# taz.de -- Shutdown wegen Corona-Pandemie: Berlin ist nicht ganz dicht | |
> Nur noch Supermärkte und Läden des täglichen Bedarfs wie Baumärkte sind | |
> ab Mittwoch geöffnet. Eine Stadtbegehung. | |
Bild: Warenhaus am Kurfürstendamm: geschlossen wegen Corona | |
Dass in den „Neukölln Arcaden“ auf der Karl-Marx-Straße an diesem Mittwoch | |
nicht alles wie sonst ist, sieht man schon vor dem Haupteingang des | |
Einkaufscenters: Deutlich weniger Fahrräder parken dort. Dass an diesem Tag | |
erstmals die verschärften Ladenschließungen zur Eindämmung der | |
Corona-Infektionswelle gelten, sieht man aber auch an einem anderen | |
Details: Der Aschenbecher qualmt gegen Mittag noch nicht aus allen Ritzen. | |
Drinnen bestätigt die Bäckereiverkäuferin: „Heute ist viel weniger los als | |
gestern.“ Aber nur beim Publikumsverkehr – sie und ihre Kolleg*innen hätten | |
gut zu tun. „Wir mussten heute morgen erst mal die Tische auf anderthalb | |
Meter Abstand stellen.“ Haben die Mitarbeiter*innen selbst Angst, sich zu | |
infizieren? „Schon, vor allem wegen dem vielen Geld, das man in die Hand | |
nimmt.“ Sie überlegten daher, im Verkauf wieder Handschuhe anzuziehen, die | |
seien erst vor Kurzem abgeschafft worden. „Oder wir machen ein Schild für | |
die Kunden mit der Bitte, lieber mit Karte zu bezahlen.“ Dazu sei aber noch | |
keine Zeit gewesen. | |
In den Gängen der Arcaden ergibt sich ein gemischtes Bild: Games-Shop und | |
Klamottenläden sind geschlossen, ebenso der Geschenkeladen, die | |
Papierwaren-Kette, das Spielzeuggeschäft. Geöffnet sind die Super- und | |
Drogeriemärkte, ebenso der Zeitschriftenladen und die Fast-Food-Kette – und | |
die Buchhandel-Filiale. „In den letzten Tagen war sehr viel los“, berichtet | |
dort der Verkäufer. „Weil die Leute dachten, die Buchläden müssten auch | |
schließen, haben sie Bücher gehamstert.“ Vor allem Kinderbücher seien gut | |
weggegangen. Eigentlich stehen Buchläden nicht auf der Positiv-Liste von | |
Bund und Ländern, der Senat hatte aber am Dienstag beschlossen, sie offen | |
zu lassen. | |
Beim Optiker hat sich eine Schlange aus drei Kund*innen gebildet – sie | |
reicht aber bis an die Tür. Zwei geschäftig aussehende Männer in engen | |
Jeans eilen vorbei. „Der Optiker darf“, sagt einer zum andern. Das | |
Center-Management auf Kontrollgang? Die Reporterin hastet hinterher. Doch | |
nein, die Herren sind vom Media Markt im Obergeschoss – der hat | |
vorschriftsmäßig geschlossen, sie holen Mittagessen. Arbeit hätten sie | |
trotz der Schließung genug, sagt einer: „Die Waren kommen ja trotzdem an.“ | |
## Wenig Betrieb bei der Post | |
Was auffällt, sind die vielen jungen Leute in schwarzen „Arcaden“-T-Shirts | |
und mit einem Süßigkeiten-Körbchen im Arm. Eigentlich, erklärt eine von | |
ihnen, sollen sie den Kund*innen den Weg weisen, weil die Rolltreppen | |
gerade repariert werden. „Aber viele haben heute schon gefragt, warum alles | |
zu hat. Manche wollten sogar auf Shopping-Tour und waren echt enttäuscht“, | |
berichtet sie und schüttelt verständnislos den Kopf. „Als ob die Leute | |
keine Nachrichten lesen.“ | |
Überraschend wenig Betrieb ist beim Postcenter. Wo sich die Wartenden sonst | |
dicht an dicht um Verkaufstische schlängeln, ist alles verrammelt. Vier | |
Leute stehen vor einer Nebentür, hier werden sie nach und nach eingelassen. | |
„Gestern war es voll, heute ist nicht viel los“, bestätigt der Mitarbeiter, | |
der den Einlass kontrolliert. „Es dürfen jetzt immer nur fünf bis sechs | |
Leute gleichzeitig in den Schalterraum. | |
Was nicht geht, findet der Verkäufer im Drogeriemarkt, ist die Sache mit | |
dem Klopapier: Jeden Morgen füllten sie die Regale auf, „kurz nach Öffnung | |
um 8 Uhr ist alles leergehamstert“. Bei Desinfektionsmitteln sei es das | |
Gleiche. Dabei hängt am leeren Toilettenpapier-Regal sogar ein Zettel mit | |
dem Hinweis, es würden pro Person maximal 2 Packungen verkauft. „Die kommen | |
mit der Familie hier rein, da nimmt sich jedes Mitglied eine Packung“, | |
mutmaßt eine junge Frau. Eine ältere Dame schließt sich dem Gespräch an. | |
„Warum machen die Leute das?“, fragt sie in die Runde. „Man muss doch | |
solidarisch sein.“ | |
## „Bleiben Sie gesund“ | |
Ortswechsel: An Pankows Einkaufsmeile zwischen Rathaus und Kirche haben die | |
meisten Läden ihre Türen verriegelt. Meist klebt ein – mal | |
handgeschriebener, mal kopierter – Zettel von innen am Schaufenster, mit | |
immer ähnlichem Text: „Liebe Kundinnen und Kunden … auf Grund der aktuellen | |
Situation … behördliche Anordnung … leider vorübergehend geschlossen.“ | |
Manche, wie „Blume 2000“ im Rathauscenter, schicken noch ein „Bleiben Sie | |
gesund“ hinterher. Andere, zumeist Bekleidungsläden, erinnern fettgedruckt | |
an ihren „e-shop“, wo man sie jetzt besuchen könne. Das Reisebüro | |
hinterlässt eine Telefonnummer im Fenster: Man solle gerne anrufen, falls | |
man noch eine Reise buchen möchte – fragt sich bloß, wohin eigentlich noch. | |
Aus Sicht der Ladenbetreiber*innen gewährt die neue Landesverordnung | |
offenbar einen gewissen Spielraum – zumindest hat im Center ein | |
Sportartikelhändler seine Türen geöffnet. Er verkaufe schließlich auch | |
Fahrradbekleidung, sagt der Verkäufer, der ein wenig einsam zwischen den | |
Turnschuhen steht, weil ohnehin kaum Kund*innen unterwegs sind. | |
Fahrradgeschäfte stehen tatsächlich auf der Ausnahmeliste, dieses hier ist | |
streng genommen eher keines. | |
Auch der Uhrmacher hat geöffnet – er darf, er wird zum Handwerk gerechnet. | |
Der Telefonladen nebenan hat dagegen geschlossen. Was ist eigentlich | |
wichtiger, fragt sich die Passantin: die Uhr zu reparieren oder das | |
Smartphone? Und was ist mit dem Computer? Gerade jetzt müssen die doch | |
funktionieren, wo alle im Home Office arbeiten und die Kinder über | |
irgendwelche e-Learning-Plattformen büffeln sollen? Was muss, damit das | |
System läuft, was kann weg? | |
## E-Zigaretten als Alternative | |
Der Lampenladen gegenüber der Kirche wartet jedenfalls auch noch auf | |
Kundschaft. „Warum eigentlich?“ Na, sagt der Verkäufer, er repariere ja | |
auch. Handwerk – oder? So ganz genau wisse er es ehrlich gesagt nicht, sagt | |
er, im Zweifel warte er aufs Ordnungsamt, da wolle er schon klare Ansagen | |
haben, bevor er schließt. | |
Dasselbe sagt ein paar Ecken weiter der junge Mann, der Liquids für | |
E-Zigaretten verkauft. „Wie stehen gleichzeitig auf der Whitelist und der | |
Blacklist“, so seine Überzeugung, denn viele Aromen, die er im Angebot | |
habe, gälten formal als Lebensmittel. Dass Tabakwarenläden vom | |
Öffnungsverbot ausgenommen seien, findet er absurd. Ins Schaufenster hat er | |
ein Zitat des CDU-Europaabgeordneten Peter Liese geklebt, der aus aktuellem | |
Anlass dazu aufgefordert, spätestens jetzt mit dem Rauchen aufzuhören: | |
Covid-19 schlage bei Rauchern besonders hart zu. E-Zigaretten seien aber | |
„eine gute Alternative“. | |
Und noch ein Ortswechsel: Bei OBI in Waidmannslust herrscht ein gelassenes | |
Kommen und Gehen, es fühlt sich nach einem Ferienwochenende an. Auch | |
etliche ältere Menschen, die eigentlich zu den am stärksten von Sars-CoV-2 | |
gefährdeten Gruppen gehören, sind darunter. Die meisten besorgen ein paar | |
Blumen oder Zubehör für den Garten. | |
## Abstandhalter im Baumarkt | |
Auf Schildern, die überall im Markt verteilt sind, bittet die Marktleitung | |
um einen Abstand von zwei Metern zu anderen Kund*innen und | |
Mitarbeiter*innen. Wenn die Einkaufenden aneinander vorbeigehen, hält das | |
praktisch niemand ein – vielen Gesichtern sieht man aber an, dass die | |
Menschen lieber kurz die Luft anhalten, als eine Tröpfcheninfektion zu | |
riskieren, so unwahrscheinlich diese auch sein mag. | |
Ob Einlassbeschränkungen geplant sind? Der Mitarbeiter am Einlass-Tresen | |
will sich dazu nicht äußern. Er könne nur die Marktleitung fragen, die sei | |
aber gerade in einer Krisenbesprechung. An den Kassen zeigt sich aber, dass | |
sich hier jemand durchaus Gedanken gemacht und das – unter anderem mit | |
Material aus dem Warenbestand – vorbildlich umgesetzt hat: Die Kund*innen | |
werden von Absperrelementen in einer Reihe gehalten, auf dem Boden | |
markieren Streifen von schwarz-gelbem Band Warteabschnitte mit | |
ausreichendem Abstand. Und an den Fließbändern trennen gezimmerte | |
Holzrahmen mit Scheiben aus dünnem Plexiglas das Kassenpersonal von den | |
Einkaufenden. Alles selbst erdacht? „Ja klar, gewusst wie“ verkündet ein | |
Mann mit Akkuschrauber stolz und tritt dabei einen Schritt zurück. | |
18 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
Anna Klöpper | |
Susanne Memarnia | |
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