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# taz.de -- Münchner Vorort Grünwald: Wo die Reichen wohnen
> Der Münchner Vorort Grünwald ist ein Mythos voller Luxus und Protz. Doch
> es gibt auch Normalos, die Blasmusik spielen und Geflüchtete
> unterbringen.
Bild: Blackpool? Blacky im Pool! Grünwald, 1968
München taz | Wenn Thomas Lindbüchl im Urlaub Bekanntschaften macht, dann
sagt er: „Ich komme aus dem Süden von München.“ Damit ist das Thema
beendet. Niemals würde der 56-Jährige Grünwald als Wohnort angeben. Denn
dann brauche er „einige Zeit, um zu erklären, dass es hier nicht nur
Reiche, sondern auch normale Menschen gibt“. Die nicht in der Mega-Villa
leben, sondern wie Lindbüchl, gelernter Bankkaufmann, in der alten, kleinen
Doppelhaushälfte der Großeltern.
Grünwald – der Name der 11.000-Einwohner-Gemeinde südlich von München ist
in ganz Deutschland bekannt. Grünwald ist verrufen oder wird beneidet als
Wohnort der Prominenten, Schauspieler, Manager, reichen Erben und der
bekannten Fußballstars des FC Bayern München. Beim Namen Grünwald rasseln
die Gedanken los: Reichen-Villen, große Pools, exklusive Partys,
Champagner, teure Schlitten in der Tiefgarage – und Steueroase. Ein Ruf wie
Blitz und Donner.
Auch durch die Reichen ist Grünwald das geworden, was es ist. Und die
einheimische Bevölkerung muss damit irgendwie umgehen. „Wir waren immer die
Normalen“, erinnert sich Thomas Lindbüchl. Der Mann mit dem kurzen grauen
Vollbart und dem Ohrring kommt aus Grünwald und wird wohl immer in Grünwald
bleiben. Für die CSU sitzt er im Gemeinderat, ist im Blasorchester aktiv,
bei den „Freunden Grünwalds“ und in der katholischen Maria-Königin-Kirche.
„Viele wollen hier nur wohnen und sich nicht in die Gemeinde integrieren“,
sagt Lindbüchl. Man lasse sich „gegenseitig leben“. Er hatte einen
Schulkameraden „aus der Reichengegend“. Der habe ihn immer wieder mit zu
sich nach Hause genommen ins eigene Hallenbad. Lindbüchl hat dem Freund
dafür die schönen Badestellen an der Isar gezeigt. Am Hochufer des Flusses
verläuft ein gekiester Fuß- und Radweg. Steil geht es weit runter zur Isar,
die wenige Kilometer Richtung Norden München erreicht. Die Aussicht über
das tiefe Tal kann man bewegend schön finden.
## So machen sich Reiche unbeliebt
Gleich dahinter ist eine durch Metallzäune und sechs Meter hohe Hecken
abgeschirmte Baustelle. Ein riesiges Grundstück lässt sich nur erahnen, vor
der Einfahrt steht private Security. Jeder in Grünwald weiß, dass dort eine
Villa für den Sohn eines bekannten Mietwagenunternehmers errichtet wird.
Gebaut wird schon seit Jahren, über die lange Zeit hinweg ist der Ort zum
Ärgernis geworden. So machen sich Reiche unbeliebt.
Ulli Portenlänger hat 33 Jahre lang bis zum März 2022 den „Alten Wirt“ in
Grünwalds Zentrum geführt, eine bayerische Traditionswirtschaft. Am ersten
einigermaßen warmem Tag in diesem Jahr sitzt er im historischen Apfelgarten
des Anwesens. Der 63-Jährige denkt einige Sekunden nach, dann sagt er: „Es
gibt eben die zwei Grünwalds.“ Eine unsichtbare Grenze scheint den Ort zu
trennen.
Früher seien bekannte Schauspieler im „Alten Wirt“ ein- und ausgegangen,
erzählt Portenlänger. In den Bavaria Filmstudios im Norden der Gemeinde
drehten sie Filme. Als Junge hatte er Gert Fröbe gesehen und Heinz Rühmann.
Den Schauspielern folgten Manager und Wirtschaftsbosse, dann die Fußballer.
In Grünwald waren oder sind unter anderem verortet: Joachim „Blacky“
Fuchsberger, Senta Berger, Franz Beckenbauer, Uschi Glas, Karl-Heinz
Rummenigge, Oliver Kahn. Lothar Matthäus trainiert die Grünwalder E-Jugend
samt dem eigenen Sohn. FC-Bayern-Spieler der jüngeren Vergangenheit sind
Franck Ribery, Arjen Robben und Jerôme Boateng.
## Ur-Grüne
Grünwald gehört zu den reichsten Gemeinden Deutschlands. Die
Kinderbetreuungsangebote mit kleinen Gruppen gelten als vorzüglich, der
Ringbusverkehr ist kostenlos, es gibt großzügige Sportanlagen. Das schätzt
auch Ingrid Reinhart, 73 Jahre alt, die vor fast vier Jahrzehnten mit
Familie nach Grünwald gezogen ist, weil sie hier eine bezahlbare Wohnung
gefunden hatte. Sie ist eine Ur-Grüne, gründete den Ortsverband mit, sitzt
seit 1990 im Gemeinderat. Jeder kennt die lebhafte Frau.
Geht es mit ihr ein wenig durch, dann wettert sie über den „Kotz-Reichtum“
und mokiert sich: „Viele Porschefahrer trifft man beim Aldi in Straßlach“,
dem Nachbarort. Doch Reinhart schaut, dass in Grünwald einiges
zusammengehalten wird. Sie steht dem ehrenamtlichen Flüchtlings-Helferkreis
vor. Die neu angekommenen Menschen aus der Ukraine habe man genauso gut
hauptsächlich privat untergebracht wie die Geflüchteten im Herbst 2015.
„Wer zu uns kommt, soll seine Würde behalten“, sagt Reinhart. Viele andere
Gemeinden würden jammern, dass sie mit den Flüchtlingen überfordert seien.
„Wir sind es aber nicht. Das ist auch Grünwald, auch wenn es nicht ins
Klischee passt.“
## Diskret
Für das Geld-Grünwald wiederum stehen die Immobilienmakler. Sie vermitteln
Villen und Baugrund, die Millionen-Euro-Preise kosten. „Diskrete
Abwicklung“ wird garantiert. Auf Portalen findet sich etwa ein
„Herrenhaus“, zehn Zimmer für rund sechs Millionen Euro. Oder ein
Zwei-Villen-Anwesen, 20 Zimmer, 14,5 Millionen.
Im Villenviertel sind die Straßen breit und fast menschenleer. Dafür stehen
SUVs, Porsche und einige Teslas auf den Parkplätzen und in den Einfahrten.
Die meisten Briefkästen haben keine Namen, an einer Villa gibt es Klingeln
mit zwei Begriffen: „Wohnhaus“ und „Hausmeister“. Zu sehen sind
geschwungene Walmdächer, schnörkellose Bungalows, verspielte Schlösschen
oder Prunkbauten, die irgendwie am Neoklassizismus orientiert sein sollen.
In seiner Gesamtheit kommt dieser Wildwuchs einer
architektonisch-ästhetischen Beleidigung gleich.
Eine andere Form von Geld-Grünwald wird in einem Haus an der
Durchgangsstraße nach Bad Tölz praktiziert. Hier gibt es viele
Briefkastenfirmen. Mit einem besonders niedrigen Hebesatz für die
Gewerbesteuer ist die Gemeinde als Steueroase bekannt. Die Masche: Wer
anderswo ein Unternehmen betreibt, eröffnet in Grünwald den Scheinsitz der
Firma, einen Briefkasten. Der [1][Steuerhebesatz], den die Kommunen
festlegen, ist in München bei 490 Prozent und in Grünwald bei
konkurrenzlosen 230. Man zahlt also weniger als die Hälfte Gewerbesteuer.
Das Haus hat an den fünf Briefkästen in winziger Schrift geschätzt 100
Firmennamen angebracht. Menschen sind nicht anzutreffen. Es ist schon
physisch unmöglich, dass so viele Unternehmen hier reale Arbeitsplätze
haben. „Das ist Steuerhinterziehung“, sagt die Grüne Reinhart, „es schre…
zum Himmel.“
## Großfamilie
Darüber und über anderes will der [2][Grünwalder CSU-Bürgermeister Jan
Neusiedl] nicht reden, er ignoriert eine Gesprächsanfrage der taz. Der
CSU-Gemeinderat Thomas Lindbüchl rechtfertigt die Kommunalpolitik: „Ein
Bürgermeister soll und kann sich doch gar nicht vom Gewerbe distanzieren.“
Allein die Briefkastenfirmen machten Grünwald nicht reich.
Obwohl er fast immer hier gelebt hat, ist der Wirt Ulli Portenlänger doch
so etwas wie ein Grünwald-Ausbrecher. Die Entwicklung dauerte eine Weile,
an seinem 50. Geburtstag verließ er seine Frau und die Familie. Seitdem
lebt er mit seinem Freund zusammen, einem Mann aus Kolumbien, die beiden
sind mittlerweile verheiratet.
„Wir sind dabei langsam vorgegangen“, erzählt er, „man muss den Leuten Z…
lassen.“ Es habe keine Anfeindungen gegeben und keinen Rosenkrieg. Jetzt,
so meint Portenlänger, lebten sie in einer „Großfamilie“. Im „Alten Wir…
ist er noch oft, den Azubis gibt er Nachhilfe für die Berufsschule. Und mit
seinem Ehepartner zeigt er sich überall offen. Das geht – in Grünwald.
21 Apr 2023
## LINKS
[1] https://www.dihk.de/de/themen-und-positionen/wirtschaftspolitik/steuer-und-…
[2] https://www.gemeinde-gruenwald.de/rathaus/grusswort/9.Grusswort-des-1.-Buer…
## AUTOREN
Patrick Guyton
## TAGS
München
Grünwald
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Reiche
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Die Wahrheit
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