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# taz.de -- Auswirkungen der Corona-Krise in Berlin: „Wir verlieren ein halbe…
> Ist die Verwaltung gerüstet für die Krise? Pankows Bürgermeister Sören
> Benn über Quarantäne, Corona-Partys und den Mietendeckel.
Bild: Ein anderes Leben als noch vor ein paar Wochen: Corona-Alltag in Berlin
taz: Herr Benn, wie reagiert Ihr Bezirk auf die Corona-Krise?
Sören Benn: Im Wesentlichen mit einer Umstellung der Verwaltungstätigkeit.
Wir stocken die Gesundheitsämter durch Personal aus anderen Abteilungen auf
und richten eine Anlaufstelle für die Bürgerinnen und Bürger ein, wo sie
mit all ihren Anliegen anrufen können.
Wie viele arbeiten dort derzeit?
Ab Ende der Woche sollen in Schichten fünf Menschen arbeiten, täglich acht
bis zehn Stunden.
Dort rufe ich an, wenn ich Corona-Symptome habe?
Genau. Das ist – neben den anderen Stellen – die bezirkliche Anlaufstelle.
In den Krisenmodus schalten müssen derzeit alle. Dauert das bei einer
Verwaltung länger?
Ich weiß nicht, wie lange es bei anderen dauert. Wir haben zwar
Pandemiepläne, die sind aber nicht auf das Coronavirus ausgelegt, sondern
auf die Grippe. Jetzt ist die Lage eine andere. Wir werden zum Beispiel
deutlich mehr Fälle von Leuten haben, die in Quarantäne geschickt werden.
Ich will sicherstellen, dass zumindest Stichproben stattfinden, dass sie
auch eingehalten wird. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass da keiner
kontrolliert. Dafür werden wir den Außendienst neu aufstellen.
Was muss der Außendienst sonst noch machen?
Es müssen Betriebsschließungen – etwa von Kneipen oder Geschäften –
kontrolliert werden, die Abstandsgebote und so weiter. Ich bin übrigens
kein Freund davon, [1][Spielplätze zu schließen]. In den Bezirken, in denen
das jetzt trotz des anders lautenden Senatsbeschlusses passiert, geht es um
politische Profilierung. In der aktuellen Situation ist es aber wichtig,
gemeinsam und miteinander abgestimmt politisch zu handeln. Und ich bin ein
Freund davon, mit den Bürgerinnen und Bürgern über ihr in dieser Phase
nicht angebrachtes Verhalten zu sprechen – etwa wenn es zu Corona-Partys
kommt. Wir müssen gemeinsam lernen, in diesem anderen Modus zu
funktionieren. Dafür müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Allgemeinen Ordnungsdienstes einen Beitrag leisten.
Wie viele Ihrer Mitarbeiter sind im Außendienst?
Wir haben im Bezirk Pankow 2.400 Mitarbeiter, davon 120 im Außendienst.
Aber es geht ja nicht nur um den Außendienst. Gerade haben wir im
Krisenstab Schlüsselpersonen identifiziert. Das sind Beschäftigte in
zentralen Funktionen, die auch bei einem Notbetrieb arbeiten müssen. Wir
brauchen sie, auch wenn wir alle anderen nach Hause schicken. Da kommen wir
immer noch auf 900 Menschen: Wir brauchen die Gewerbeaufsicht, das
Veterinär- und Lebensmittelamt, das Ordnungsamt. Wir brauchen Notdienste im
Sozialamt, im Bürgeramt, im Jugendamt. Sogar im Bereich des
Rechnungswesens, weil Rechnungen bezahlt werden müssen. Wir wollen ja nicht
zur weiteren Verschlechterung der Lage in den Betrieben beitragen.
Wie würde es aussehen, wenn die Bundesregierung oder das Land [2][eine
Ausgangssperre verhängt]?
Das müssen wir dann entscheiden. Es gibt ja auch eine Reihe von
Tunnellösungen, mit denen man zu Hause über VPN-Verbindungen etwas machen
kann. Ich glaube aber nicht, dass es eine Quarantänelösung geben würde, die
das Notpersonal der öffentlichen Verwaltung einschließt.
Wie viele sogenannte VPN-Tunnel hat die Bezirksverwaltung?
In Pankow sind es 150. Ob die Zahl kurzfristig erhöht werden kann, ist auch
eine Hardwarefrage.
Da Sie die Zeit nach der Krise ansprechen: Pankow ist nach wie vor sehr
beliebt. Laut Prognose wächst die Bevölkerung bis 2030 noch mal um 11
Prozent, mehr als jeder andere Berliner Bezirk. Sind Sie zufrieden?
Ob ich zufrieden bin? (überlegt) Ja und nein. Natürlich bin ich froh, dass
es Pankow gut geht. Und dass es immer noch dieses Flair hat. Die
Kommunalpolitik hat schon vor mir großen Wert auf Kinderfreundlichkeit
gelegt. Auf ausreichend Kinder- und Jugendversorgung, eine hohe Qualität
der Musikschulen. Nun gehen wir als erster Bezirk in das
Zertifizierungsverfahren als kinderfreundliche Kommune. Was das Wachstum
angeht, habe ich lieber Wachstumsprobleme als Schrumpfungsprobleme.
Aber es gibt auch Wachstumsschmerzen.
Ja, und in Berlin können wir nicht alles selber entscheiden und umsetzen.
Wir haben die zweistufige Verwaltung, die sich häufig als nützlich
herausstellt, in anderen Bereichen aber als nicht schnell genug. Oft gibt
es auch verschiedene Zuständigkeiten. Deshalb haben wir ja auch die Gruppe
Verwaltungsmodernisierung in Berlin, der ich auch angehöre.
Wo sollen denn die Menschen, die nach Pankow kommen, alle hin? Es gibt ja
kaum leerstehende Wohnungen.
Die können im Wesentlichen nur in die neu entstehenden Wohnungen ziehen.
Was Neubau angeht, ist Pankow da seit Jahren unter den ersten drei
Bezirken. Aber Schlagkraft entwickeln erst die Wohngebiete, die über
Bebauungspläne in den nächsten 10 bis 20 Jahren neu entstehen sollen. Das
ist der Blankenburger Süden, Karow, Buch, das Pankower Tor und die
Michelangelostraße.
Auch bei den großen Wohnungsbauvorhaben gibt es unterschiedliche
Zuständigkeiten. Für den Blankenburger Süden mit 6.000 Wohnungen ist der
Senat zuständig, für andere sind Sie als Bezirk verantwortlich. Wo geht es
denn besser voran?
Die Frage ist eher, wer leistungsfähiger ist und warum. Ich glaube nicht,
dass es beim Sachverstand große Unterschiede gibt. Aber es gibt sie in der
Verfügbarkeit von Ressourcen. Da haben in der Regel die Senatsverwaltungen
die Nase vorn. Die haben eine bessere technische Ausstattung, und sie
sitzen auch am längeren Hebel.
In der Michelangelostraße braucht der Senat bis in die 2030er Jahre, um die
nötige Verkehrsinfrastruktur herzustellen. Ist das auch anderswo der Grund,
warum es nicht vorangeht?
Das ist ja mein Mantra: Bevor die Verkehrswege nicht erstellt sind, sollen
auch keine Baufahrzeuge fahren. Im Blankenburger Süden kommt bisher nicht
mal ein Laster lang. Wie soll mit so einem Straßennetz dieses Wohngebiet
erschlossen werden? Früher sind die Bauarbeiter auch mit der Straßenbahn
auf die Baustelle gefahren.
In Karow-Nord nicht.
Daher kommt ja ein Teil dieses riesengroßen Misstrauens im Bezirk. In Karow
hatte man in den 1990ern den Leuten gesagt, wir bauen euch das schöne
Neu-Karow und dann erschließen wir das auch. Aber plötzlich war das Geld
alle und Berlin verzichtete auf die Realisierung der Verkehrsprojekte.
Deshalb fordern heute viele zu Recht, dass die Politik glaubhaft nachweisen
muss, wie die Verkehre aufgefangen werden können. Die Sowieso-Verkehre, die
es ohnehin schon gibt, und die zusätzlichen Verkehre. Dabei muss man auch
das Wachstum außerhalb Berlins mitdenken.
Passiert das nicht?
Zumindest nicht verkehrsträgerübergreifend.
Es gibt keine Runden, in denen die Gemeinsame Landesplanung und der
Verkehrsverbund VBB zusammensitzen und länderübergreifende Planungen
entwickeln?
Wir reden eher im kommunalen Nachbarschaftsforum und bei der Stiftung
Zukunft Berlin darüber, wie man ein integriertes Verkehrssystem bekommt und
wie eine Netzplanung aussehen könnte. Immerhin steigt so der Druck durch
die Zivilgesellschaft.
Sie haben geschildert, wie Sie Ihre Verwaltung in Zeiten der Corona-Krise
umbilden. Was heißt das denn für das Baugeschehen: Wird in der Verwaltung
überhaupt noch an Bebauungsplänen gearbeitet?
Ich habe vergangene Woche eine Dienstanweisung herausgegeben, die besagt:
Wer von zu Hause arbeiten kann, soll das auch tun. Ich habe noch nicht
gesagt: Stellt die Arbeit ein. Aber natürlich nehmen die Krankmeldungen zu;
die Leute haben Betreuungsprobleme mit den Kindern. Das bedeutet auch, dass
wir in bestimmten Bereichen die Arbeit fallweise ruhen lassen. Wir müssen
uns genau anschauen, wo im Krisenmodus unabweisbar weiterbearbeitet werden
muss und wo nicht.
Mit welcher Corona-Verzögerung rechnen Sie insgesamt?
Ich gehe davon aus, dass wir ein halbes Jahr verlieren. Wenn Corona
ungebremst läuft, lese ich, haben wir den Peak im Mai. Wenn wir die Kurve
abschwächen können, werden wir ihn im Juli haben. Das heißt, dass wir
mindestens bis Ende September in einem eingeschränkten Betrieb arbeiten.
Aber im Laufe der Monate werden wir Arbeitstechniken und Methoden
entwickeln, mit denen wir wieder ins Laufen kommen. Trotzdem wird die
Krankheitsrate steigen, die Quarantänen werden steigen, außerdem fallen ja
reihenweise Termine aus, die nicht alle mit Telefonkonferenzen zu
kompensieren sind.
Werden derzeit Stellen neu besetzt?
Alle Verfahren, die schon angesetzt sind, bei denen es Termine und
Einladungen gibt, sollen nach Möglichkeit gemacht werden. Die
Stellenbesetzungsverfahren, die nicht unbedingt notwendig sind, werden
vorläufig nicht begonnen.
Ist die Umsetzung des Mietendeckels notwendig oder nicht?
Aus meiner Sicht: ja. Es gibt eine Zeit nach Corona. Die fünfeinhalb
Stellen für den Mietendeckel sind derzeit ausgeschrieben, jedoch noch nicht
besetzt. Aber wir haben Menschen mit den Aufgaben betraut. Da habe ich noch
keine Meldung, dass das ins Chaos läuft. Wir dürfen übrigens vor lauter
Krisenmodus auch nicht vergessen, rechtssicher zu arbeiten.
Und die Verkehrswende: Ist auch die notwendig? Die Schönhauser Allee soll
ja noch 2020 Radstreifen bekommen.
Das war die Aussage vergangene Woche. Ich gehe davon aus, dass es so ist,
aber meine Hand würde ich dafür nicht ins Feuer legen, dass es nicht doch
coronabedingt Verzögerungen gibt. Auch bei den ausführenden Firmen und
Planern gibt es schließlich Krankheitsfälle.
Liest das Ordnungsamt in den sozialen Medien mit, um herauszufinden, wo es
[3][Coronaparties] gibt?
Der Bürgermeister liest mit. Und reagiert dann auch. Erst am Dienstag waren
120 Leute im Schlosspark unterwegs. Das habe ich über soziale Medien
erfahren. Ich habe dann die Polizei angerufen; die wusste schon Bescheid.
Aber statt Parks und Spielplätze in der Konsequenz zu schließen, müssen wir
neue Sozialtechniken entwickeln. Das kriegen wir nur hin, wenn wir offen
drüber reden. Öffentliches Leben muss möglich sein, solange es keine
Ausgangssperre gibt. Wenn die Bundesregierung anders entscheidet, machen
wir es natürlich anders.
Welchen Kollateralnutzen könnte es wegen Corona noch geben neben der
Verwaltungsmodernisierung: mehr Aufmerksamkeit und Zusammenhalt?
Das ist eine Möglichkeit, wenn wir es hinkriegen, die Kurve flach zu halten
und das Gesundheitssystem nicht in die Überlast geht und dann komplett
versagt. Wenn das zusammenbricht, wachen wir in einer Welt auf, die wir
nicht haben wollen. Wenn wir aber eine kollektive Vernunftbegabung
hinkriegen, ist es hinterher auch anders als vorher. Vielleicht auch
reflektierter. Denken Sie nur daran, wie viele Menschen sich jetzt für
Wissenschaft interessieren.
Die Fakten werden wieder wichtig.
Das ist ein guter Effekt. Auch die vielen Nachbarschaftshilfen, die
entstehen. Da lernen sich Leute kennen, die sich sonst nie kennengelernt
hätten. Vielleicht merken wir ja auch, dass das Gesundheitssystem nicht
mehr hart an der Kante genäht gefahren werden darf, damit es sich rechnet.
Corona wird nicht das letzte Virus gewesen sein. Also reden wir vielleicht
über eine Bürgerversicherung. Übrigens muss auch die Aufnahme Geflüchteter
auf der Tagesordnung bleiben. Die Menschenrechtslage auf Lesbos ist nach
wie vor dramatisch. Wenn wir 1.500 Kinder aufnehmen, macht das die Lage
nicht schlimmer.
Was ist mit der Situation derer, die als Freiberufler jetzt schon prekär
arbeiten? Ist der Rettungsschirm, den der Senat beschlossen hat, ein
Schritt in die richtige Richtung?
Auf jeden Fall. Vielleicht war es ein bisschen früh, es zu verkünden, weil
es noch nicht in ein Konzept gegossen ist. Bislang ist ja erst ein
Arbeitsauftrag ausgelöst worden. Jetzt rufen natürlich Hunderte von Leuten
an und wollen wissen, wie es geht. Im Moment ist die Zahl der sozialen
Existenzen, die gefährdet sind, deutlich höher als die Zahl der physischen
Existenzen. Da geht eine richtige Erschütterung durch den freiberuflichen
Sektor. Viele sind verzweifelt, gerade im künstlerischen Bereich. Die sind
mit einer solchen Situation betriebswirtschaftlich überfordert.
Wie groß ist die Belastung für Sie selbst?
Der Zeitumfang ist nicht gestiegen, aber die Belastungsart. Fokussierter,
schneller, dringender, wacher, mehr auf Sicht.
20 Mar 2020
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