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# taz.de -- Antisemitismus in Europa: Mord an Jüdin schockiert Frankreich
> Die 85-jährige Holocaust-Überlebende Mireille Knoll wurde am Freitag tot
> aufgefunden. Die Ermittler gehen von einem antisemitischen Motiv aus.
Bild: Mireille Knoll ist als Kind nur knapp der Deportation entkommen
Paris taz | Es musste sich um ein Verbrechen gehandelt haben. Davon ging
die Polizei aus, nachdem die Feuerwehr am vergangenen Freitag die teilweise
verkohlte Leiche einer 85-jährigen Frau in ihrer Wohnung im 11.
Arrondissement von Paris gefunden hatte. Am Tatort war an mehreren Stellen
Feuer gelegt worden, die Tote wies Stichwunden auf. Doch nicht nur die
Gewalt gegenüber einer älteren, auf einen Rollstuhl angewiesenen Frau
schockiert Frankreich: das Opfer, die Jüdin Mireille Knoll, ist womöglich
wegen ihrer Religion getötet worden.
Die Ermittlungsbehörden haben bestätigt, dass eine Untersuchung wegen
vorsätzlicher Tötung mit antisemitischen Motiven eröffnet wurde. Die
Pariser Staatsanwaltschaft hat am Dienstag offiziell mitgeteilt, dass
bereits zwei am Wochenende festgenommene Tatverdächtige in
Untersuchungshaft sitzen. Nun rollt der Fall die Debatte über
Antisemitismus in Frankreich neu auf.
Nach Angaben ihres Sohns war Mireille Knoll als Kind nur knapp der
Deportation entkommen, als im Juli 1942 die französische Polizei bei einer
Razzia als willfährige Helferin der Nazis Tausende von Juden verhaftete und
vor einem Weitertransport in Konzentrationslager im Pariser Stadion Vel
d’Hiv festhielt. Knoll konnte mit ihrer Mutter fliehen. Nach einem Exil in
Portugal war sie nach dem Krieg nach Paris zurückgekommen und hatte einen
Mann geheiratet, der das Konzentrationslager Auschwitz überlebt hatte.
Der 28-jährige Verdächtige, der als Erster bereits am Samstag festgenommen
wurde, war dem Opfer als junger Nachbar vertraut. Ihr Sohn Alain hat
gegenüber der Nachrichtenagentur AFP sogar erklärt, seine Mutter habe
diesen Jungen seit dessen siebten Altersjahr gekannt und „wie ein
Familienmitglied betrachtet“. Dieser war wegen Sexualdelikten vorbestraft.
Er soll sich mit seiner Nachbarin, die seine Vermieterin war, kürzlich
wegen ausstehender Zahlungen gestritten haben, gab Sammy Ghozlan von der
Überwachungsstelle für Antisemitismus an.
Geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass dieser mutmaßliche Täter und
sein Komplize womöglich aufgrund immer noch verbreiteter antisemitischer
Vorurteile glaubten, dass ihr Opfer als Jüdin Wertsachen besaß? Das war bei
einem anderen Fall für die Täter ausschlaggebend: 2006 entführte die
Vorstadtbande „Gang der Barbaren“ aus solchen Gründen den jungen Juden Ilan
Halimi, um ihn nach einer erfolglosen Lösegelderpressung zu Tode zu
foltern.
## Tausende wandern nach Israel aus
Dass die Staatsanwaltschaft jetzt den strafverschärfenden antisemitischen
Charakter des Verbrechens sogleich bestätigt hat, wurde in der jüdischen
Gemeinde mit einer gewissen Erleichterung zur Kenntnis genommen. Die
Behörden zeigen damit zumindest, dass sie die wachsende Gefahr von
Aggressionen und Gewalt gegen jüdische Bürger sehr ernst nehmen. In einem
ähnlichen Fall 2017, beim Mord an der 65-jährigen Jüdin Sarah Halimi-Attal
in Paris, hatten ihrer Ansicht nach Justiz und Medien zu lange gezögert,
den antisemitischen Charakter der Tat einzuräumen.
„Nie wieder“ schwören die jeweiligen Regierungsvertreter nach jedem
aufschreckenden antijüdischen Verbrechen. Auch dieses Mal bekräftigte
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron aus Anlass des „schrecklichen
Verbrechens“, er sei „absolut entschlossen, gegen den Antisemitismus zu
kämpfen“. Leichter gesagt als getan: In gewissen Quartieren, wo Juden,
Muslime und Christen lange reibungslos miteinander auskamen, können es
heute die Juden aus Angst vor Bemerkungen oder Aggressionen nicht
riskieren, am Sabbat unbehelligt mit einer Kippa auf die Straße zu gehen.
Nicht zuletzt wegen dieser latenten antisemitischen Bedrohung wandern jedes
Jahr Tausende von französischen Juden nach Israel aus. Nach den
islamistischen Attentaten von 2015 erreichte ihre Zahl 7.800, seitdem ging
diese aber auf jährlich rund 4.000 zurück.
Die jüdische Gemeinschaft in Frankreich zählt rund 500.000 Mitglieder, von
denen fast die Hälfte ab 1960 aus Nordafrika eingewandert ist. Seither sind
die Spannungen mit muslimischen Nachbarn in manchen Wohngegenden im Kontext
des Nahostkonflikts gewachsen.
27 Mar 2018
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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Antisemitismus
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Juden in Frankreich
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