# taz.de -- Wohnungsbau versus Klimaziele: Beirat gegen Beton | |
> Der Hamburger Senat will weiterhin 10.000 Wohnungen pro Jahr bauen | |
> lassen. Das widerspreche den selbst gesteckten Klimazielen, sagt der | |
> Klimabeirat. | |
Bild: Stößt bei der Zementproduktion viel Emissionen aus: Kalkstein | |
HAMBURG taz | Es ist die Losung, mit der besonders | |
Sozialdemokrat:innen aus Hamburg seit mehr als zehn Jahren die | |
Wohnungspolitik vorantreiben: Bauen, bauen, bauen. Mit Olaf Scholz (SPD) | |
als Bundeskanzler ist dieser Hamburger Weg auch von der [1][neuen | |
Bundesregierung] aufgenommen worden. | |
Sie kündigte an, bundesweit jährlich 400.000 Wohnungen bauen zu lassen. Wie | |
in Hamburg solle der Bedarf an günstigem Wohnraum durch Neubau gedeckt | |
werden. Doch in Hamburg bekommt der Bauwille nun bemerkenswerten Gegenwind: | |
[2][Der wissenschaftliche Klimabeirat des rot-grünen Senats] fordert diesen | |
angesichts der Klimapolitik der neuen Bundesregierung zum Umdenken auf. | |
In der ersten Stellungnahme der Wissenschaftler:innen seit der | |
Aufnahme ihrer Beiratsarbeit heißt es: „Mit Blick auf die im | |
Koalitionsvertrag benannte klimagerechte Neubauoffensive, einen stärkeren | |
Ressourcenschutz und eine Verringerung der Bodenversiegelung mahnt der | |
Klimabeirat eine Überprüfung der Hamburger Wohnungsbaustrategie an.“ | |
Der Klimabeirat wurde Anfang dieses Jahres geschaffen, um den Senat als | |
unabhängiges Gremium bei der Umsetzung des Hamburgischen | |
Klimaschutzgesetzes und des Hamburger Klimaplans zu beraten. Seine | |
Einsetzung hatten SPD und Grüne zuvor im Zuge des Klimaschutzgesetzes | |
beschlossen. Laut Gesetz solle er „Empfehlungen abgeben“, wie die darin | |
festgeschriebenen Ziele umgesetzt werden können. | |
## Gegen das von Olaf Scholz geschmiedete Bündnis | |
Besetzt ist der Beirat mit bundesweit anerkannten | |
Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen, darunter etwa Claudia | |
Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin oder | |
Wolfgang Dickhaut, Professor für umweltgerechte Stadt- und | |
Infrastrukturplanung an der HafenCity Universität. | |
Konkret fordert der Beirat: Statt der anvisierten 10.000 neuen Wohnungen | |
pro Jahr reiche angesichts der Bevölkerungsprognose für die kommenden Jahre | |
auch die Hälfte aus. So sei bis 2035 ein Bedarf an 74.000 neuen Wohnungen | |
gegeben – mit etwa 5.000 Wohnungen komme man dafür also locker hin. | |
Das 2011 noch unter Bürgermeister Olaf Scholz geschmiedete „Bündnis für das | |
Wohnen“ hatte sich darauf verständigt, dass in Hamburg jährlich 10.000 | |
Wohnungen gebaut werden sollen. Das Bündnis besteht aus dem Senat, der | |
Wohnungswirtschaft und den Bezirken, die für Bebauungspläne und | |
Baugenehmigungen zuständig sind. | |
Die 10.000er-Marke wurde seither nicht jedes Jahr erreicht, allerdings | |
waren es bis Ende 2020 insgesamt rund 80.000 Wohnungen innerhalb eines | |
Jahrzehnts. Insgesamt gab es laut dem Statistikamt Nord zum Ende des | |
vergangenen Jahres 976.000 Wohnungen. [3][Erst im Juni hatte der Senat sich | |
mit der Wohnungswirtschaft darauf geeinigt], auch in den kommenden Jahren | |
an der Zahl festzuhalten. | |
Angesichts des angespannten Wohnungsmarktes sehe der Senat weiterhin | |
drängenden Bedarf. Und: Das prognostizierte Bevölkerungswachstum mache das | |
sehr wohl notwendig. | |
## Zu viel graue Emissionen beim Bau | |
Der Klimabeirat begründet seine Forderung zur Reduzierung allerdings auch | |
damit, dass die vom Senat selbstgesteckten Klimaziele anders kaum zu | |
erreichen seien. Denn der Bau von Wohnraum hat Folgen fürs Klima: Mit jedem | |
Neubau, so der Beirat, gehe ein massiver Material- und Energie- und | |
Flächenverbrauch einher – der wiederum die Hamburger Klimaziele torpediere. | |
Die Emissionen aus der Herstellung von Baumaterialien wie Beton, so | |
genannte graue Emissionen, und der zugehörige Energieverbrauch – graue | |
Energie – sind heute die wesentlichen Stellschrauben für Klimaschutz beim | |
Neubau. Weltweit macht allein die Baustoffherstellung etwa elf Prozent der | |
CO2-Emissionen aus. | |
Angesichts der Faktenlage zeigt sich der Klimabeirat optimistisch, dass | |
ihren Forderungen Taten folgen: „Wir sind gespannt auf die konkrete und | |
hoffentlich schnelle Umsetzung“, sagt die Beiratsvorsitzende und Direktorin | |
des Hamburger Climate Service Center Germany, Daniela Jacob. | |
## Wohnungswirtschaft wirkt aufgeschreckt | |
Der Gegenwind ist jedoch groß und besonders die Wohnungswirtschaft wirkt | |
von der Forderung aufgeschreckt: „Jetzt den Neubau einzustellen, würde das | |
bezahlbare Wohnen in Hamburg gefährden“, sagt Andreas Breitner, Chef des | |
Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen, zur Forderung des Klimabeirats | |
– auch wenn der Beirat ja gar keine komplette Einstellung von Neubau | |
gefordert hatte. | |
Der massive Bau von Wohnungen habe in den vergangenen Jahren doch dazu | |
geführt, dass die Mieten in Hamburg vergleichsweise moderat gestiegen | |
seien, so Breitner. „Klimaschutz und bezahlbares Wohnen dürfen nicht | |
gegeneinander ausgespielt, sondern müssen miteinander versöhnt werden.“ | |
Begeisterung für die Forderung ist auch seitens des Senats nicht zu | |
vernehmen. Von der Stadtentwicklungsbehörde, die sich bundesweit für die | |
Bautätigkeit rühmt, wäre das auch kaum zu erwarten. Und auch die | |
Umweltbehörde will sich zunächst in Ruhe Gedanken über die Forderungen | |
machen. „Die Vorschläge werden von uns geprüft“, sagt Umweltsenator Jens | |
Kerstan (Grüne). | |
Zufrieden ist hingegen der Naturschutzbund (Nabu) mit der Forderung. Und | |
zugleich skeptisch, ob sie aufgenommen werden: „Es bleibt zu hoffen, dass | |
die vernünftigen Forderungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler | |
des Klimabeirats nicht nur schmückendes Beiwerk sind, sondern nun politisch | |
auch zügig umgesetzt werden“, sagt Malte Siegert, Vorsitzender des Nabu | |
Hamburg. „Warum sollte man sich sonst ein Beratungsgremium mit eigener | |
Infrastruktur leisten, wenn die Expertise am Ende als wirkungsloser | |
weihnachtlicher Weihrauch verpufft?“ | |
Auch in anderen Bereichen fordern die Wissenschaftler:innen des | |
Klimabeirats mehr ökologisch orientiertes Handeln des Senats: So solle er | |
etwa stadtweit auf den Straßen Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit einführen. | |
14 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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