantischen Beziehungen. Fragen nach politischem Hintergrund | |
oder Kontakten zu rechten Gruppen wurden dagegen eher sporadisch gestellt | |
und kaum eingehender verfolgt. | |
Dabei war es trotz dieser tendenziös geführten Ermittlungen völlig | |
offensichtlich, dass Gundolf Köhler antisemitischen, | |
nationalsozialistischen und rassistischen Vorstellungen anhing und mit | |
diesen auch nicht hinter dem Berg hielt. Von einem Hitler-Bild über dem | |
Bett oder von Äußerungen gegen Juden ist in den Befragungen immer wieder | |
die Rede. | |
Über die Jahre traten vor allem dank des Opferanwalts Werner Dietrich und | |
des Journalisten Ulrich Chaussy immer mehr Widersprüche zutage, von denen | |
die verschwundene Hand wohl der prominenteste ist. Besagte Hand wurde nach | |
der Explosion am Tatort gefunden. Durch die Ermittler wurde sie damals wie | |
heute Gundolf Köhler zugerechnet. | |
## Verrat von Interna | |
Doch das kann nicht sein: Serologisch konnte sie dem Attentäter nicht | |
zugeordnet werden und im Gegensatz zum restlichen Körper Köhlers wurden an | |
der Hand auch keine Spuren des Bombenbestandteils Nitrocellulose gefunden. | |
Schließlich kam auch ein ehemaliger BKA-Sprengstoffexperte zu dem Schluss, | |
dass die kaum von Brandspuren versehrte Hand nicht von Köhler stammen kann, | |
weil dessen Hände und Unterarme durch die Wucht der Explosion vermutlich in | |
kleinste Teile zerrissen worden waren. | |
Heute ließe sich durch eine DNS-Untersuchung der Hand feststellen, ob diese | |
von Köhler stammte – doch sowohl Hand als auch das gerichtsmedizinische | |
Gutachten wurden im Zuge der Ermittlungen zum Verschwinden gebracht. | |
2014 schließlich gab die Bundesanwaltschaft dem Druck nach und nahm die | |
Ermittlungen zum Oktoberfestattentat wieder auf. Die Ergebnisse jedoch, mit | |
denen sie fünf Jahre später die erneute Einstellung bekannt gab, sind dünn. | |
Zwar verfehlten die strategisch kommunizierten Zahlen der vielen geführten | |
Befragungen und überprüften Spuren ihr Ziel nicht und fanden sich in nahezu | |
jedem Pressartikel wieder. Doch die Menge der einzelnen | |
Ermittlungsmaßnahmen kann nicht aufwiegen, was die Ermittlungen im Ganzen | |
versäumt haben. | |
So stellt sich die Frage, warum die Bundesanwaltschaft statt des | |
Bundeskriminalamtes das Bayerische LKA mit den Ermittlungen betraute und | |
damit genau die Institution, die die ursprünglichen Ermittlungen ohne | |
Erfolg geführt hatte. Eingedenk der naheliegenden Annahme, dass diese | |
Ermittlungen beispielsweise durch die Entwendung von Beweismitteln oder den | |
Verrat von Ermittlungsinterna empfindlich gestört und beeinflusst wurden, | |
erscheint diese Entscheidung schlicht falsch. | |
Damit verbunden ist ein zweites Versäumnis: Die wieder aufgenommenen | |
Ermittlungen hatten nicht die Fehler der ersten Sonderkommission als | |
eigenständiges Ermittlungsziel zum Gegenstand. Angesichts so wesentlicher | |
Fehler jedoch wie dem Verschwinden der Hand ist diese Auslassung | |
unverständlich. Aus welchen Motiven, mit welchen Auswirkungen, in welchem | |
Ausmaß und unter wessen Beteiligung die Ermittlungen in den 1980er Jahren | |
also sabotiert wurden, war niemals Gegenstand des wiederaufgenommenen | |
Verfahrens – eine weitere wissentlich vergeben Chance, die Hintergründe des | |
Anschlags aufzuklären. | |
## Spuren vernichtet | |
Auch mögliche Mittäter und Mitwisser Köhlers konnten die Ermittler*innen | |
nicht identifizieren. Die Männer in den grünen Parkas, die von | |
verschiedenen Zeugen unmittelbar vor der Explosion im Gespräch mit Köhler | |
und kurz danach auf der Flucht vom Tatort beobachtet wurden, bleiben | |
unbekannt ebenso die junge Frau, mit der andere Zeugen Köhler am Tatort | |
sahen. Ebenfalls geben die Spuren aus Köhlers Auto Rätsel auf: Wem gehörte | |
der grüne Parka, der im Auto gefunden wurde um zu wem gehörten die 48 | |
Zigarettenkippen unterschiedlicher Marken und mit unterschiedlichen | |
Speichelanhaftungen? Auch hier scheidet ein DNS-Vergleich aus, die Spuren | |
wurden vernichtet. | |
Die Pressemitteilung schließt mit der lapidaren Feststellung, „dass Fragen | |
offengeblieben sind sowie einzelne Sachverhalte nicht vollständig | |
festzustellen oder zu bewerten waren“. Diese offenen Fragen und das in | |
diesem Satz schlecht kaschierte Scheitern der obersten Ermittlungsbehörde, | |
sollten aber den Kern der Bewertung ausmachen, weil die offenen Fragen den | |
Kern des Gegenstands berühren. Wer waren die Männer, mit denen Köhler | |
unmittelbar vor der Explosion gesehen wurde? Wie wurde die Bombe gezündet, | |
wie gelangte Köhler an den Sprengstoff, wo und von wem wurde die Bombe | |
gebaut? Wem gehörte die am Tatort gefundene Hand und wer hat sie | |
verschwinden lassen? | |
Dass es kein Naturgesetz ist, dass Ermittlungen nach 40 Jahren ergebnislos | |
bleiben müssen zeigt ein Blick nach Italien. Noch in diesem Jahr wurde der | |
Rechtsterrorist Gilberto Cavallini für die logistische Unterstützung der | |
Attentäter des Anschlags auf den Bahnhof von Bologna [2][1980 zu | |
lebenslanger Haft verurteilt]. | |
Es grenzt an Unverschämtheit, 40 Jahre nach dem blutigen Attentat von | |
München im wiederholten Anlauf einerseits nichts zur Aufklärung beigetragen | |
zu haben und gleichzeitig die Banalität zu verkünden, dass die Tat | |
politisch motiviert gewesen sei. | |
## Der Einzeltäter | |
Die Einstellung der Ermittlungen ist ein Skandal. Sie verrät den Anspruch | |
von Hinterbliebenen, Verletzten und auch den der Toten auf Aufklärung der | |
Tat und Ermittlung der Schuldigen. Dieser Anspruch bleibt unabgegolten. Die | |
Einstellung ist auch darin folgenschwer, dass sie Geschichtsschreibung ist | |
und damit in Vergangenheit und Gegenwart gleichermaßen wirkt. Sie trägt zur | |
Konstruktion einer historischen Figur bei, die es nie gab und die bis heute | |
Schaden anrichtet: der rechte Einzeltäter. | |
Damit tut die Entscheidung dem historischen Gegenstand Unrecht, weil | |
gewichtige Umstände darauf verweisen, dass Köhler nicht alleine handelte. | |
Sie trägt damit auch dazu bei, dass gegenwärtiger und zukünftiger | |
Rechtsterrorismus nicht als das Werk von Netzwerken verstanden werden. So | |
bleiben Opfer ungesühnt und Täter unbekannt. | |
Das Attentat auf das Münchner Oktoberfest vom 26. September 1980 bleibt | |
unaufgeklärt und fordert uns heraus. Es gilt Bertolt Brechts Satz: „Es | |
setzt sich nur so viel Wahrheit durch, wie wir durchsetzen.“ | |
26 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Ulrich-Chaussy-ueber-Oktoberfestattentat/!5698681 | |
[2] https://bologna.repubblica.it/cronaca/2020/01/09/news/cavallini-245318634/ | |
## AUTOREN | |
Sebastian Wehrhahn | |
Martina Renner | |
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