# taz.de -- Altenpfleger Alexander Wendt über das Betreuungsgesetz: „Immer n… | |
> Ab Januar gilt das novellierte bremische Wohn- und Betreuungsgesetz. | |
> Verbesserungen für Pflegende und Altenheimbewohner verspricht es | |
> allerdings nicht | |
Bild: Ob sie wirklich von einer Fachkraft gepflegt wird? Betreuung im Altenheim | |
taz: Herr Wendt, das neue Wohn- und Betreuungsgesetz geht am heutigen | |
Donnerstag mit einer Änderung in die zweite Lesung: Die Fachkraftquote für | |
den Nachtdienst in der Altenpflege ist von eins zu 50 auf eins zu 40 erhöht | |
worden – ist das eine Verbesserung? | |
Alexander Wendt: Hier ist man ein bisschen auf die Forderungen nach einer | |
besseren Quote eingegangen. Aber: Man muss sich vorstellen, dass man ganz | |
alleine ein Haus mit 40 teils schwerkranken Personen zu versorgen hat, die | |
teilweise drei- oder viermal pro Nacht gelagert werden müssen, wo es | |
Ernährungspumpen, Beatmungsgeräte und so weiter gibt – das ist also immer | |
noch völlig unzureichend. | |
Wie viele Fachkräfte bräuchte man? | |
Erst einmal eins zu 30. Diese Quote wird in manchen Bundesländern ja | |
bereits erfüllt. Und dann sollte sie schrittweise weiter verbessert werden. | |
Es spricht nichts dagegen, das mit einer angemessenen Vorlaufzeit zu planen | |
und so auch ins Gesetz zu schreiben. Nach diesen Vorgaben kann man ja auch | |
ausbilden. | |
Wie stellt sich der Betreuungsschlüssel momentan dar? | |
Ich arbeite in einer Einrichtung für Demente, dort sind ungefähr 70 | |
Menschen. Wir arbeiten mit zwei Nachtwachen, das heißt: eine Fachkraft und | |
ein Pflegehelfer. Demente Menschen sind nachts deutlicher | |
betreuungsaufwendiger als „normale“ Patienten. Da müsste eigentlich | |
bedeutend mehr Personal da sein. Insgesamt haben wir heute fast gar nicht | |
mehr solche Bewohner, die nur alt und ein bisschen gebrechlich sind, also | |
solche, denen man einfach nur ein bisschen beim Toilettengang helfen muss. | |
Wie kommt das? | |
Die Menschen kommen deutlich später in Pflegeheime als früher, was ja auch | |
gut ist. Sie bleiben also länger zuhause, kommen erst dann in ein Heim, | |
wenn sie wirklich krank und pflegebedürftig sind und haben dadurch einen | |
weitaus höheren Betreuungsbedarf als noch in den achtziger oder neunziger | |
Jahren – aber das wird in den Betreuungsquoten überhaupt nicht abgebildet. | |
Erfüllen Sie mit Ihrer jetzigen Nachtbesetzung nicht ohnehin bereits die | |
Quote, die kommen soll? | |
Ja – weil es gar nicht anders geht. Aber es gibt auch Heime, die bislang | |
für hundert Bewohner zwei Nachtwachen hatten, und die müssen künftig eine | |
dritte stellen. Insofern wird es sich dort ein kleines bisschen verbessern. | |
Aber das bedeutet ja nicht, dass es sich dabei um eine vernünftige Quote | |
handelt. | |
Was ist, wenn bei Ihnen jemand krank wird – haben Sie einen | |
funktionierenden Vertretungspool? | |
Wenn jemand krank wird, geht das große Telefonieren los. Bei der | |
Refinanzierung der Kosten für eine Pflegeeinrichtung ist schlichtweg nicht | |
vorgesehen, dass es ja auch Ausfälle durch Krankheit gibt. Deswegen gibt es | |
kein wirklich vernünftig funktionierendes Ausfallmanagement. In der Branche | |
wird viel über Zeitarbeit gelöst, aber hier ist heutzutage zumindest | |
kurzfristig eigentlich niemand mehr zu bekommen. Früher konnte man darüber | |
für die Nacht oder den nächsten Morgen jemanden bekommen, heute werden die | |
KollegInnen oft schon für Wochen oder sogar Monate im Voraus gebucht und | |
stehen dann nicht zur Verfügung. | |
Wie wird kontrolliert, ob die Quoten eingehalten werden? | |
Der MDK, der einmal im Jahr kontrolliert, überprüft die Dienstpläne und | |
auch die Heimaufsicht tut das. Allerdings kommt die natürlich meist nur | |
anlassbezogen, also wenn es ohnehin bereits Probleme gibt. Und ob sie die | |
Pläne tatsächlich vernünftig kontrolliert und dabei auch die individuelle | |
Situation der Einrichtung im Auge hat, wage ich angesichts der knappen | |
Besetzung bei der Bremer Heimaufsicht zu bezweifeln. Dementsprechend wage | |
ich es auch zu bezweifeln, ob tatsächlich überall das vorgeschriebene | |
Minimum an Personal eingehalten wird. | |
Welche Besetzung sieht das novellierte Gesetz für die Tagschicht vor? | |
Hier gibt es sogar eine Verschlechterung. Auf 30 Bewohner sind drei | |
Pflegekräfte vorgesehen, und hier ist jetzt die Möglichkeit geschaffen | |
worden, generell sogar Auszubildende oder sogar Betreuungskräfte auf diese | |
Quote anzurechnen. Bisher wurde immer definiert, wer nicht dazu zählt: Zum | |
Beispiel früher Zivildienstleistende oder heute Bufdis, also Leute, die den | |
Bundesfreiwilligendienst oder ein FSJ absolvieren oder auch Azubis. Das | |
neue Gesetz ermöglicht es, diesen Personenkreis künftig mit einzurechnen. | |
Aber der darf doch in der Regel keine pflegerischen Tätigkeiten ausüben? | |
Nein. Die machen mal eine Ausfahrt oder spielen „Mensch ärgere dich nicht“ | |
oder so – auch wichtige Aufgaben! Aber wenn man die jetzt zu dem zwingend | |
anwesenden Personal dazurechnen darf, ist das sehr schlecht. | |
Kann das, neben der Mehrbelastung für das ausgebildete Personal, auch | |
bedeuten, dass FSJler oder Bufdis Aufgaben übernehmen müssen, die sie | |
eigentlich gar nicht machen dürfen? | |
Die Gefahr besteht zumindest. Man kann da sicher nicht für alle | |
Einrichtungen sprechen, aber was soll denn eine FSJlerin machen, wenn da | |
plötzlich ein Bewohner eine gesundheitliche Krise hat und sich die einzige | |
Fachkraft bei einem anderen Notfall aufhält? Jeder Kopf, der in den | |
Pflegeeinrichtungen vorhanden ist, ist sehr wichtig und willkommen, aber | |
der Gesetzgeber sollte doch formulieren, wie viele Pflegekräfte zwingend da | |
sein müssen! Stattdessen redet er von einer „ausreichenden Zahl von | |
Beschäftigten für Unterstützungsleistungen“ – das bietet Möglichkeiten, | |
Fachpersonal zu sparen oder Ausfälle mit der Anwesenheit von Bufdis zu | |
kaschieren. | |
Ist das ein Zugeständnis zu Gunsten der verbesserten Nachtquote? | |
Das weiß ich nicht, aber ein Zugeständnis ist es bestimmt, einerseits | |
gegenüber den Kostenträgern, also den Krankenkassen und vor allem der | |
eigenen Sozialkasse, andererseits aber auch gegenüber den Heimbetreibern | |
und den Bewohnern und deren Angehörigen, die ja auch für die Heimplätze | |
zahlen müssen. Man muss sich die Frage stellen: Wie viel sind uns unsere | |
alten Menschen wert? Auch die Politik muss sich diese Frage stellen – und | |
diese Debatte sehe ich gar nicht. Man ist dort eher froh, wenn man aus | |
diesem Bereich gar nichts hört. | |
Das Argument gegen höhere Quoten lautet stets, es gebe dafür zu wenig | |
Fachkräfte … | |
Erst einmal gibt es ein Problem mit dem Geld: Einrichtungen, die freiwillig | |
mehr Personal einstellen als gesetzlich vorgeschrieben, bekommen ein | |
Problem mit der Refinanzierung – und ohne die kann sich kein Pflegeheim | |
tragen. Selbst wenn es also genügend Fachkräfte gäbe, hieße das also nicht, | |
dass die auch angestellt würden. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. | |
Aber es herrscht in der Tat Fachkräftemangel. Erstaunlich viele junge Leute | |
kommen in die Pflege, das heißt: sie machen die Ausbildung. Aber die | |
Bedingungen sind so schlecht geworden, dass viele nur sehr kurz in dem | |
Beruf bleiben und man hier gar nicht so viele Menschen ausbilden kann, wie | |
man eigentlich bräuchte. | |
Kann die Alten- und Krankenpflegeausbildung, die ab 2020 eingeführt wird, | |
etwas daran ändern? | |
Ich denke schon. Die generalistische Ausbildung bedeutet: Jeder kann nach | |
seiner Ausbildung dann auch in Krankenhäusern arbeiten. Das wird die | |
Branche umwälzen – hoffentlich zum Guten, zumindest, was die Bezahlung der | |
Pflegenden angeht. Denn Pflegeheime konkurrieren dann eins zu eins mit | |
Krankenhäusern, wo zum Glück häufig noch nach Tarif bezahlt wird. | |
Das novellierte Gesetz wird an der prekären Lage in der Pflege also nichts | |
ändern … | |
Das gesamte Gesetz müsste aus meiner Sicht, also aus Sicht einer | |
Pflegekraft, komplett überarbeitet werden. Schwammige Begriffe müssen da | |
raus und gegen nachvollziehbare Zahlen und Berufsbezeichnungen ausgetauscht | |
werden. Da ist sehr viel nicht greifbar, einiges ist unlogisch – und | |
ohnehin schon eher schlechte Standards werden teilweise sogar noch | |
aufgeweicht. Die Politik hätte hier die Chance gehabt, große Pflöcke | |
einzuschlagen. Die hat sie leider nicht genutzt. | |
7 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
## TAGS | |
Alten- und Pflegeheime | |
Pflege | |
Pflegegesetz | |
Altenpflege | |
Betreuung | |
Heimaufsicht | |
R2G Bremen | |
Pflegeberufe | |
Tarif | |
Pflegekräftemangel | |
Altenpflege | |
Alten- und Pflegeheime | |
Pflegenotstand | |
Heimaufsicht | |
Bremen | |
Pflege | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bremer Pflegeheime ohne Kontrolle: Die Seuche als Krisenhelfer | |
Dank Corona wird Bremens Heimaufsicht aufgestockt. Deren Regelkontrollen | |
sind weiterhin ausgesetzt – aber dieser Pflicht kommt sie eh nicht nach. | |
Koalitionsvertrag in Bremen: Senator für Pflege gesucht | |
Gewerkschaften, Arbeitnehmerkammer und Verbände in Bremen sind enttäuscht | |
darüber, dass beim Thema „Pflege“ an den Ressorts nicht gerüttelt wird. | |
Pflegekräftemangel in Bremen: Nicht akademisch genug | |
In Bremen fehlen bis 2035 tausende Pflegekräfte, rechnet eine Studie vor. | |
Jetzt soll mehr ausgebildet werden. Zudem sollen TherapeutInnen kein | |
Schulgeld zahlen müssen. | |
Streit über Mitbestimmung im Altenheim: Kein Betriebsrat ohne Gott | |
Ein Bremer Altenheim-Betreiber ist aus dem Diakonischen Werk ausgetreten. | |
Einen „weltlichen“ Betriebsrat will er trotzdem nicht wählen lassen. | |
Interview Pflegemissstände in Bremen: „Wo sollen die Leute denn hin?“ | |
Mit einer Schließung des Alloheim-Pflegezentrums Marcusallee ließen sich | |
Missstände nicht lösen, sagt Reinhard Leopold von der Initiative | |
„Heim-Mitwirkung“. | |
Leiharbeit in der Altenpflege: „Ich geh da nicht mehr hin!“ | |
Leiharbeitsfirmen werden für Altenpflegekräfte immer attraktivere | |
Arbeitgeber. Unter anderem bietet sich ihnen dort die Möglichkeit, Einsätze | |
zu verweigern. | |
Pflegemängel in privaten Heimen: Wer kümmert sich um die Senioren? | |
Um die Pflegeheime in Bremen steht es nicht zum Besten – auch, weil deren | |
Betreiber am Personal sparen. Zu ihnen gehört die Altenheim-Kette Alloheim. | |
Nachts im Pflegeheim: Nun doch mehr Fachkräfte | |
Ab 2019 soll in Bremer Pflegeheimen eine Fachkraftquote von 1:40 im | |
Nachtdienst gelten – dabei hatte das grün geführte Sozialressort die | |
Erhöhung der Quote abgelehnt. | |
Kontrolle der Pflegeheime: Mehr Arbeit für wenig Aufsicht | |
Die bremische Heimaufsicht ist personell schlecht aufgestellt. Durch das | |
neue Wohn- und Betreuungsgesetz könnte sie entlastet werden, aber das ist | |
nicht vorgesehen. | |
Mühsame Suche nach Pflegeheimen: Eine Eins heißt nicht „Sehr gut“ | |
Pflegeheim-Benotungen sind intransparent, Prüfberichte bleiben | |
unveröffentlicht. Ein neuer „Wegweiser Pflege“ will Abhilfe schaffen. | |
Pflegemängel bleiben geheim: Keine Transparenz für die Alten | |
Obwohl es im Gesetz steht, werden Berichte der Heimaufsicht über | |
Pflegeeinrichtungen nicht veröffentlicht. Das wird wohl so bleiben. |