# taz.de -- Umstrittene CDU-Abgeordnete Kudla: Verstörende Rebellin | |
> Bettina Kudla twittert krudes Gedankengut. Sogar der Bundesinnenminister | |
> fordert eine Entschuldigung. Ein Besuch in ihrem Berliner Büro. | |
Bild: Bettina Kudla in ihrem Berliner Abgeordnetenbüro | |
Berlin taz | Bettina Kudla spricht langsam. Nicht nur bedächtig, sondern | |
auch etwas abgehackt. Ihre Pausen sind unnatürlich lang. Vielleicht, weil | |
ihre Aussagen in letzter Zeit häufig Anlass zur Kritik gaben und sie ihre | |
Worte nun sorgfältig abwägt. Auf Twitter äußerte sich die Leipziger | |
CDU-Bundestagsabgeordnete Mitte September harsch: „Cansel #Dünnschiss, | |
pardon, Can #Dündar sagt, #Beitrittsverhandlungen mit #Türkei nicht | |
abbrechen. Wissen wir selbst.“ | |
Von ihrer Wortwahl hat sie sich distanziert, so spreche sie normalerweise | |
gar nicht. „Ich wollte Can Dündar auch nicht verunglimpfen, sondern auf ein | |
allgemeines Problem aufmerksam machen“, sagt sie fast zwei Wochen später in | |
ihrem Bundestagsbüro im Paul-Loebe-Haus in Berlin. Anlass für den Tweet war | |
ein Beitrag im „Heute-Journal“, in dem der türkische Journalist im Exil | |
über die Türkeipolitik der Bundesregierung sprach. | |
Kudla kritisiert, dass vor allem in den öffentlich-rechtlichen Medien zu | |
selten gewählte Volksvertreter des Bundestags – also Mitglieder der | |
CDU/CSU-Fraktion oder der SPD – zu Wort kämen. Außerdem möchte sie die | |
Politik von Präsident Erdoğan nicht von Deutschland aus beurteilen. „Man | |
sollte sich dann äußern, wenn die Türkei ihre Stabilität mit überzogener | |
Gewalt erreichen würde.“ Ob man bei 150.000 entlassenen Beamten nicht von | |
überzogener Gewalt sprechen könne? „Dabei wäre ich vorsichtig, wenn zur | |
Debatte steht, ob diese Menschen in Zusammenhang mit dem Militärputsch | |
stehen.“ | |
Die 54-Jährige wirkt etwas streng. Ihre Kaffeetasse und ihr Wasserglas | |
rührt sie während des Gesprächs nicht an – erst, als sie erzählt, was sie | |
politisiert hat, kommt sie kurz ins lockere Reden. Geprägt wurde sie in | |
ihrer Jugend von Henry Kissinger, dem US-amerikanischen Außenminister der | |
siebziger Jahre. Kissinger hat sie für die große Politik begeistern können, | |
damals ging es vor allem um den Kalten Krieg. | |
## Die Sache mit der Umvolkung | |
Kudla spricht von Glück, von großen Chancen, als dann in Leipzig die | |
friedliche Revolution begann. Das war der Anlass für sie, im Osten Politik | |
zu machen. Eigentlich kommt sie aus München. Dort ist sie geboren, dort hat | |
sie Betriebswirtschaft studiert. Danach arbeitete sie in Halle an der Saale | |
und wurde 2005 Finanzbürgermeisterin in Leipzig. 2009 zog sie mit 33 | |
Prozent für ihren Wahlkreis im Leipziger Norden in den Bundestag ein. 2013 | |
erhielt sie sogar 40 Prozent der Erststimmen, wie sie stolz erzählt. | |
Den Can-Dündar-Tweet hat sie noch versucht zu erklären – zu ihrer Äußerung | |
aus der Woche möchte sich Kudla gar nicht äußern. Sie schrieb auf Twitter: | |
„Bundeskanzlerin #Merkel streitet es ab, #Tauber träumt. Die #Umvolkung | |
Deutschlands hat längst begonnen. Handlungsbedarf besteht!“ Das Wort | |
„Umvolkung“ wird eigentlich nur in rechtsradikalen Kreisen genutzt und | |
stammt aus dem Wörterbuch des Nationalsozialismus. Kudla löscht den Tweet | |
nach zwei Tagen. Es hatte Kritik von allen Seiten gehagelt. | |
Daniela Kolbe, die SPD-Bundestagsabgeordnete, die ebenfalls aus Kudlas | |
Wahlkreis im Leipziger Norden kommt, zeigt sich geschockt. Man neige ja | |
dazu, bestimmtes Verhalten als einmaligen Ausfall zu erklären. Was jetzt | |
bei Frau Kudla passiert, ist Kolbe unerklärlich: „Ich frage mich, wie es um | |
ihren geistigen Zustand bestellt ist.“ | |
Sogar Politiker aus der eigenen Partei finden so klare Worte. Frank Tornau | |
sitzt für die CDU im Leipziger Stadtrat – er bezeichnet den Tweet als | |
„verstörend“ und befürchtet, dass Kudla den Begriff der „Umvolkung“ g… | |
genau kannte. „Wenn das ein Ausrutscher gewesen wäre, wäre es das Normalste | |
der Welt gewesen, sich am nächsten Tag zu entschuldigen. So muss man davon | |
ausgehen, dass sie es durchaus einzuordnen weiß.“ | |
## Ehrung aus der Türkei | |
Auch der CDU-Generalsekretär Peter Tauber und der Geschäftsführer der | |
CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer, haben sich direkt | |
distanziert. Grosse-Brömer bezeichnet den Tweet als „unsäglich“, will aber | |
diese Woche noch mal mit Kudla persönlich sprechen. Dann soll über mögliche | |
Konsequenzen entschieden werden. | |
Der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder erklärte gegenüber Spiegel Online, | |
es gebe momentan noch keinen Grund, Kudla aus der Partei auszuschließen. | |
Ende Oktober soll auf einem Wahlkongress der Leipziger Direktkandidat für | |
die Bundestagswahl 2017 nominiert werden. Die CDU-Stadträte Michael | |
Weickert und Jens Lehmann haben schon Interesse an ihrem Mandat bekundet. | |
Kudla ist in diesem Jahr schon mehrfach aufgefallen. Im Juni hatte sie als | |
einzige Bundestagsabgeordnete gegen die Armenien-Resolution gestimmt. In | |
dieser Resolution hat die Bundesregierung das, was 1915 im Osmanischen | |
Reich geschah, erstmals als Völkermord an den Armeniern bezeichnet. | |
Daraufhin wurde ihr die Ehrenbürgerschaft in einem türkischen Dorf | |
angeboten. Dieselbe Ehrenbürgerschaft, die dem Grünen-Chef Cem Özdemir | |
gerade entzogen worden war. Er stimmte für die Resolution. | |
## Verständnis für Gauland | |
Kudla stellt sich gerne als Rebellin dar. Aber ihre Pause vor dem folgenden | |
Satz ist besonders lang: „Ich schwimme nicht immer mit dem Strom, sondern | |
sage meine eigene Meinung deutlich und lasse mich nicht abschrecken.“ So | |
sprach sie sich Anfang des Jahres gegen eine Lichterkette durch die | |
Leipziger Innenstadt aus, die ein Zeichen für die Willkommenskultur und für | |
ein Europa der offenen Grenzen setzen sollte. Weil die Lichterkette „die | |
Bemühungen der Bundesregierung um eine Reduzierung […] der | |
Asylbewerberzahlen torpediert“ hätte. | |
Sie warnte auch davor, die Aussage des AfD-Politikers Alexander Gauland | |
über den Nationalspieler Jérôme Boateng falsch zu interpretieren; Gauland | |
hatte Mitte des Jahres gesagt: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler | |
gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben“ – und Kudla | |
hatte Verständnis: „Ich glaube, es ging ihm im Kern darum, dass Leute | |
Bedenken haben, dass zu viele Migranten nach Deutschland ziehen.“ Rassismus | |
sieht sie darin nicht. | |
Die Sorgen der Bürger ernst nehmen, niemanden vorschnell in die rechte Ecke | |
stellen; Phrasen, die auch Kudla nachdrücklich wiederholt – und ausführt. | |
Sie habe auch erlebt, wie schnell Bürger jegliche Höflichkeit gegenüber | |
einem Politiker vergessen. „Das wundert mich ein bisschen und zeigt mir, | |
dass tiefe Bedenken vorhanden sind, sonst würde sich nicht so eine | |
Aggression aufstauen.“ | |
Kurz nach dem Dündar-Tweet sagte sie in einem Interview mit der Leipziger | |
Volkszeitung, mit der AfD verbinde sie „nichts“. Nun kommen laut | |
Bild-Zeitung aber Avancen von dort – Beatrix von Storch, Vizechefin der | |
Partei, sagte der Zeitung: „Jeder kann sich mal im Ton vergreifen, aber | |
grundsätzlich sind konservative Abgeordnete bei uns willkommen.“ Vielleicht | |
wird dann nicht nur „völkisch“ endlich wieder positiv besetzt, sondern auch | |
„Umvolkung“. | |
2 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Sarah Emminghaus | |
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