# taz.de -- Antimuslimischer Rassismus in Berlin: Frauen besonders betroffen | |
> Das Netzwerk Inssan hat wegen Corona in 2020 etwas weniger Fälle von | |
> antimuslimischem Rassismus gemeldet bekommen, gibt aber keine Entwarnung. | |
Bild: Das Kopftuch macht muslimische Frauen sichtbarer und damit angreifbarer | |
Berlin taz | Trotz Lockdown und weit gehenden Kontaktbeschränkungen ist die | |
Zahl der Anfeindungen aus antimuslimischem Rassismus in Berlin in 2020 nur | |
leicht zurückgegangen. Das ergibt sich aus der Dokumentation, die das | |
Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit Inssan e.V. am | |
Dienstag im Rahmen der internationalen Woche gegen Rassismus vorgestellt | |
hat. Danach wurden Inssan im vorigen Jahr 228 Vorfälle gemeldet, | |
[1][zumeist online] von Betroffenen, teilweise über andere Anlaufstellen. | |
2019 waren es 265 Meldungen. Seit Beginn der Dokumentation 2016 gab es | |
einen kontinuierlichen Anstieg. „Die Zahlen sind nicht repräsentativ, die | |
Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen“, sagte Projektleiterin Zeynep | |
Cetin. | |
Den „leichten Einbruch“ im vorigen Jahr führte sie auf die veränderten | |
Lebensumstände aufgrund der Corona-Pandemie zurück, sowie darauf, dass | |
Inssan wegen des Lockdowns keine „Empowermentangebote“ machen konnte. Denn | |
viele Betroffene würden die eigene Diskriminierung nicht erkennen, so | |
Cetin. „Auch sind sie in Krisenzeiten mit anderen Dingen beschäftigt.“ | |
Fast die Hälfte der gemeldeten Vorfälle spielt sich im „sozialen Nahraum“ | |
ab, sprich in der Nachbarschaft, auf der Straße, in öffentlichen | |
Verkehrsmitteln. 12 Prozent stammen aus dem Bereich Bildung, 11 Prozent | |
betreffen die Arbeit, 11 Prozent finden online statt. Im zweitgrößten | |
Bereich Dienstleistungen (Mietverträge, Versicherungen, Einzelhandel, | |
Gesundheitswesen) gab es entgegen dem Trend eine Steigerung von 18 auf 38 | |
Fälle – also um über 110 Prozent. | |
Als Beispiel für Letzteres führte Cetin eine Meldung von Oktober 2020 an. | |
Eine Krankenhaus-Mitarbeiterin mit Migrationshintergrund habe von einem | |
Kollegen berichtet, der sich über türkeistämmige Patient*innen | |
beschwert habe mit den Worten: „Die hocken nur aufeinander und stecken sich | |
dann gegenseitig an.“ Zudem seien sie, so der Mann, aufgrund von | |
Sprachproblemen schlecht über die Pandemie informiert und hätten eine | |
geringere Intelligenz. | |
## Frauen weit häufiger betroffen | |
Was die Diskriminierungsgründe angeht, spielt laut Inssan die tatsächliche | |
oder zugeschriebene Religionszugehörigkeit die größte Rolle, 214 Betroffene | |
gaben dies an. 147 meldende Personen waren (auch) aufgrund ihrer | |
zugeschriebenen Herkunft Anfeindungen ausgesetzt und 101 Personen aufgrund | |
ihres Geschlechts. Insgesamt seien Frauen mit 68 Prozent häufiger betroffen | |
als Männer, so Cetin, und Kopftuch tragende Frauen öfter als Frauen ohne. | |
Das Kopftuch mache muslimische Frauen „sehr sichtbar, zudem werden sie als | |
schwach und unterwürfig konstruiert“. | |
Als klassisches Beispiel dafür dürfte eine Meldung von Februar vorigen | |
Jahres dienen: Eine muslimische Frau mit Kopftuch wurde laut Inssan auf der | |
Straße von einem weißen, etwa 50-jährigen Mann angepöbelt mit den Worten: | |
„Du gehörst nicht nach Deutschland.“ Gegenüber muslimischen – oder als | |
solchen gelesenen – Männern, so Cetin, würde man sich dies deutlich | |
seltener trauen, „die gelten ja als aggressiv und streitsüchtig“. Insgesamt | |
kamen 13 Prozent der Meldungen von Männern, der Rest von | |
geschlechtsgemischten Gruppen oder ohne Angabe des Geschlechts. | |
Als Schlussfolgerung aus all dem fordert Inssan gut ein Jahr nach dem | |
rassistischen Anschlag von Hanau, dass „öffentlich geführte | |
antimuslimisch-rassistische Debatten vor allem in Politik, staatlichen | |
Einrichtungen, der Justiz und den Bildungseinrichtungen als solche benannt | |
und entschieden angegangen werden“. Struktureller und institutioneller | |
Rassismus ermögliche und befördere Anfeindungen gegenüber als muslimisch | |
markierte Menschen. | |
Von der Berliner Politik fordert das Netzwerk den Ausbau seiner | |
spezifischen Beratungsstelle, „um Betroffene besser begleiten und | |
unterstützen zu können“. Auch müsse die Dokumentationsstelle ausgebaut | |
werden, damit man auch ein Monitoring, sprich die Auswertung von | |
Medienberichten, leisten könne. Nur so könne das Dunkelfeld zu | |
antimuslimischem Rassismus in den Blick genommen werden. | |
16 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.inssan.de/meldung | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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