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# taz.de -- Gerichtsprozess wegen Brandanschlag: Alkohol, Rechtsrock und dumpfe…
> Eine alleinerziehende Mutter, ein Arbeiter und ein Feuerwehrmann setzten
> ein Flüchtlingsheim in Brand. Sie sehen sich nicht als rechtsextrem.
Bild: Die drei Angeklagten schieben alles auf den Alkohol.
HANNOVER taz | Der Molotowcocktail muss mit unglaublicher Wucht gegen die
Scheibe des Kinderzimmers geprallt sein. Am 28. August vergangenen Jahres,
gegen 2 Uhr nachts, durchschlug die mit einem perfiden Gemisch aus Benzin,
Heizöl und Sägespänen gefüllte Flasche eine doppelte Isolierglasscheibe.
Sie riss einen Vorhang beiseite und landete direkt unter dem Bett eines
elfjährigen Jungen.
Nur weil das Kind in dieser Nacht im Zimmer seiner Mutter Margeret Murehwa
D. schlief, wurde niemand verletzt: Er hatte Matratze und Bettzeug
mitgenommen. Verkohlt wurde nur der Boden, verraucht nur die Wohnung im
Flecken Salzhemmendorf im Weserbergland nahe Hameln, wo die 34-Jährige
Asylsuchende aus Simbabwe mit ihren drei Kindern auch heute noch lebt.
Drei Angeklagte müssen sich seit dem gestrigen Mittwoch vor dem Landgericht
Hannover für den Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft, in der neben
der simbabwischen Familie etwa 35 weitere Schutzsuchende aus dem Irak, aus
Pakistan, Syrien und von der Elfenbeinküste wohnten, verantworten. Die
Staatsanwaltschaft wirft den zwei Männern im Alter von 31 und 25 Jahren
sowie einer 24-jährigen Frau gemeinschaftlichen versuchten Mord und schwere
Brandstiftung vor. Die „heimtückische“, aus „fremdenfeindlicher Gesinnun…
heraus begangene Tat stehe „sittlich auf tiefster Stufe“, so Staatsanwältin
Katharina Sprave in ihrer Anklageschrift.
Unmittelbar zu Prozessbeginn verlasen die Rechtsanwälte aller drei
Erklärungen, in denen die Angeklagten ihre Tatbeteiligung einräumten –
aufgrund von Augenzeugenberichten waren sie noch am Tattag festgenommen
worden. „Ich war der, der den Molotowcocktail geworfen hat“, ließ der
31-jährige Dennis L., der in einem Nachbarort in einer Gummilagerfabrik
arbeitet, erklären. Auslöser des Mordversuchs könne nur sein heftiger
Alkoholkonsum vor der Tat gewesen sein: Mit dem 25-jährigen Angeklagten
Sascha D., einem Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, will sich L. nach der
Arbeit in seiner Garage getroffen haben – beide hätten Bier und zwei
Flaschen des Billigweinbrands „Springer Urvater“ (Flaschenpreis: 6,49 Euro)
getrunken.
## Schuld soll der Alkohol sein
Zu Bier und Weinbrand habe er zusammem mit Sascha D. Musik der bei Neonazis
und Hooligans beliebten Gruppen „Sturmgewehr“, „Nordfront“ und „Kateg…
C“ gehört. Ob beide dabei mitgrölten, will L. nicht mehr wissen – wegen
seiner „erheblichen Alkoholisierung“ komme ihm der ganze Abend wie ein
„Film“ vor, erinnern könne er sich nur noch an Bruchstücke.
Eines weiß L. aber noch ganz genau: „Wenn der Neger brennt, dann feiere ich
richtig“ – diesen Satz will er nie gesagt haben, auch wenn das seine
Mittäterin Saskia B., die als einzige nüchtern war und die beiden Männer
zum Tatort chauffierte, behauptet: „Das stimmt mit Sicherheit nicht.“
Rechtsextrem sei er auf keinen Fall: Sein bester Freund stamme aus
Armenien, und den Brandanschlag bedauere er „zutiefst“, behauptet L: „Ich
schäme mich. Für die Tat möchte ich mich entschuldigen.“
Ähnlich läuft auch die Verteidigung des arbeitslosen Sascha D., der sich in
seiner Freizeit ausgerechnet bei der freiwilligen Feuerwehr engagiert: Nach
Bier und Weinbrand sei auch er besoffen gewesen – erst in der
Untersuchungshaft habe er erkannt, dass er alkoholkrank sei, sagt der
einstige Hauptschüler ohne Berufsausbildung. Auch er wolle sich für sein
„Fehlverhalten und Versagen“ entschuldigen. Haupttäter sei aber der
autoritär auftretende Dennis L. gewesen, der ihn in der Vergangenheit schon
geschlagen habe – behauptet Sascha D., gegen den noch ein weiteres
Verfahren wegen Körperverletzung läuft.
Ganz und gar unpolitisch gibt sich auch Saskia B.: „Ich habe noch nie
gewählt“, sagt die alleinerziehende Mutter zweier Kinder, die zwar einen
Realschulabschluss, aber ebenfalls keine Berufsausbildung hat. Vor der Tat
habe sie von Hartz IV und Kindergeld gelebt, sei ohne Selbstbewusstsein
gewesen und habe sich den Anweisungen von Dennis L. gebeugt: „Ich habe bis
zum Schluss nicht geglaubt, dass der den Cocktail anzündet und wirft.“
## Es gibt keine Rechtsextremen
Nicht glaubhaft sind die Beteuerungen der drei, unpolitisch und niemals
rechtsextrem gewesen zu sein. In Handy-Chats fantasierte Dennis L., er sei
ein „neuer Hitler“, andere Nachrichten garnierte er mit Hakenkreuzen.
Außerdem hatte er das Bild eines zur Handgranate umfunktionierten
Überraschungseis gespeichert. „Ausländerüberraschung“ stand darauf.
Trotzdem beteuert Salzhemmendorfs parteiloser Bürgermeister Clemens
Pommerening, in seinem Flecken gebe es keine rechte Szene. Den Jugendwart
seiner freiwilligen Feuerwehr, der an dem Brandanschlag nicht beteiligt
war, musste er allerdings entlassen: Bei Facebook hatte der Mann die
rechtsextreme NPD gelikt, war mit Neonazis befreundet und hatte
Rechtsrockbands markiert.
Margeret Murehwa D. und ihre Kinder leiden bis heute unter den Folgen des
Anschlags: Seither habe sie große Angst, könne vor allem nachts nicht
schlafen, sagt die 34-Jährige als Zeugin vor Gericht. Zwar werde sie von
einer Kirchengemeinde und einem Unterstützerkreis gestärkt, lebe jetzt in
einer anderen Wohnung. Ihre Kinder, die in Salzhemmendorf schon vor dem
Anschlag als „Scheißschwarze“ beleidigt worden seien, trauten sich nicht
mehr, draußen zu spielen.
Als der Haupttäter Dennis L. nachfragen lässt, ob sie seine Entschuldigung
wahrgenommen habe und annehmen könne, schaut Margeret Murehwa D. den Mann,
der einen Molotowcocktail in das Kinderzimmer ihrer Wohnung geworfen hat,
direkt an. „Muss ich darauf antworten“, fragt sie dann. Als der Vorsitzende
Richter Wolfgang Rosenbusch Fotos an die Wand wirft, auf denen der
Brandherd unter dem Bettgestell ihres Sohnes zu sehen ist, bricht sie
zusammen, weint auf dem Gerichtsflur. Das Gericht hat drei weitere
Prozesstage angesetzt.
10 Feb 2016
## AUTOREN
Andreas Wyputta
## TAGS
Salzhemmendorf
Niedersachsen
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Schwerpunkt Flucht
Flüchtlinge
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