# taz.de -- Ausstellung über Klimafolgen: Wasser ist museumsreif | |
> Das Hamburger Museum am Rothenbaum untersucht mit „Wasser Botschaften“, | |
> ob sich indigenes Wissen für modernen Wasserschutz nutzen lässt. Es | |
> gelingt. | |
Bild: Kämpfen gegen die Schädigung des Wassers: die Pacific Climate Warriors | |
HAMBURG taz | Gut, versuchen wir mal, ohne Allgemeinplätze über Wasser zu | |
schreiben. Also ohne Phrasen wie „Wasser ist wertvoll. Wasser nährt uns. | |
Wasser ist bedroht. Wasser ist heilig.“ | |
Heilig, wirklich? Ist es ja gerade nicht beziehungsweise nur noch selten, | |
wie die aktuelle Ausstellung „Wasser Botschaften“ in Hamburgs „Museum am | |
Rotherbaum. Kulturen und Künste der Welt“ (MARKK) zeigt. Dort präsentiert | |
sich eine Schau, die zunächst wie ein unsortierter „Treibsand“-Mix aus | |
Exponaten wirkt. Bei näherem Hinsehen erschließt sich die Idee: In der aus | |
Fischernetzen, abstrahierten Flussläufen und Stränden gezimmerten | |
Ausstellungsarchitektur soll es bewusst nicht linear, stringent, | |
systematisch zugehen, sondern assoziativ. Es geht ums Umschalten auf ein | |
synthetisches Denken, das die Unsortiertheit und Unwägbarkeit der Natur | |
einkalkuliert. | |
Dazu haben die KuratorInnen ein Konglomerat aus Museumsbeständen und | |
aktuellen Künstler- und Designerstimmen erstellt. Das war recht aufwendig, | |
denn beim Gang durchs Museumsdepot wurde klar, dass die Bestände | |
geografisch, aber nicht inhaltlich geordnet sind – auch nicht zum Thema | |
„Wasser“. In naturkundlichen Museen ist das anders. Deren Archive basieren | |
oft auf der Akribie einstiger kolonialer ForscherInnen, die jeden Käfer, | |
jeden Halm der vorgefundenen Region [1][katalogisierten], um daraus | |
gezogene Erkenntnisse für die Handelsinteressen des globalen Nordens zu | |
nutzen. | |
## Bewahrtes Wissen zurückholen | |
Für die Bestände ethnografischer Museen galt das nicht. Das in ihnen | |
bewahrte Wissen über die Verbindung von Mensch und Natur interessierte | |
kaum. Dies zurückzuholen sind die Hamburger KuratorInnen angetreten und | |
haben, zum Beispiel, mehrere Wassergeist-Masken amerikanischer | |
Ersteinwohner aufgestellt, um – abgesehen von deren Ästhetik – ein | |
alternatives Statement zu setzen. Denn hier geht es nicht um Exotisierung | |
und unseren Voyeurismus, sondern umgekehrt: Die Masken sehen uns an, zeigen | |
Präsenz als Ritualgegenstände, die vom Respekt für Flüsse, Seen, Meere | |
zeugen. | |
Dazu tönen rituelle Wasserhuldigungs-Gesänge der Video-Installation „Somos | |
Atrato“ von Germán Arango Rendón durch den Raum. Er erzählt vom Kampf | |
afro-kolumbianischer Gemeinden und amerikanischer ErstbewohnerInnen für den | |
Schutz des Flusses Atrato, den Quecksilber und Zyanid aus industriellem | |
Goldabbau der 1980er-Jahre verseuchten. Neben einer Wasserzeremonie zeigt | |
das Video auch Menschen, die Boot fahren, im Wasser spielen, es genießen, | |
trotz allem. | |
„Leben mit dem Wasser“ ist diese Abteilung überschrieben, und das ist und | |
war nicht immer gemütlich: Stelzenhäuser hat man zum Beispiel in Bangladesh | |
entworfen, um Menschen vor den Überschwemmungen des Monsuns zu retten. Auf | |
Warften – aufgeschütteten Hügeln – stehen wiederum die Häuser und Höfe … | |
nordfriesischen Halligen. | |
Bremer Studierende haben sich im Zuge der Ausstellungsvorbereitung eine | |
Woche lang dort aufgehalten, um das Leben mit der ständigen [2][„Land | |
unter“-Gefahr] zu erkunden. Ein Video des bedrohlich nahen, wilden Meers | |
ist dabei entstanden. Seine tosenden Wellen erinnern an Muskeln eines | |
wütenden Wesens – vielleicht an einen Wassergeist? | |
Wenn ja, dann gerät er gerade qua Klimawandel außer Rand und Band, und wenn | |
der Meeresspiegel weiter steigt, werden Stelzenhäuser und Warften nicht | |
mehr standhalten. Auch auf den flachen Atollen des Pazifiks wird die Flucht | |
ins Landesinnere dann nicht mehr möglich sein. Und wenn andererseits die | |
Gletscher schmelzen und den Meeresspiegelanstieg beschleunigen, müssen auch | |
Grönlands BewohnerInnen wegziehen, weil Robben und Fische – ihre | |
Lebensgrundlage – dezimiert und unerreichbar werden. | |
## Ein Abgesang auf den Gletscher | |
Zwei Künstlerinnen und Klimaaktivistinnen – Kathy Jetñil Kijiner von den | |
Marshall-Inseln und die Grönländerin Aka Niviâ – stellen in ihrem | |
Videogesang genau diesen Zusammenhang her und zitieren zwischendurch aus | |
alten Wassererzählungen ihrer Länder. Eindringlich beschwören sie Völker | |
und Politiker dieser Welt, dem Einhalt zu gebieten, statt im Fernsehen zu | |
beobachten, wie ihrer beider Heimat verschwindet. | |
Anderswo kämpfen AktivistInnen des globalen Südens um Zugang zu sauberem | |
Wasser. In Chile, inzwischen auch in Brasilien, sticken Frauen der | |
„Bewegung von Staudämmen betroffener Menschen“ ihre Lebensgeschichte. Eines | |
der Stickbilder erzählt vom Leben am [3][Rio Doce], einst ein klarer, | |
nährender Fluss. 2015 brach der nahe gelegene Fudao-Damm und erzeugte eine | |
Lawine aus Millionen Kubikmetern Bergwerksschlamm der Eisenerz-Mine der | |
Firma Samarc. Sie zerstörte mehrere Dörfer und verseuchte den Rio Doce für | |
Jahrzehnte. Das erwähnte Stickbild zeigt links die helle, frohe | |
Dorfgemeinschaft der Vergangenheit. Rechts sieht man dasselbe Dorf, als | |
düstere Welt mit verzweifelten Menschen und toten Fischen. Vollständig | |
entschädigt sind die Betroffenen bis heute nicht. | |
Es ist eine von vielen aktuellen Varianten des Kolonialismus – wobei die | |
Ausstellung diesen Begriff erweitert: Einerseits steht er generell für die | |
Ausbeutung von Menschen – ob durch auswärtige Unternehmen oder eigene | |
Eliten, die daran mitverdienen. Andererseits nimmt sie auch die | |
Kolonisierung der Natur in den Blick, durchbuchstabiert anhand des Wassers | |
als ohne Gegenleistung auszubeutendes Objekt. | |
Um diese Gegenleistung wieder hereinzuholen, hat etwa Ecuador 2008 als | |
weltweit erster Staat auf Druck indigener AktivistInnen die [4][Rechte der | |
Natu]r in die Verfassung geschrieben. 2017 erhob dann Neuseeland den | |
Whanganui-Fluss zur Rechtsperson – gleichfalls auf Betreiben indigener | |
AktivistInnen. Beide Gesetze basieren auf der Vorstellung der Natur als | |
überindividueller Ganzheit mit inhärentem Recht auf Schutz. | |
## Wasser wird Rechtsperson | |
Auch in Europa gibt es [5][Ansätze]: 2022 bekam die spanische | |
Salzwasserlagune Mar Menor den Status einer Rechtsperson. In der | |
Ausstellung setzt eine lange Papierrolle mit einer „Allgemeinen Erklärung | |
der Wasserrechte“, die verschiedene Organisationen formulierten, ein | |
starkes Zeichen. Und jetzt beginnt man zu begreifen, dass die Schau | |
tatsächlich eine Antwort gibt auf die Frage, wie indigenes Wissen beim | |
Umgang mit klimawandelbedingten Wasserproblemen helfen kann: indem man sich | |
wieder verbindet, sich wieder identifiziert – zunächst mit einzelnen, nahe | |
gelegenen Flüssen, Bergen. Später, hoffentlich, irgendwann als Menschheit | |
mit der Natur insgesamt. | |
In anderen Worten: Wer den Fluss einst qua Tabu schützte, um die | |
Wassergeister günstig zu stimmen, ehrt sie heute als Rechtsperson, das ist | |
die „moderne“ Variante. Man knüpft an die „alten“ Wertvorstellungen an, | |
sucht sie gerichtsfest zu machen. | |
Vor diesem Hintergrund wirken auch Wasser-Zeremonien der gegen den Abbau | |
fossiler Brennstoffe kämpfenden AktivistInnengruppe „Pacific Climate | |
Warriors“ an Ölpipeline-Terminals hoch aktuell. Denn Respekt vor der Natur | |
und Gesetze zu ihrem Schutz bedingen und verstärken einander. Womit wir | |
wieder beim synthetischen Denken wären. | |
18 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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