# taz.de -- Aufnahme von Flüchtlingen in Kommunen: Noch mauert der Bund | |
> Viele Kommunen wollen aus Seenot gerettete Flüchtlinge aufnehmen. Doch | |
> eine Entscheidung des Innenministeriums steht noch aus. | |
Bild: Geflüchtete erreichen Griechenland | |
BERLIN taz | „Klar kann man Resolutionen verabschieden, das geht schnell. | |
Wir wollen aber die Ärmel hochkrempeln und wirklich helfen“, sagt Pit | |
Clausen. Angesichts der katastrophalen Lage in den Flüchtlingslagern in | |
Griechenland will der Oberbürgermeister von Bielefeld und SPD-Politiker | |
erreichen, dass seine Kommune Geflüchtete von dort aufnehmen kann. Und | |
nicht nur er will das: Am vergangenen Dienstag hatten sich auf seine | |
Einladung Vertreter*innen von 16 nordrhein-westfälischen Städten in | |
Bielefeld getroffen, darunter Dortmund, Köln, Krefeld und Münster. | |
Sie alle gehören zu den rund 30 Städten in Nordrhein-Westfalen, die sich | |
schon in der Vergangenheit im Rahmen der Aktion „Seebrücke“ zu „sicheren | |
Häfen“ erklärt haben – zu Städten also, die bereit sind, aus Seenot | |
gerettete Flüchtlinge zusätzlich zum in Deutschland geltenden | |
Verteilungsschlüssel aufzunehmen. Nun wollen sie die Hilfe ausweiten: auf | |
Menschen in den Flüchtlingslagern der Mittelmeer-Anrainerstaaten. Also etwa | |
die Menschen, die derzeit unter katastrophalen Bedingungen in Lagern auf | |
den griechischen Inseln hausen. | |
„Die Situation auf dem Mittelmeer hat sich verändert“, sagt Clausen der | |
taz. Matteo Salvini sei nicht mehr italienischer Innenminister und private | |
Seenotrettungsschiffe könnten wieder Häfen anlaufen. Das Problem sei zwar | |
noch nicht gelöst – aber entschärft. | |
„Deswegen wollten wir gucken, wo wir das Engagement, das wir jetzt ja | |
aktiviert haben, am besten einbringen können“, sagt Clausen. Und da sei man | |
auf die völlig überfüllten und schlecht versorgten Lager auf den | |
griechischen Inseln gekommen. Besonderen Fokus wollen die Kommunen dabei | |
auf unbegleitete Minderjährige legen. „An solchen humanitären Notlagen | |
mitten in Europa kann doch keiner einfach vorbeigehen“, sagt Clausen. | |
## Keine Antwort von Seehofer | |
Viele Kommunen haben im letzten Jahr gefordert, bei der Entscheidung über | |
die Aufnahme von Geflüchteten aus Seenot beteiligt zu werden. Mehr als 130 | |
haben sich inzwischen zu „sicheren Häfen“ erklärt, viele | |
Bürgermeister*innen haben an Bundesinnenminister Horst Seehofer geschrieben | |
– ohne je eine Antwort zu bekommen, wie Anfang des Jahres Potsdams | |
Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) im Haus der Bundespressekonferenz | |
beklagte. | |
Denn die Kommunen können viel fordern – sie brauchen die Zustimmung von und | |
Zusammenarbeit mit Landesregierung und Bundesinnenministerium (BMI). Rund | |
40 dieser 130 Städte haben sich zum Bündnis „Städte sicherer Häfen“ | |
zusammengeschlossen. Man werde sich am 28. Januar endlich mit dem | |
Bundesinnenministerium treffen, um über mehr Mitbestimmung für die Kommunen | |
zu diskutieren, hatte Potsdams Oberbürgermeister Schubert verkündet. Nun | |
wurde das Treffen offenbar verschoben – ein neuer Termin steht noch aus. | |
Das BMI hatte sich lange bedeckt gehalten. Ein Sprecher hatte Mitte Januar | |
erklärt, Minister Horst Seehofer (CSU) begrüße die Aufnahmebereitschaft der | |
Kommunen. Um deren Wunsch zu entsprechen, sei das Bundesamt für Migration | |
und Flüchtlinge (Bamf) seit Jahresbeginn angewiesen worden, den | |
Bundesländern aufnahmebereite Kommunen zu benennen, damit diese | |
Schutzsuchende dorthin verteilen könnten. | |
In Bielefeld ist Pit Clausen zuversichtlich. Obwohl Nordrhein-Westfalens | |
Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, Joachim Stamp | |
(FDP), diese Woche erklärt hatte, wer Bootsflüchtlinge bevorzugt aufnehme, | |
der „provoziert, dass sich noch mehr Menschen in Hoffnung auf ein besseres | |
Leben auf die Lotterie um Leben und Tod im Mittelmeer einlassen“. Das habe | |
ihn überrascht, sagt Clausen. In anderen Interviews hätte er den Minister | |
gesprächsbereit erlebt, und das sei auch weiterhin seine Auffassung. | |
Bei ihrem Treffen am Dienstag sei Stamps Staatssekretär Andreas Bothe | |
anwesend gewesen. „Ich bin zuversichtlich, dass wir das Erforderliche – die | |
Zustimmung der Landesregierung nämlich – erreichen können. Wir machen da | |
etwas, von dem wir glauben: Das geht wirklich“, sagt Clausen. „Auch auf | |
Bundesebene nehme ich wahr, dass von allen Seiten mit einer gewissen | |
Bestürzung wahrgenommen wird, unter welchen Bedingungen Menschen in einem | |
EU-Land untergebracht werden.“ | |
Im Brandenburger Landtag forderten am Dienstag die drei | |
Koalitionsfraktionen von SPD, CDU und Grünen in einem Antrag ebenfalls die | |
Aufnahme von minderjährigen Flüchtlingen von den griechischen Inseln. Die | |
Landesregierung solle gemeinsam mit dem Bund die Voraussetzungen für eine | |
Aufnahme in Kreisen und kreisfreien Städten klären. | |
„Uns geht es von Beginn an darum, das Leid an den EU-Außengrenzen zu | |
beenden“, sagt Liza Pflaum von der Aktion „Seebrücke“, hinter der sich d… | |
„sicheren Häfen“ versammeln. „Es ist deswegen genau die richtige Richtun… | |
wenn die Gemeinden ihren Fokus erweitern und neben der Seenotrettung auch | |
alle anderen Menschen in den Blick nehmen, die an den EU-Außengrenzen in | |
Not sind.“ | |
## Auch CDU-Bürgermeister dafür | |
Die Hilfsbereitschaft der Kommunen ist dabei unabhängig von Parteibüchern; | |
unter den „sicheren Häfen“ sind auch Städte mit CDU-Bürgermeistern. Bonn | |
etwa. „Für mich gilt nach wie vor, was Bonn gemeinsam mit Köln und | |
Düsseldorf schon im Sommer 2018 in einem Brief an die Kanzlerin deutlich | |
gemacht hat: Bei der Seenotrettung geht es um einen Akt der Humanität“, | |
sagt Bonns Oberbürgermeister Ashok Sridharan der taz. „Wir können Menschen | |
nicht sehenden Auges ertrinken lassen.“ In den Kommunen sei man „nicht so | |
parteitaktisch unterwegs“, sagt der Bielefelder Clausen. „In humanitären | |
Notlagen sind wir alle gefragt. Da geht es nicht um eine politische | |
Richtung, sondern um Haltung.“ | |
Diese Haltung nehmen auch viele Städte und Landkreise in Niedersachsen an. | |
Mehr, als die Bereitschaft zu bekunden, können die einzelnen Kommunen | |
aktuell jedoch nicht tun, berichtet Sven Jürgensen. Der Pressesprecher der | |
Stadt Osnabrück zur taz: „Wir haben uns dazu bereit erklärt, mehr | |
Flüchtlinge aus der Seenotrettung aufnehmen zu wollen. | |
Die Bereitschaft unsererseits ist da, alles andere liegt jedoch nicht mehr | |
in unserer Hand. Wir können nicht selbst dort hinfahren und entscheiden, | |
wer bei uns unterkommt.“ Er fordert die Bundesregierung auf, eine | |
Entscheidung zu treffen und mit den anderen Staaten der Europäischen Union | |
eine flächendeckende Lösung zu finden. | |
Bislang seien 67 aus Seenot gerettete Personen im von der SPD und CDU | |
geführten Bundesland aufgenommen worden, heißt es aus dem | |
Innenministerium. 502 seien es bundesweit. 21 Gemeinden und vier | |
Landkreise aus Niedersachsen wollen oder sind dem Städtebündnis „Sichere | |
Häfen“ beigetreten. | |
In einer Stellungnahme erklärt das Innenministerium, die Landesregierung | |
sei sich der Verantwortung bewusst und bereit, in Seenot geratenen | |
Geflüchteten zu helfen. Das Ministerium verweist auf die Europäische Union | |
und auf den Bund, die Umsetzung voranzutreiben. Es bleibe die Verpflichtung | |
der EU, eine gemeinsam getragene Lösung zu finden. Ob und unter welchen | |
Bedingungen Menschen in Not in der Bundesrepublik Aufnahme finden und auf | |
die Bundesländer verteilt werden, liege wiederum in der Zuständigkeit des | |
Bundes. | |
Pro Asyl, die Landesflüchtlingsräte und der Bundesfachverband unbegleiteter | |
minderjähriger Flüchtlinge betonen, wie hoch die Aufnahmebereitschaft in | |
den Kommunen sei – und kritisieren die „Blockadehaltung“ des | |
Bundesinnenministeriums: „Wer jetzt die Aufnahme verweigert, trägt dazu | |
bei, dass die Kinder- und Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen | |
immer weiter andauern. | |
Kindeswohl und Kindesschutz enden aber nicht an der Landesgrenze. Es ist | |
unsere humanitäre Pflicht, jetzt zu handeln.“ Sie fordern außerdem ein Ende | |
der Hotspots an den Außengrenzen der EU und stattdessen den Zugang zu | |
Asylverfahren innerhalb der Europäischen Union. | |
## Antrag der Linken abgelehnt | |
Pro Asyl berichtet, Länder und Kommunen seien bereit, unbegleitete Kinder | |
und Jugendliche aus Griechenland aufnehmen zu wollen. Das teilten Berlin, | |
Niedersachsen und Thüringen in einem Schreiben an Bundesinnenminister | |
Seehofer Anfang Dezember mit. Weitere Bundesländer, darunter Brandenburg | |
und Rheinland-Pfalz, sowie mindestens 15 Kommunen, darunter die Städte | |
Frankfurt (Oder), München und Freiburg, schlossen sich der Aufnahmeabsicht | |
an. | |
Ein im Bundestag eingebrachter Antrag der Linken-Fraktion zur schnellen | |
Aufnahme unbegleiteter Flüchtlingskinder aus den EU-Hotspots in | |
Griechenland wurde indes mit den Stimmen der Regierungsparteien sowie der | |
AfD und FDP abgelehnt. Linke und grüne Abgeordnete stimmten für das | |
Vorhaben, das außerdem eine Abschaffung des Hotspot-Konzepts sowie der | |
Flüchtlingsvereinbarung mit der Türkei vorsah. In der Begründung der | |
CDU/CSU-Fraktion heißt es, man wolle das EU-Türkei-Abkommen nicht kündigen. | |
Man wolle höhere Zuzüge von Flüchtlingen verhindern, außerdem sei die | |
Situation auf den Inseln heute besser als noch 2015. | |
3 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
Jonas Julino | |
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