| # taz.de -- „Arisierungs“-Profiteur Kühne + Nagel: Gedenken unterm Firmens… | |
| > Das Mahnmal für die „Arisierung“ jüdischen Eigentums wurde am Sonntag in | |
| > Bremen in Sichtweite der Zentrale von Kühne + Nagel eingeweiht. | |
| Bild: Am Ende eines langen Weges: die Einweihung des Mahnmals für die „Arisi… | |
| Bremen taz | Weit über 300 Menschen haben in Bremen am Sonntag an der | |
| Einweihung des [1][Mahnmals für die „Arisierung“ jüdischen Eigentums] | |
| teilgenommen, oder wie es im Behördendeutsch heißt „Mahnmal zu Erinnerung | |
| an die massenhafte Beraubung europäischer Jüdinnen und Juden durch das | |
| NS-Regime und die Beteiligung bremischer Unternehmen, Behörden und | |
| Bürgerinnen und Bürger“. | |
| Die Bremer Politik und Behörden haben sich eine Initiative zu eigen | |
| gemacht, die einst in der Bremer Redaktion der taz entstanden war und die | |
| die taz in enger Abstimmung mit der [2][Jüdischen Gemeinde Bremen] über die | |
| vergangenen acht Jahre immer wieder auch gegen starke Widerstände | |
| vorangebracht hat. | |
| Kern des Konflikts war dabei immer, wie dicht das Mahnmal an den Stammsitz | |
| des weltweit agierenden Logistikkonzerns Kühne + Nagel heranrücken darf, | |
| der von der Ausplünderung der europäischen Juden im großen Stil profitiert | |
| hat und ihr entscheidende Wachstumsimpulse verdankte, seine Rolle darin | |
| aber bis heute bagatellisiert oder ganz leugnet. | |
| Das Mahnmal nach dem Entwurf von Evin Oettingshausen ist ein beklemmend | |
| enger Schacht in der Weser-Kaimauer geworden. An seinen Wänden sind | |
| schemenhaft die Schatten von Möbelstücken zu sehen, die dort einmal | |
| gestanden haben könnten – an einer Straße praktisch zu Füßen der | |
| Konzernzentrale. | |
| ## „Überzeugender Entwurf“ | |
| Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) lobte beides, den | |
| „überzeugenden“ Entwurf und auch den Ort. Er freue sich, dass das Projekt | |
| nach achtjähriger Dauer zu einem guten Abschluss“ gekommen sei. | |
| Oettingshausen widersprach: Mitnichten sei es ein Abschluss, vielmehr ein | |
| Anfang. Die Auseinandersetzung über die Geschichte könne nun beginnen, | |
| müsse nun, nach acht Jahren freiwilligen Engagements, aber endlich auch mit | |
| finanziellen Mitteln hinterlegt werden. Die Webseite [3][geraubt.de] | |
| beispielsweise, die vorerst die noch fehlenden Infotafeln zum Mahnmal | |
| ersetzen muss, wurde bislang komplett unentgeltlich erstellt. | |
| Grigori Pantijelew, Vertreter der jüdischen Gemeinde, trat mit seinem | |
| Mikrofon so weit zurück, wie es das Kabel erlaubte, reckte sich nach hinten | |
| und ließ den Blick an der Fassade des vor wenigen Jahren neu errichteten | |
| Stammsitzes von Kühne + Nagel nach oben schweifen, bis zum gewaltigen | |
| Firmenlogo. „Was ich sehe, ist ein kleines Mahnmal und ein großes, ich | |
| würde sogar sagen: ein protziges Gebäude von Kühne + Nagel“, sagte | |
| Pantijelew. „Ich mache mal einen Deutungsvorschlag: Das ist die Geschichte | |
| von David und Goliath. Sie können ja sehen, wer gewonnen hat.“ | |
| Er habe auch von ernstzunehmenden Menschen verschiedentlich „das böse Wort | |
| von der Stigmatisierung“ gehört. Warum werde nur ein einzelnes Unternehmen | |
| dazu „eingeladen“, sich an der Auseinandersetzung über die Geschichte zu | |
| beteiligen? „Aber das stimmt nicht“, sagte Pantijelew, „die Kunst kann uns | |
| alle einladen und verführen, uns damit zu beschäftigen.“ | |
| ## Die Freiheit des Mäzens | |
| Einem Mäzen stehe es natürlich frei, einen Fußballverein zu sponsern oder | |
| einen Elfenbeinturm in der Elbe, spielte Pantijelew auf das Engagement des | |
| heutigen K+N-Mehrheitsgesellschafters Klaus-Michael Kühne beim HSV und für | |
| die Elbphilharmonie in Hamburg an. Er könne sich aber auch an der | |
| Erinnerungskultur in der Stadt seines Stammsitzes beteiligen. | |
| Henning Bleyl, Initiator des Mahnmals und ehemaliger taz-Redakteur in | |
| Bremen, zeichnete noch einmal nach, wie K+N selbst unfreiwillig den Anstoß | |
| gegeben hatte: Mit seiner opulenten 125-Jahr-Feier unter völliger | |
| Ausblendung der Jahre 1933–45. „Kühne + Nagel hat die Bühne selbst | |
| bereitet, wir haben sie nur betreten.“ Es gehe aber um weit mehr, nämlich | |
| um eine „Beutegemeinschaft“: „Wer die Wohnung von Menschen leerräumt, ge… | |
| davon aus, dass sie nicht wiederkommen – und will es auch nicht.“ | |
| Bovenschulte bot eine politische Deutung an: Das NS-Regime war keine | |
| Diktatur, die nur auf Druck und Gewalt beruhte, und auch nicht nur auf | |
| ideologischer Verblendung, sondern die Zustimmung zum Regime kam wesentlich | |
| auch durch die ökonomischen Vorteile zustande, die jeder einzelne durch die | |
| Aneignung jüdischen Besitzes haben konnte. | |
| Für Barbara Maass ist das bis heute ein schwieriges Thema. Die Enkelin des | |
| früheren jüdischen K+N-Teilhabers Adolf Maass, der 1933 aus der Firma | |
| gedrängt worden war und später im Vernichtungslager Auschwitz ermordet | |
| wurde, war zur Einweihung des Mahnmals aus Kanada angereist. Ihr Vater habe | |
| ihr wenig über das Schicksal ihrer Großeltern erzählt, sagte sie, weil er | |
| seinen Kindern eine einigermaßen normale Kindheit habe ermöglichen wollen. | |
| „Aber der brennende Schmerz über die Ermordung seiner Eltern hat ihn nie | |
| losgelassen“, sagte sie. „Ich glaube, dass er ständig an sie gedacht hat, | |
| die ganze Zeit, und daran, dass er es nicht geschafft hat, sie aus | |
| Deutschland herauszuholen.“ | |
| ## „Diese Dinge haben meinem Vater alles bedeutet“ | |
| Vor ihrer Internierung 1938 hatten Adolf und Käthe Maass einen Teil ihres | |
| Besitzes an Verwandtschaft im Ausland schicken können – Möbel, Bücher, | |
| Porzellan und Kunstgegenstände. „Diese Dinge haben meinem Vater alles | |
| bedeutet“, sagte Maass. „Wir haben das damals gar nicht verstanden.“ | |
| Erst seit Kurzem sei sie selbst in der Lage, über die Shoah zu lesen, sagte | |
| die 69-Jährige. Im Nachlass ihres Vaters habe sie einen Brief seiner Mutter | |
| gefunden, datiert vom 1. September 1939, dem Tag an dem Deutschland den | |
| Zweiten Weltkrieg begann. Sie schrieb an ihre Kinder: „Lebt, wie ihr es für | |
| richtig haltet und macht euch keine Sorgen um uns. Wenn alles vorüber ist, | |
| sehen wir uns hoffentlich wieder.“ An dieser Stelle bricht die Stimme von | |
| Barbara Maass kurz. „Ich glaube, wir brauchen diese Geschichten“, sagt sie | |
| später, „wenn wir verhindern wollen, dass so etwas wieder geschieht.“ | |
| 10 Sep 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Arisierungs-Mahnmal-in-Bremen/!5956447 | |
| [2] /60-Jahre-Bremer-Synagoge/!5793985 | |
| [3] https://www.geraubt.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Kahlcke | |
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