# taz.de -- BUND will Abbau von Naturgips stoppen: „Weltweit einmalig“ | |
> Der BUND fordert einen Bagger-Stopp im Gipskarst, um diesen einzigartigen | |
> Lebensraum zu erhalten. Es gebe Alternativen, sagt der Umweltverband. | |
Bild: Nicht leich, hier zu gedeihen: Eine Baumwurzel umklammert einen Karstfels… | |
HAMBURG taz | Im [1][Südharz] droht eine weltweit [2][einzigartige | |
Naturlandschaft] dem Bagger zum Opfer zu fallen: der grüne Gipskarst. Um | |
das zu verhindern, hat der Umweltverband BUND jetzt ein [3][Gutachten | |
veröffentlicht], das zeigen soll, dass der Verbrauch von Gips aus der Natur | |
bis Mitte des Jahrhunderts auf Null heruntergefahren werden könnte. Der | |
BUND fordert deshalb den „Ausstieg aus dem Naturgipsabbau bis 2045“. Die | |
Gipsindustrie will davon nichts hören: Sie rechnet mit einem steigenden | |
Verbrauch. | |
Hintergrund des Konflikts ist der [4][Ausstieg aus der Kohleverstromung]. | |
Der in Deutschland verbrauchte Gips stammt nach Angaben des Bundesverbandes | |
der Gipsindustrie zu 100 Prozent aus heimischen Quellen. Von den zehn | |
Millionen Tonnen, die pro Jahr verarbeitet werden, sind rund vier Millionen | |
Tonnen Naturgips, der Rest sogenannter REA-Gips – er stammt aus den | |
Rauchgasentschwefelungsanlagen (REA) der Kohlekraftwerke. | |
Nach dem [5][Kohlekompromiss] zwischen der Bundesregierung und dem | |
Bundesrat vom Januar 2019 soll das letzte deutsche Kohlekraftwerk | |
spätestens 2038 vom Netz gehen. Bis dahin wird die Menge des zur Verfügung | |
stehenden REA-Gipses kontinuierlich sinken. | |
Im Abschlussbericht der Kohlekommission steht der Satz: „Um die | |
Wertschöpfungsketten zu erhalten, sind Maßnahmen zu ergreifen, die den | |
fortschreitenden Wegfall an REA-Gips durch eine zusätzliche | |
umweltverträgliche Gewinnung von Naturgips ausgleichen.“ | |
Der damalige BUND-Vorsitzende Hubert Weiger saß mit in der Kommission, | |
weshalb sich die [6][Gipsindustrie] mit einem Freibrief versehen sieht und | |
die „bedarfsunabhängige sowie langfristige Ausweisung neuer Flächen für die | |
Naturgipsgewinnung in der Raumordnung der betroffenen Bundesländer“ | |
fordert. Auch sollten „Regelungen für die umweltverträgliche Gewinnung von | |
Gipsgestein in Teilbereichen von Schutzgebieten“ geschaffen werden. | |
## Hotspot der Artenvielfalt | |
Friedhart Knolle, Sprecher des BUND Westharz, graust es bei solchen | |
Gedanken. Er sei selbst Geologe und Karstforscher und habe den Südharzer | |
Gipskarst unlängst auf einer Tagung in Australien vorgestellt. „Es gab | |
Zustimmung zu der Feststellung, dass das weltweit einmalig ist“, berichtet | |
Knolle. Besonders selten sei die Kombination aus zu Tage tretendem | |
Gipsgestein und darauf siedelnder Vegetation: grüner Karst eben. | |
Karstgestein bestehe in der Regel aus Kalk. Regen und Gewässer waschen es | |
aus, so dass sich Trichter (Dolinen), Spalten und Höhlen bilden, in denen | |
auch mal Bäche schlagartig versinken. | |
Im Südharz besteht dieser Karst aus Gips und, wie etwa bei Osterode, aus | |
einer besonderen Vegetation auf der spärlichen Erdkrume: einem | |
Orchideen-Buchenwald. „Das Bundesamt für Naturschutz hat das als Hotspot | |
der Artenvielfalt klassifiziert“, sagt Knolle. In solchen Regionen ballen | |
sich besonders viele charakteristische Arten, Populationen und Lebensräume. | |
Der Verband der Gipsindustrie findet, das müsse dem Gipsabbau nicht | |
entgegenstehen. Er verweist auf ein gemeinsames Diskussionspapier mit dem | |
Naturschutzbund (Nabu), in dem eine Änderung des Naturschutzrechts für | |
„Natur auf Zeit“ gefordert wird. „Steinbrüche, Sand- und Kiesgruben haben | |
sich zu immer wertvolleren Ersatzlebensräumen für bedrohte Pflanzen- und | |
Tierarten entwickelt“, teilte der Nabu dazu mit. Die extremen Bedingungen | |
gerade während des Rohstoffabbaus schüfen Nischen für Überlebenskünstler. | |
Aus Sicht Knolles kann so ein vorübergehendes Biotop oder ein aufgelassener | |
Steinbruch nie das primäre, über Tausende von Jahren Entstandene ersetzen. | |
„Man kann diese Landschaft nicht wiederherstellen“, sagt der Geologe. | |
Weil das so ist, versucht der BUND mit seinem Gutachten neue Wege zu | |
weisen. „Wir kämpfen nicht für eine Illusion“, versichert Knolle, „sond… | |
wir bieten eine konkrete Alternative“. Das Gutachten sei ein Meilenstein – | |
vergleichbar mit dem Gutachten des Öko-Instituts, das erstmals eine | |
komplette Versorgung Deutschlands mit Erneuerbaren Energien in Aussicht | |
gestellt habe. | |
Aus Sicht des BUND ist Gefahr im Verzug. In Niedersachsen würden große neue | |
Abbaugebiete geplant, sagt Knolle. Dem BUND-Gutachten zufolge sind die | |
nicht nötig, denn zum einen lässt sich der REA-Gips ersetzen. 14 bis 16 | |
Millionen Tonnen lägen auf Halde. | |
Weitere vier bis sechs Millionen Tonnen Naturgips könnten aus Abraumhalden | |
gewonnen werden. Die Menge an Recyclinggips, die heute bei einem Prozent | |
liegt, lasse sich auf eine halbe bis zwei Millionen Tonnen im Jahr | |
steigern. Dazu könnte in der gleichen Größenordnung Gips aus der chemischen | |
Industrie kommen. | |
Zum anderen lasse sich der Gipsverbrauch insgesamt auf 3,5 bis fünf | |
Millionen Tonnen im Jahr herunterfahren. Gipsbauplatten könnten durch | |
solche aus Holz, Lehm, Stroh oder anderen nachwachsenden Rohstoffen ersetzt | |
werden. Im besten Fall würde dann gar kein Naturgips mehr gebraucht. | |
## Gipsindustrie will nicht verzichten | |
Die Gipsindustrie hat das BUND-Gutachten noch nicht bewertet. In einem | |
Positionspapier zur Rohstoffsicherung erklärt sie Gips aber für unersetzbar | |
im deutschen Bauwesen: „Gips ist der zentrale Baustoff für die modernen | |
klimafreundlichen Trocken- und Leichtbauweisen, die ressourceneffizientes, | |
nutzungsflexibles, brandsicheres und schnelles Bauen ermöglichen.“ | |
Insbesondere bei der Nachverdichtung von Wohnraum in Ballungsgebieten sei | |
Gips „nicht wirtschaftlich sinnvoll durch andere Baustoffe zu ersetzen“. | |
Die niedersächsische Landesregierung antwortete auf eine Anfrage der taz | |
nicht. 2014 räumte der damalige Wirtschafts- und heutige Umweltminister | |
Olaf Lies (SPD) auf [7][Anfrage der FDP] ein, dass es sich bei der | |
Gipskarstlandschaft um einen einzigartigen Lebensraum handele. Bei der | |
Herstellung von Spezialgipsen könne auf Naturgips derzeit nicht verzichtet | |
werden. 700 Menschen seien in der strukturschwachen Region in der | |
Gipsindustrie beschäftigt. | |
14 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Fruehling-im-deutschen-Wald/!5669116 | |
[2] /Archiv-Suche/!1479671&s=Gipsabbau&SuchRahmen=Print/ | |
[3] http://www.bund.net/gipsgutachten | |
[4] /Anwohner-klagen-fuer-Erhalt-ihrer-Doerfer/!5713422 | |
[5] https://www.greenpeace.de/presse/publikationen/abschlussbericht-kohlekommis… | |
[6] http://www.gips.de/meta/presse/ | |
[7] https://www.mw.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/gi… | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
## TAGS | |
Naturschutzgebiet | |
Naturschutz | |
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland | |
Rohstoffgewinnung | |
Harz | |
Niedersachsen | |
Harz | |
Rohstoffe | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Wassermangel | |
Niedersachsen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Einzigartige Landschaft bedroht: Hintertürchen für die Gipsindustrie | |
Im Streit um den Gipsabbau im Südharz schienen Umweltschützer einen Sieg | |
errungen zu haben. Doch der hat seine Tücken. | |
Gipsmangel durch Kohleausstieg: Seltenes Karstgebiet bedroht | |
Im niedersächsischen Südharz sollen Abbaugebiete für Gips erweitert werden. | |
Die Region gilt als Hotspot der Biodiversität. | |
Waldschäden im Harz: Die Kraft toter Bäume | |
Im Nationalpark Harz sind die Folgen des Klimawandels besonders sichtbar. | |
Die Natur einfach sich selbst zu überlassen kann eine Lösung sein. | |
Verheerender Wassermangel im Sommer: Das Ende des privaten Pools | |
Die deutschen Wälder sind schon nicht mehr zu retten, auch der Alltag wird | |
sich drastisch verändern. Das einzig Gute: Es gibt Chancen auf Veränderung. | |
Waldschutz in Niedersachsen: Der Streit um die Buchen | |
Greenpeace wirft Niedersachsen vor, für alte Wälder zu wenig Schutzgebiete | |
auszuweisen. Die Landesregierung verweist auf ihr flächendeckendes Konzept. |