| # taz.de -- Aufbruch beim Staatsballett Berlin: Wärst du lieber Bär oder Andr… | |
| > Sprung in andere Zeiträume: Mit Tanzstücken von Alexander Ekman und | |
| > Sharon Eyal kann das Staatsballett Berlin neue Seiten zeigen. | |
| Bild: Szene aus „Strong“ von Sharon Eyal im Berliner Staatsballett | |
| Das Staatsballett Berlin, seit dieser Spielzeit [1][von Sasha Waltz] und | |
| Johannes Öhman geleitet, verändert sich. Zwischen den klassischen | |
| Handlungsballetten wie „Der Nussknacker“ von Tschaikowsky oder „La | |
| Bayadère“ stehen jetzt häufiger Arbeiten von zeitgenössischen Choreografen | |
| auf dem Spielplan, darunter [2][Jefta van Dinther] und Emanuel Gat, die man | |
| in Berlin zuvor eher während des Festivals Tanz im August oder im HAU sehen | |
| konnte. | |
| Am Sonntag (8. Dezember) hatten nun zwei Stücke von Alexander Ekman aus | |
| Schweden und [3][Sharon Eyal aus Israel] in der Staatsoper Unter den Linden | |
| Premiere, die das Potential des Ensembles anders als in vielen | |
| zurückliegenden Jahren einsetzten und aus der Ballettromantik vorwärts in | |
| neuere Zeiträume schossen. Beide Choreografen haben schon für große | |
| Tanzensembles und Ballettcompagnien gearbeitet. | |
| Alexander Ekmans Stück „Lib“ für vier Ballerinen und einen Solisten rührt | |
| nicht nur mit der Musik an die Hippiezeit, sondern auch mit Kostümen aus | |
| langen Haaren von dem auf Haariges spezialisierten Künstler Charlie Le | |
| Mindu. Doch bevor die Zotteln zum wild schwingenden Einsatz kommen, treten | |
| die vier Tänzerinnen auf Spitze an, als ginge es um einen | |
| Leistungswettbewerb in Beinhöhe, Spagat und Sprüngen, die tatsächlich auf | |
| der Spitze landen, das tut doch weh! Zwischendurch flattern die Hände, | |
| wölben sich die Arme, winkeln sich die Ellbogen, trippeln die Füße auf der | |
| Stelle, als wären sie junge Schwäne ohne Federn. | |
| ## Eine spielerische Wildheit | |
| Es ist eine Mischung aus vorgeführtem Drill und romantischen Gesten, die | |
| hier anders vernäht sind, in einem hellen Laborlicht. Dann aber kommt mit | |
| den langen Mähnen eine spielerische Wildheit auf, die Strähnen verlängern | |
| die Armschwünge, falten die Piouretten in große Figuren auf, umgeben die | |
| Körper in den Sprüngen mit vielen kleinen Wirbeln, lassen jedes Rollen des | |
| Beckens und der Pobacken weithin sichtbar werden. | |
| Es entsteht eine pittoreske und barocke Verzierung jeder Bewegung. Sie hat | |
| durchaus noch etwas mit dem Ursprung des Balletts als höfische Kunst aus | |
| der Zeit der Allongeperücken zu tun, aber auch mit karnevalesken | |
| Verwandlungen. Es ist eine Leichtigkeit, Sexyness und Verrücktheit in | |
| diesen Bildern, die vorher nicht da war. Und doch knüpft dieses Feiern | |
| einer Befreiung (auf die der Titel „Lib“ wie Liberation anspielt) mit | |
| seiner animalischen Energie auch wieder an die Romantik an und ihre | |
| Sehnsucht nach Transzendenz des irdischen Körpers. | |
| „Strong“ nennt die Choreografin Sharon Eyal ihr Stück, passend für dieses | |
| strenge Exerzitium für 17 Tänzerinnen und Tänzer, die fast fünfzig Minuten | |
| lang miteinander einen Körper, ein Corps de ballet bilden, das ebenso viel | |
| von einer Maschine wie von einer amorphen Masse hat, aus der erkennbare | |
| Individuen nur für Momente herausragen, sich ausstülpen aus dem | |
| vibrierenden, dampfenden, stampfenden Haufen Mensch. | |
| ## Die Körper stehen unter Spannung | |
| Die Bühne ist anfangs dunkel, nur ein Streifen Licht erfasst die | |
| Oberkörper, erst langsam erkennt man, wie viele es sind. In das Schwirren | |
| von Stimmen mischt sich ein Beat, der immer durchdringender wird in langen | |
| Technosequenzen. Die Körper stehen unter Spannung, die Rippen sind | |
| rausgedrückt, oft werden die Becken vorgeschoben, jeder Muskel ist | |
| angespannt. Selbst die Hände, die an den Hals greifen, sich an die Hüften | |
| oder unter die Brust legen, wirken wie aus Eisen. So viel Energie ihre | |
| Körper auch zu durchlaufen scheint, nie ist sie expressiv nach außen | |
| gerichtet, sondern wird eng am Körper gehalten. | |
| Sind das Androide der Zukunft, die in einer Clubnacht versuchen, den | |
| Zuständen von Ekstase und Trance auf die Spur zu kommen? Sind das auf einem | |
| fernen Stern vergessene Irdische, die von etwas träumen, was sie zwischen | |
| den Zeiten verloren haben? Manchmal halten sie, in den weit gespreizten | |
| Knien tief gebeugt, an, fast friert das Bild ein, bis ganz kleine Ruckler, | |
| wie unterirdische Vibrationen durch die Gruppe hindurchgehen, als stünden | |
| sie alle auf dem Dach bebender Maschinen, die in ihnen weiter schwingen. | |
| Interessant machte den Abend, wie unterschiedlich sich Alexander Ekman und | |
| Sharon Eyal auf die Geschichte des Balletts und die Versprechen des Tanzes | |
| bezogen. Während bei Ekman das Rauschende, Animalische, nicht Einzufangende | |
| letzten Endes das Spiel bestimmen durfte, verschluckt bei Eyal am Ende | |
| Dunkelheit die Gruppe. Auf ihrem Weg ist das Programm, dem alle gehorchen, | |
| immer stärker als die kurzen Momente der Einzelnen. Es ist eine düstere | |
| Vision vom Hybriden zwischen Technik und Mensch, die nach dem Ende des | |
| Menschen kommen könnte. | |
| 11 Dec 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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