| # taz.de -- Autonome Region Gagausien: Zwischen den Welten | |
| > In Moldau wird über ein Referendum abgestimmt, das das Land enger an die | |
| > EU binden soll. Viele in der autonomen Region Gagausien hängen an Moskau. | |
| Bild: Willkommen in Gagausien, der autonomen Region im Süden Moldaus | |
| Congaz taz | Anna Statowa versteht sich auf Entertainment. Gerade hat sie | |
| in ihrem Restaurant eine Gruppe von Gästen begrüßt – mit einem strahlenden | |
| Lächeln sowie Brot und Salz, nach ortsüblicher Tradition. Schon der | |
| Speiseraum lässt bei Liebhaber*innen von Folklore keine Wünsche offen. | |
| Überall stapeln sich bunt bestickte Kissen und Deckchen, in Vitrinen und | |
| Regalen stehen Figuren und Gebrauchsgegenstände aus Holz. | |
| Schwarz-Weiß-Fotos zeigen Menschen in Trachten aus lange vergangenen | |
| Zeiten. An einem Tisch kämpfen ostdeutsche Tourist*innen gerade mit | |
| Unmengen von Lammfleisch und Beilagen aller Art. | |
| Das Restaurant ist Teil des „ethno-touristischen Komplexes Gagauz Sofrasi“ | |
| in Congaz, einem Ort mit rund 13.500 Einwohner*innen. Congaz gehört zur | |
| Region Gagausien im Süden der Republik Moldau, die bis 1991 Teil der | |
| Sowjetunion war. Seit 1994 hat Gagausien weitgehende Autonomierechte. Knapp | |
| 160.000 Menschen leben hier – die große Mehrheit gehört der turksprachigen | |
| Volksgruppe der Gagaus*innen an. Vor allem Vertreter*innen der | |
| älteren Generation orientieren sich nach wie vor nach Moskau. Neben | |
| Gagausisch ist Russisch weit verbreitet, bei Kenntnissen der Amtssprache | |
| Rumänisch gibt es viel Luft nach oben. | |
| Am 20. Oktober finden in Moldau Präsidentschaftswahlen statt. Amtsinhaberin | |
| Maia Sandu, die einen [1][proeuropäischen Kurs] fährt, hat gute Chancen auf | |
| eine Wiederwahl. Zeitgleich wird ein Referendum abgestimmt, die Frage | |
| lautet: „Sind Sie für eine Aufnahme des Ziels der europäischen Integration | |
| in die moldauische Verfassung?“ Im Juni 2022 hatte Brüssel Moldau den | |
| Kandidatenstatus zuerkannt, seit Juni 2024 [2][laufen | |
| Beitrittsverhandlungen]. | |
| Anna Statowa, die ein weißes, mit roten und grünen Mustern besticktes Kleid | |
| trägt, kann einer europäischen Perspektive für ihr Land durchaus etwas | |
| abgewinnen. Sie hat „Gagauz Sofrasi“ vor sechs Jahren eröffnet und dafür | |
| eine Anschubfinanzierung der EU in Höhe von 20.000 Euro erhalten. Neben dem | |
| Restaurant gibt es ein Museum, einen Festsaal und ein Hotel mit zehn | |
| Zimmern. Bald sollen weitere hinzukommen. Dafür bräuchte es, so die | |
| 60-Jährige, jedoch eine weitere Förderung aus Brüssel. In dem | |
| Familienbetrieb sind, je nach Saison, zwischen 18 und 30 | |
| Mitarbeiter*innen beschäftigt. Auch ihre beiden Töchter arbeiten hier. | |
| Die jüngere ist nach einem Studium im europäischen Ausland zurückgekommen. | |
| Als Vorsitzende des Vereins gagausischer Unternehmer*innen NEXT könne | |
| Statowa sagen, dass die Beziehungen zur Regierung in Chișinău gut seien. | |
| Sogar der moldauische Regierungschef habe das Gagauz Sofrasi schon besucht. | |
| Nach dem EU-Referendum gefragt, hält sie kurz inne und sucht nach den | |
| richtigen Worten. Das Streben Moldaus nach Europa könne sie nachvollziehen, | |
| eine Alternative dazu gebe es nicht. Die Politik dürfe das Business jedoch | |
| nicht behindern, die Märkte müssten offen sein. Und dann sagt sie noch: | |
| „Die eigene Identität ist für mich sehr wichtig. Viele von uns haben Angst, | |
| ihre Werte, ihre Kultur und Sprache zu verlieren.“ Man solle nicht nach | |
| Europa gehen müssen, um menschenwürdige Löhne zu bekommen. „Für 1.000 Euro | |
| im Monat sollen sie nicht in Deutschland arbeiten, sondern hier. Dann wird | |
| das Land blühen.“ | |
| ## Putins Mann fürs Grobe | |
| Ein blühendes Land – das wünscht sich auch die aktuelle Regierung Moldaus. | |
| Aber als Mitglied der EU, möglichst bis 2030. Für diese | |
| Richtungsentscheidung können sich nicht alle erwärmen. Das gilt vor allem | |
| für Russland, das das Land nach wie vor als seine Einflusssphäre | |
| betrachtet. Daher ist es kein Zufall, dass Moskau sich gerade jetzt, in | |
| Zeiten des Wahlkampfes, massiv in die inneren Angelegenheiten Moldaus | |
| einmischt. „Die Russische Föderation und ihre Stellvertreter sind die | |
| gefährlichste und hartnäckigste Quelle von Bedrohungen für das Land“, hei�… | |
| es in der nationalen Sicherheitsstrategie Moldaus, die Präsidentin Sandu im | |
| Oktober 2023 vorgestellt hatte. | |
| Einer der Hauptakteure, die Russlands Präsidenten Wladimir Putin treu zu | |
| Diensten sind, ist Ilan Shor. Der Oligarch, der neben der moldauischen | |
| Staatsbürgerschaft auch einen russischen und israelischen Pass besitzt, war | |
| im April 2023 von einem moldauischen Gericht in Abwesenheit zu fünfzehn | |
| Jahren Haft verurteilt worden. Er soll 2014 bei dubiosen Kreditgeschäften, | |
| durch die drei moldauische Banken um 900 Millionen Euro erleichtert worden | |
| waren, eine tragende Rolle gespielt haben. | |
| Jetzt nutzt Putins Mann fürs Grobe alle Instrumente, die der Besteckkasten | |
| hybrider Kriegsführung hergibt. Über Telegram werden Wähler*innen in | |
| Moldau umgerechnet knapp 27 Euro angeboten, wenn sie gegen das Referendum | |
| stimmen. Bis zu 250 Euro winken, so eine Person es schafft, die Mehrheit | |
| der Abstimmenden eines Wahllokals auf Anti-EU-Kurs zu bringen. Die | |
| Durchschnittsrenten im Land liegen monatlich bei 200 Euro. | |
| Über Shor laufen mit Unterstützung des Kreml auch monatliche Zahlungen in | |
| Höhe von 100 Euro an Staatsbedienstete und Rentner*innen. In Gagausien | |
| erhalten 30.000 Personen diesen Betrag. Angaben der moldauischen | |
| Antikorruptions-Staatsanwaltschaft zufolge seien allein im September | |
| insgesamt 13,7 Millionen Euro bei 130.000 Bürger*innen in Moldau auf | |
| eigens dafür eingerichteten Konten bei der russischen Promswjasbank | |
| eingegangen. Laut dem moldauischen Präsidentenberater für Fragen der | |
| nationalen Sicherheit, Stanislav Secrieru, lasse sich Moskau die | |
| Beeinflussung von moldauischen Wähler*innen rund 100 Millionen Euro | |
| kosten. | |
| Auch die Gouverneurin von Gagausien, Ewgenija Guzul, ist mit Ilan Shor | |
| verbandelt. Bei ihrem Wahlsieg im Sommer vergangenen Jahres hatte er | |
| ebenfalls seine Hand im Spiel. Guzul arbeitet verbissen an besseren | |
| Beziehungen zu Russland. Im vergangenen März reiste sie mit einer Gruppe | |
| Gleichgesinnter nach Moskau. Bei der Rückreise nach Chișinău seien im | |
| Gepäck rund eine Million Euro in verschiedenen Währungen gefunden worden, | |
| berichteten moldauische Medien. | |
| ## Der Unterricht findet auf Russisch statt | |
| Ein paar Schritte entfernt vom Gagauz Sofrasi befindet sich ein | |
| türkisfarbenes Gebäude – das Gymnasium „Nikolai Tschebanow“, wie einer | |
| Tafel an der Hauswand auf Gagausisch, Rumänisch und Russisch zu entnehmen | |
| ist. Der Namensgeber ist ein Absolvent der Schule, der 1988 bei einem | |
| Kriegseinsatz in Afghanistan gefallen ist. In einem Flur werden, gerahmt | |
| und unter Glas, Daten und Fakten präsentiert. Auf einer Tafel unter der | |
| Überschrift „Die Europäische Integration für Dich“ ist zu erfahren, welc… | |
| Länder in der EU sind, wie die Flagge aussieht und dass Moldau an einem | |
| Programm zur Förderung der EU in Schulen teilnimmt. | |
| Gerade kommt eine Frau aus dem Lehrerzimmer. Sie habe hier 44 Jahre | |
| Mathematik unterrichtet und sei jetzt in Rente, erzählt sie. Der Unterricht | |
| finde vor allem auf Russisch statt, aber auch Rumänisch, Gagausisch und | |
| Englisch stünden auf dem Stundenplan. Die Gouverneurin gefalle ihr, sie | |
| habe dafür gesorgt, dass die Straßen instandgesetzt worden seien. Und jetzt | |
| gebe es ja auch noch den Freizeitpark GagauziyaLand. Dort seien alle | |
| Attraktionen umsonst. Auf die Frage, wer den habe bauen lassen, antwortet | |
| sie: „Ich kann das nicht mit Sicherheit sagen, aber es heißt, Ilan Shor.“ | |
| Ob sie am 20. Oktober abstimmen wolle? „Ich war bei jeder Wahl“, sagt die | |
| Frau. „Wenn nicht wir Pädagogen hingehen, wer denn dann? Wir müssen ein | |
| Vorbild sein.“ | |
| In direkter Nachbarschaft der Schule steht eine ältere Frau in geblümter | |
| Kittelschürze und Pantoffeln hinter einem Gartentor. Tatjana, wie sie sich | |
| vorstellt, war Lehrerin, ist mit 57 Jahren in Rente gegangen, hat dann aber | |
| noch 18 Jahre weitergearbeitet. „Jetzt kann ich endlich zu Hause bleiben. | |
| Ich bekomme 3.500 Lei Rente (umgerechnet 180 Euro), aber auch das ist zu | |
| wenig zum Leben und zum Sterben zu viel“, sagt sie. Alles in allem sei es | |
| schwer. Sie habe Strom und eine Wasserleitung, aber keine Kanalisation, | |
| erzählt sie. Diese Situation gefalle ihr nicht, aber die Gouverneurin in | |
| Gagausien sei ja erst kurz im Amt und könne sich nicht um alles kümmern. | |
| Zur Wahl zu gehen, steht auch für sie außer Frage, aber das Referendum? | |
| „Europa, hm“, sagt Tatjana und sieht dabei etwas ratlos aus. „Ich bin | |
| unentschieden, aber es bleibt ja noch etwas Zeit.“ | |
| Dieser Text entstand im Rahmen einer von der EU-Kommission finanzierten | |
| Pressereise nach Rumänien und in die Republik Moldau. | |
| 19 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Oertel | |
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