# taz.de -- Anschläge auf Flüchtlingsheime: Die Täter von nebenan | |
> Wieder wurden am Wochenende Unterkünfte attackiert. Fast täglich gibt es | |
> Angriffe von organisierten Neonazis – und biederen Nachbarn. | |
Bild: Die Flüchtlingsunterkunft im baden-württembergischen Wertheim nach eine… | |
BERLIN taz | Das Großzelt im Bremer Stadtteil Blumenthal war schon | |
aufgebaut, Mitte Oktober sollen erste Flüchtlinge einziehen. Am Wochenende | |
versuchten Unbekannte dies noch zu verhindern: Sie entzündeten | |
Brandbeschleuniger an den Bodenbrettern eines Notausgangs. Das Vorhaben | |
misslang. Das Feuer erlosch von selbst, der Schaden blieb gering. Die Täter | |
jedoch entkamen unbekannt. Wie so oft. | |
Bereits 26 Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte zählt das | |
Bundeskriminalamt (BKA) bundesweit seit Jahresbeginn. Das geht aus internen | |
Daten hervor, die der taz exklusiv vorliegen. Unabhängige Initiativen | |
nennen noch mehr Angriffe. Und diese bedrohen inzwischen auch | |
Menschenleben: Immer mehr Anschläge treffen bewohnte Unterkünfte. In | |
Salzhemmendorf flog ein Molotowcocktail in das Zimmer einer Familie aus | |
Simbabwe. In Freiberg explodierte ein selbstgebauter Sprengsatz in einem | |
Heim, sieben Bewohner wurden verletzt. | |
Das BKA selbst spricht von einer „neuen Quantität und Qualität“ der Taten. | |
Neben den Brandanschlägen zählen die Ermittler noch 59 sonstige | |
Gewaltdelikte gegen Unterkünfte – im gesamten Vorjahr waren es 28. Noch | |
nicht einbezogen ist dabei ein Vorfall aus dem sächsischen Niederau von | |
Freitagnacht: Dort griffen rund 20 Betrunkene vor einer leeren Unterkunft | |
Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks an, blockierten eine Zufahrt mit | |
Autos und versuchten Bauzäune umzureißen. | |
Auch im benachbarten Heidenau gab es einen Angriff auf vier Flüchtlinge in | |
der Innenstadt, einer wurde mit einer Glasflasche geschlagen. Die Polizei | |
sprach von zwei Leichtverletzten. Die Täter flüchteten. | |
Das Problem kehrt immer wieder: Vor allem bei den Brandanschlägen entkommen | |
die Täter fast immer. Nur bei 7 der 26 Angriffe fasste die Polizei bisher | |
Tatverdächtige – insgesamt 20 Männer und Frauen. | |
## Organisierte Neonazis | |
Viele Täter seien strafrechtlich nie auffällig geworden, der Kreis der | |
Verdächtigen sei riesig, klagen die Ermittler. Das BKA beruft sich dabei | |
auf seine Statistik. Zu den sämtlichen asylfeindlichen Straftaten in diesem | |
Jahr ermittelte die Polizei nach taz-Informationen bisher 228 | |
Tatverdächtige. Diese sind hauptsächlich Männer, die Hälfte 18 bis 25 Jahre | |
alt. Nur ein Drittel fiel bisher mit politischen Straftaten auf. 73 Prozent | |
wohnten im gleichen Ort, in dem sie straffällig wurden. | |
So wie der 39-jährige Finanzbeamte aus Escheburg bei Hamburg, der im | |
Februar eine noch unbewohnte Flüchtlingsunterkunft anzündete – in seinem | |
Nachbarhaus. DNA-Spuren an Zündhölzern und einem Kanister überführten ihn. | |
Auch er war vorher nie straffällig geworden. | |
Unter den Gefassten sind aber auch bekannte Neonazis. Im sächsischen | |
Hoyerswerda ermittelte die Polizei drei junge Verdächtige, allesamt | |
polizeibekannt, zwei von ihnen mit rechtsextremen Straftaten. Im Berliner | |
Stadtteil Marzahn wurden zwei Männer und eine Frau gefasst, nachdem sie | |
brennende Holzlatten auf Wohncontainer geworfen hatten. Sie gehören zur | |
rechten Hooligan-Szene, nahmen an Demonstrationen gegen das Heim teil. | |
Auch im brandenburgischen Zossen wurden zwei Bekannte gefasst. | |
Zivilpolizisten beobachten sie bei der Tat. Die Männer hatten drei | |
Container neben der Wand des noch unbewohnten Heims entzündet – und wurden | |
verhaftet. Zwei Neonazis aus dem Kreis, mehrfach mit Straftaten auffällig. | |
Einer von ihnen half im letzten NPD-Wahlkampf. Zwei Wochen vor dem Anschlag | |
war er an einem Angriff von Neonazis auf Gewerkschafter in Thüringen | |
beteiligt. | |
Eine rechtsextreme Struktur hinter den Anschlägen sieht der | |
Verfassungsschutz dennoch nicht. Dafür gebe es keine Hinweise. | |
Linken-Innenexpertin Martina Renner vermutet hinter vielen Anschlägen | |
dagegen „organisierte Neonazis“. Die Täter hätten sich die Gebäude genau | |
angesehen, Fluchtwege ausspioniert und notwendige Brandmittel besorgt – und | |
würden genau deshalb selten erwischt. | |
27 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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