| # taz.de -- Baupolitik in Berlin und Hamburg: Und die Mieten steigen doch | |
| > Mehr Wohnungen lösen das Problem teurer Mieten? Wie Hamburg zeigt, geht | |
| > die Rechnung nicht auf. Plädoyer gegen ein falsches Dogma. | |
| Bild: Wo Kräne in die Luft ragen, schießen die Mieten hinterher | |
| Als Rezept gegen die rasant steigenden Mieten gilt Neubau vielen als der | |
| Königsweg. Auf einem größeren Wohnungsmarkt, so die Annahme, können | |
| Vermieter:innen keine exorbitanten Mieten und Mieterhöhungen mehr | |
| durchsetzen, weil Mieter:innen dann eine Auswahl haben. Ganz so wie im | |
| Berlin der 1990er Jahre mit hohen Leerstandsquoten und spottbilligen | |
| Mieten. Und das alles ohne ein Übermaß staatlicher Reglementierungen, die | |
| eh kaum zu kontrollieren sind; vom Hauch des Staatssozialismus, der ihnen | |
| anhaftet ganz zu schweigen. Kein Wunder also, dass so viele an dieses | |
| Märchen glauben wollen. | |
| Mit ihrem [1][Versprechen, den Neubau anzukurbeln] hat Franziska Giffey die | |
| Wahl in Berlin für die SPD gewonnen. Als Vorbild galt ihr dabei das | |
| Hamburger Bündnis für das Wohnen, eingeführt vor einer Dekade unter dem | |
| damaligen Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), um in Kooperation mit der | |
| Wohnungswirtschaft jährliche Neubauzahlen von 10.000 Wohnungen zu | |
| erreichen. [2][Laut Giffey] sei es dort gelungen, „dass überall in der | |
| Stadt zügig, unkompliziert und vor allem für Mieterinnen und Mieter | |
| bezahlbar gebaut wird.“ | |
| Was sie nicht erwähnte: Nur knapp ein Drittel der Neubauwohnungen in | |
| Hamburg sind für die Mehrheit bezahlbar, weil öffentlich gefördert. Die | |
| anderen zwei Drittel umfassen den Neubau im freifinanzierten Sektor mit | |
| Mieten, die schnell 15 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter übersteigen, sowie | |
| neu gebaute Eigentumswohnungen. Zum Dank für ihre Bautätigkeit hilft die | |
| Stadt den privaten Investoren mit Grundstücken. Für Berlin will Giffey | |
| dasselbe. Ein [3][Bündnis mit der Wohnungswirtschaft ist im rot-grün-roten | |
| Koalitionsvertrag verankert]. Jeweils 20.000 Wohnungen sollen in den | |
| nächsten zehn Jahren errichtet werden. | |
| Schaut man auf die neuesten Entwicklung auf Hamburgs Mietmarkt, darf einem | |
| angesichts dieser Prioritäten getrost Angst und Bange werden. Der diese | |
| Woche [4][präsentierte Hamburger Mietspiegel] weist die höchste Steigerung | |
| seit 20 Jahren auf. Die durchschnittliche Nettokaltmiete ist innerhalb von | |
| nur zwei Jahren um 7,3 Prozent auf 9,29 Euro pro Quadratmeter gestiegen – | |
| in Berlin lag dieser Wert zuletzt bei vergleichsweise paradiesischen 6,79 | |
| Euro. Dabei hat die Hansestadt ihre Neubaupläne stets erfüllt, 2020 gar mit | |
| dem Rekordergebnis von mehr als 11.000 fertiggestellten Wohnungen. Von | |
| einer Entspannung des Mietmarkts dennoch keine Spur. | |
| Die hohen Mietsteigerungen im Durchschnitt führt Hamburgs | |
| Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) einerseits auf | |
| Modernisierungen, anderseits auf den besonderen Preisanstieg bei Neubauten | |
| zurück. Die frei finanzierten Neubauwohnungen, die in die Berechnung des | |
| Mietenspiegels einfließen haben sich um mehr als zwölf Prozent auf | |
| durchschnittlich 14,47 Euro/qm verteuert. Auf Mieten von früher | |
| fertiggestellten Wohnungen hat das zwar keinen direkten Preisdruck zur | |
| Folge, indirekt aber erhöht jede Luxuswohnung den Auswertungsdruck in der | |
| Nachbarschaft und nimmt Platz für den Wohnraum, der wirklich benötigt wird. | |
| ## Neubau allein reicht nicht | |
| Gebaut werden zu zwei Dritteln Wohnungen, die nicht benötigt werden und | |
| keinen dämpfenden Effekt auf die Mietenentwicklung haben. Auch die Idee | |
| sich mit bloßer Masse aus der Krise herauszubauen geht nicht auf. Trotz | |
| allem Neubau ist die Leerstandsquote in Hamburg seit Jahren unverändert | |
| niedrig – bei einem halben Prozent. Auch in Berlin gibt es mit einer Quote | |
| von 0,9 Prozent so gut wie keinen Leerstand mehr. Auch bei mehr | |
| Baufertigstellungen in den nächsten Jahren – ein Mietermarkt, wo das | |
| Angebot größer als die Nachfrage ist, bleibt eine Illusion. | |
| Die Profiteure des auf Quantität zielenden Dogmas bauen, bauen, bauen sind | |
| nicht die Mieter:innen. Lohnenswert ist das ganze dagegen für die | |
| Vermieter:innen, vor allem für die Privaten. Diese drücken sich überwiegend | |
| um den Neubau bezahlbarer Wohnungen und überlassen diese Aufgabe den | |
| öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften. | |
| Zwar gibt es bei größeren Projekten mit Bebauungsplan Quoten für | |
| Sozialwohnungen, ein Drittel in Hamburg, 30 Prozent in Berlin, doch reichen | |
| diese nicht aus. Noch immer fallen jährlich mehr ehemalige Sozialwohnungen | |
| aus der Bindung als neue entstehen. Zu einer notwendigen deutliche | |
| Steigerung der Quoten sind die Sozialdemokraten aber weder hier noch dort | |
| bereit – in der Annahme, dass dann niemand mehr bauen würde. Oder: weil man | |
| es sich mit den Freunden aus der Branche verscherzen würde. | |
| Bleibt als letzte Möglichkeit, wenn man die Mieter:innen nicht der | |
| Existenznot überlassen will, eine schärfere Regulierung der Bestandsmieten. | |
| Nach dem Berliner Mietendeckel hatte der im Mai veröffentlichte | |
| [5][Berliner Mietspiegel] den niedrigste Anstieg seit zehn Jahren | |
| verzeichnet – nur 1,1 Prozent. | |
| Die neue Bundesregierung um Olaf Scholz hätte den Bundesländern die | |
| Möglichkeit für [6][regionale Mietendeckel] gewähren können. Doch in ihrem | |
| Koalitionsviertag findet sich dazu nichts. Stattdessen wolle man ein | |
| „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ mit allen wichtigen Akteuren schließen“.… | |
| Quote an Sozialwohnungen ist dabei mit 25 Prozent noch ambitionsloser als | |
| in Hamburg und Berlin. Für Mieter:innen muss das wie eine Drohung | |
| klingen. | |
| 17 Dec 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Wahlkampf-in-Berlin/!5792793 | |
| [2] https://plus.tagesspiegel.de/wirtschaft/immobilien/gastbeitrag-von-franzisk… | |
| [3] /Koalitionsplaene-fuer-Stadtentwicklung/!5817397 | |
| [4] /Hamburger-Mieten-steigen-stark/!5819037 | |
| [5] /Mietspiegel-2021-in-Berlin/!5765668 | |
| [6] /Die-Wahl-fuer-Mieterinnen/!5802594 | |
| ## AUTOREN | |
| Erik Peter | |
| ## TAGS | |
| Neubau | |
| Franziska Giffey | |
| Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
| Mieten Hamburg | |
| Genossenschaften | |
| Schwerpunkt Wahlen in Berlin | |
| Schwerpunkt Wahlen in Berlin | |
| Immobilien Hamburg | |
| Hamburg | |
| Schwerpunkt Wahlen in Berlin | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Genossenschaften und Wohnungsbau: „Wir können 2.000 Wohnungen bauen“ | |
| Zum Bündnis für Neubau gehören auch Genossenschaften. Mit am Tisch sitzt | |
| Andreas Barz. Er sagt, die vergangene Legislatur waren „verlorene Jahre“. | |
| Rot-grün-roter Senat in Berlin: Die Anfänger*innentruppe | |
| Franziska Giffeys Senat ist personell ein klarer Neuanfang – und mit sieben | |
| Frauen weiblicher als je zuvor. | |
| Berlins SPD stellt Senator*innen vor: Rot-grün-rotes Team steht | |
| Die Koalition bleibt, das Personal wird fast komplett ausgetauscht. In der | |
| SPD übernimmt Andreas Geisel das Bauressort, Spranger wird Innensenatorin. | |
| Wohnungsbau versus Klimaziele: Beirat gegen Beton | |
| Der Hamburger Senat will weiterhin 10.000 Wohnungen pro Jahr bauen lassen. | |
| Das widerspreche den selbst gesteckten Klimazielen, sagt der Klimabeirat. | |
| Hamburger Mieten steigen stark: Der ambivalente Mietenspiegel | |
| Hamburgs Mieten haben laut der offiziellen Erhebung kräftig zugelegt. | |
| Bremen führt dieses Instrument neu ein und verhandelt über die | |
| Ausgestaltung. | |
| Regierungsbildung in Berlin: Auf Loyalität bauen | |
| Als Berliner Bausenatorin wird Iris Spranger gehandelt. Bekäme sie den | |
| Zuschlag, wäre das für Franziska Giffey eine überaus riskante Personalie. |