# taz.de -- Küstenschützerin über Sturmflut: „Kein Deich war gefährdet“ | |
> Sturmtief Zeynep hat an Nord- und Ostsee für eine Sturmflut gesorgt. Auf | |
> die war man gut vorbereitet, erklärt Küstenschützerin Birgit Matelski. | |
Bild: Zeynep war gewaltig – aber die Küstenschützer*innen bereiten sich auf… | |
taz: Frau Matelski, haben Sie dieses Wochenende durchgearbeitet? | |
Birgit Matelski: Ja, von Freitag auf Samstag schon. Selbst Montagnacht | |
saßen zwei Kollegen ab drei Uhr im Büro. Sie haben die Wasserstände | |
beobachtet. | |
Zeynep brachte die schwerste Sturmflut seit fast zehn Jahren. Wie haben | |
Westküste und Tideelbe das überstanden? | |
Zu keiner Zeit war ein Deich gefährdet, obwohl die Flut an einigen Stellen | |
die höchste in diesem Jahrhundert war. Das klingt dramatisch. Aber wir | |
Küstenschützer sehen das nüchterner: Eine Sturmflut gehört für uns zur | |
Routine. Und im Vergleich zu den Fluten, auf die wir uns vorbereiten, war | |
diese niedrig – in Anführungszeichen. | |
Auf welche Art von Sturmfluten bereiten Sie sich vor? | |
Auf unwahrscheinlich schwere. Solche, die statistisch gesehen nur einmal | |
in 200 Jahren auftreten. Ihre Höhe berechnen wir alle zehn Jahre neu, auf | |
Basis des aktuellen Wasserstands. | |
Bund und Länder gehen davon aus, dass der Meeresspiegel bis zum Ende des | |
Jahrhunderts um 61 bis 102 Zentimeter steigen wird. Was würde das bedeuten? | |
Wenn der Wasserspiegel steigt, laufen Sturmfluten höher auf. Auch ein | |
höherer Seegang ist dann möglich, Sturmfluten hätten mehr Energie. Das | |
bedeutet eine größere Belastung für die Deiche. An die passen wir sie an. | |
Wie? | |
Wesentlich sind die Höhe, die Breite und die Neigung eines Deichs. Es darf | |
nicht zu viel Wasser über den Deich laufen, denn auf der Binnenböschung ist | |
er am anfälligsten für Wellenschlag. Deshalb müssen die Wellen schon | |
vorher, auf der Außenseite gebrochen werden. Das erreicht man mit einer | |
flachen Außenböschung. An ihr läuft sich eine Welle sozusagen tot. Wir | |
bauen nun einige Landesschutzdeiche zu Klimadeichen aus. Die funktionieren | |
nach dem Baukasten-Prinzip. Man kann oben eine Kappe drauf setzen, die | |
einen Meter hoch ist. Wenn das nicht reicht, kann man die Außenböschung | |
weiter abflachen. | |
Wie viele Deiche müssen so ausgebaut werden? | |
In Schleswig-Holstein haben wir 430 Kilometer Landesschutzdeiche. Wir haben | |
jeden Abschnitt geprüft, mit dem Ergebnis: Insgesamt 93 Kilometer müssen | |
verstärkt werden. Zwanzig Kilometer haben wir seit 2012 ausgebaut, es | |
bleiben also noch 73 Kilometer. Als nächstes sind zum Beispiel Maßnahmen | |
auf Eiderstedt und in Friedrichskoog geplant. Bis alles fertig ist, dauert | |
es bestimmt 30 Jahre. | |
Ist das noch rechtzeitig? | |
Auf jeden Fall. Laut Prognosen steigt der Meeresspiegel erst in der zweiten | |
Hälfte des Jahrhunderts rasanter an. | |
Welche Rollen spielen natürliche Elemente, etwa Salzwiesen, für den | |
Küstenschutz? | |
Salzwiesen bis zu 200 Meter vor der Küste nehmen Energie aus den Wellen und | |
schützen so die Deiche. Wo Vorland ist, müssen wir Deiche nicht ganz so | |
hoch bauen. Deshalb pflegen wir es. Ich würde aber noch weiter draußen | |
anfangen: beim Wattenmeer, dem sogenannten flächenhaften Küstenschutz. Ohne | |
das Watt hätten wir viel höhere Wasserstände und viel höhere Wellen. | |
Deshalb wollen wir es in seiner Größe und Höhe erhalten. Wie – darüber | |
denken wir gerade nach. | |
Durch Zeynep sind auch einige Dünen abgebrochen. | |
Ja. Wie schlimm diese Abbrüche sind, können wir noch nicht sagen. Für eine | |
Bilanz ist es zu früh. Grundsätzlich sind Vordünenabbrüche an den sandigen | |
Küsten kein Thema. Es wäre natürlich schön, wenn sie länger hielten, aber | |
dafür sind sie da: zum Verschleiß bei Sturmfluten. Sie lassen sich | |
wiederherstellen. Dafür nehmen wir Sand aus dem Meer, aus einer | |
Entnahmestelle westlich von Sylt. Der wird vor den Strand gespült. Außerdem | |
setzen wir Sandfangzäune aus Reisig, damit sich die Vordünen wieder | |
aufbauen können. Wenn Randdünen abbrechen, also Steilufer wie das Rote | |
Kliff auf Sylt, tut das mehr weh: Diese Dünen sind dann weg. | |
Der Küstenschutz kostet im Jahr zwischen 75 und 80 Millionen Euro. Wird das | |
in Zukunft noch mehr werden? | |
Das kann ich mir vorstellen. Wir kriegen Geld vom Bund, ein bisschen von | |
der EU und einiges vom Land. Da muss man sicherlich ran, wenn man sich an | |
den Klimawandel anpassen will. | |
Wie steht die Bevölkerung zum Küstenschutz und seinem Preis? | |
Wir schützen mit den Deichen ein Viertel der Landesfläche. Von daher ist | |
das Verständnis da. Jeder hier kennt Geschichten von den Eltern, Oma oder | |
Opa über die großen Sturmfluten. | |
Gibt es auch Gebiete, die Sie langfristig nicht vor dem Wasser schützen | |
können? | |
Wir sind überzeugt: Selbst auf den Halligen, die am meisten gefährdet sind, | |
werden wir es für dieses Jahrhundert schaffen. Der Plan dazu ist da. | |
21 Feb 2022 | |
## AUTOREN | |
Anaïs Kaluza | |
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