# taz.de -- Antikapitalistische Demo in Münchner Nobelvorort: Rote Fahnen in G… | |
> Dort, wo die Reichen residieren, findet am Vorabend des 1. Mai eine Demo | |
> statt. Die Polizei tritt massiv auf, Schaulustige klopfen Sprüche. | |
Bild: Ungewohnter Besuch aus der Stadt im beschaulichen Wohnort der Manager und… | |
GRÜNWALD taz | „Aufruhr, Widerstand – Klassenkampf statt Vaterland“, | |
skandieren die jungen, meist in schwarz gekleideten Menschen immer wieder. | |
Und auch das bekannte „Hoch die internationale Solidarität“. Die Münchner | |
Linksaußen-Szene versammelt sich am Vorabend [1][des 1. Mai] zur | |
„Antikapitalistischen Demonstration“, es ist 19 Uhr. Angesichts von 150 | |
Teilnehmern nichts Besonderes? | |
Der Ort des Geschehens aber sorgte schon im Vorfeld für viel Grinsen – und | |
auch Befürchtungen. Demonstriert wird nicht irgendwo, sondern im Münchner | |
Nobelvorort Grünwald, zentral auf dem Marktplatz. Und geplant ist auch ein | |
Demozug durch die stillen Straßen der Gemeinde mit den hohen Hecken und | |
Mauern vor den Häusern. Grünwald – der Name ist ein Mythos und ein | |
Klischee. Genau hier, in der Villenkolonie, leben die Reichen meist | |
großzügigst und abgeschottet, die Profiteure und Antreiber des | |
Kapitalismus, wie es die Demonstranten sehen. Siemens- und BMW-Manager sind | |
darunter, [2][auch viele kickende Millionäre des FC Bayern München]. | |
Ein neu gegründete Demo-Bündnis ruft auf: „Meet the Rich – 1. Große | |
Umverteilungsparade“. Und auf dem Marktplatz von Grünwald wehen an diesem | |
Freitagabend rote Fahnen mit Hammer und Sichel. Der Anmelder der | |
Demonstration, der seinen Namen nicht nennen möchte, hält von einem alten | |
Lkw herunter eine Rede mit großen Themen. [3][Dass Corona nicht alle gleich | |
trifft, sondern die Armen viel härter], die in Fabriken dicht an dicht | |
arbeiten und beengt leben müssen. Er schwenkt zum Patentrecht und zur | |
„Marktradikalisierung“. Schließlich wandelt er Georg Büchner ab: „Friede | |
den Hütten und Paläste für alle.“ Kein schlechtes Motto für den Rutsch in | |
den 1. Mai. | |
Zu „Meet the Rich“ gehören Gruppen wie „antifascist action“, das | |
„Antikapitalistische Klimabündnis“ sowie FeministInnen. Sabah, eine junge | |
Frau, geißelt in ihrem Redebeitrag die „Kleinfamilie im Kapitalismus“ als | |
ein „patriarchales Konzept“. Derweil ist der Versammlungsleiter Elia Linde | |
immer wieder in Kontakt mit der Polizei, um zu klären, ob der „Spaziergang“ | |
durch die Villenstraßen wegen der Corona-Auflagen stattfinden kann oder | |
nicht. Zugleich kritisiert er das „martialische Auftreten“ der | |
Staatsgewalt. Und Lena, die die ganze Zeit über auf dem Lkw steht, ruft | |
immer wieder: „Haltet die Abstände ein, 1,50 Meter.“ | |
Tatsächlich dürften mehr PolizistInnen als DemonstrantInnen da sein, auch | |
vom USK Bayern – dem Unterstützungskommando, das auf den Einsatz bei | |
schweren Ausschreitungen spezialisiert ist. Immer wieder bauen sie sich in | |
Ketten auf, versperren Teile des Platzes. Grünwalds CSU-Bürgermeister Jan | |
Neusiedl hatte im Vorfeld an das Landratsamt appelliert, die Demo zu | |
verbieten – was dieses nicht tat. Die Behörde teilte mit, dass das | |
Grundrecht der Versammlungsfreiheit „in besonderem Maße dem | |
gesellschaftlichen Minderheitenschutz“ diene. Bekannt ist, dass die | |
Münchner Antifa nicht zu Steinen oder anderem greift. | |
## „Ja, ich bin ein reicher Schnösel“ | |
Der Demo-Zug setzt sich in Bewegung, die TeilnehmerInnen rufen „Bonzen in | |
die Produktion“, werden aber schon wenige Meter direkt vor dem | |
Hotel-Restaurant „Alter Wirt“ gestoppt. Auf dessen Terrasse und an der | |
benachbarten Grünanlage mit Kriegerdenkmal und Stiefmütterchen-Rabatten | |
versammeln sich nun viele, sehr viele einheimische Grünwalder. Sie wollen | |
sich dieses Spektakel anschauen – im Gegensatz zu den DemonstrantInnen | |
häufig ohne Maske und Abstände. Die AntikapitalistInnen auf dem Grünwalder | |
Marktplatz rufen: „Wir enteignen euch alle.“ Hat man das hier schon mal | |
gesehen? | |
Die Grünwalder wissen auch, wie Provokation geht. Eine Frau mittleren | |
Alters schreit: „Arbeiten, arbeiten!“ Ein junger Mann sagt laut und | |
lustvoll: „Ja, ich bin ein reicher Schnösel.“ Er lässt den Korken einer | |
Sektflasche knallen. Einer meint: „Ich will 'nen neuen Rolex-Laden.“ Der | |
Zusammenprall von Klassen ist das nicht, aber schon die Ausstellung von | |
Klassen-Habitus. Weiter hinten meint jemand: „Das ist besser als das | |
Fernsehprogramm.“ | |
Um 20 Uhr verbietet die Polizei den Demo-Spaziergang durch die Straßen des | |
Villenviertels schließlich, weil die Corona-Regeln nicht ausreichend | |
eingehalten würden, die Veranstaltung wird aufgelöst. Auf dem Marktplatz | |
von Grünwald sind viele, viele Menschen, die halbe Ortsjugend. In Grünwald | |
wird man noch lange darüber sprechen. Volksfeste sind in Bayern und | |
anderswo verboten, hier aber fand eines statt. | |
1 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Patrick Guyton | |
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