| # taz.de -- Alte Möbel auf der Straße: Der Sperrmüll der anderen | |
| > Alte Möbel rauszustellen, statt sie zu entsorgen, hat Tradition – nicht | |
| > nur in Berlin. Doch genau so achtlos funktioniert die Umweltpolitik im | |
| > Großen. | |
| Bild: Sperrmüll auf einer Straße in Berlin | |
| Der Sessel unter der Linde am Rand unserer Straße sieht ganz einladend aus: | |
| Bequem und ein bisschen abgewetzt, aber dafür umsonst: Auf einem Zettel | |
| steht „Zu verschenken!“. Und irgendwo in einem der Häuser in unserer Stra�… | |
| fühlt sich jetzt jemand als Wohltäter: Den armen, sessellosen Menschen in | |
| der Nachbarschaft eine Freude gemacht! Das Möbel, das ja noch gut ist, | |
| nicht auf den Müll geschmissen und so die Kreislaufwirtschaft gestärkt! | |
| Ressourcen geschont, Freude bereitet, die Welt ein bisschen besser gemacht! | |
| Hurra! | |
| Zwei Tage später steht der Sessel immer noch da. Inzwischen hat es dreimal | |
| kräftig draufgeregnet. Die Polster sind vollgesogen, der Dreck von der | |
| Straße ist an ihm hochgespritzt. Aus dem bequemen Sitzmöbel ist ein nasser | |
| Sitzsack geworden, den hoffentlich irgendwann mit spitzen Fingern die | |
| Müllabfuhr entsorgt. Der edle Spender aus der Nachbarschaft hat dafür | |
| wahrscheinlich ein teures Design-Ledersofa in seinem Wohnzimmer stehen. Das | |
| jämmerliche Ende seiner angeblichen Großherzigkeit muss er nicht mehr mit | |
| ansehen. | |
| Dit is Bärlin, wa, saach ich ma als jeborner Hauptstädter. Müll auf die | |
| Straße schmeißen und das als Wohltat zu verkaufen, hat hier schon lange | |
| Tradition. Als wir in Kreuzberg wohnten, waren die Seitenstraßen unser | |
| Second-Hand-Laden, wo man nach alten Schuhschränken für den WG-Flur suchte. | |
| Noch früher tobten wir als Kinder durch den Sperrmüll der Nachbarn, ehe er | |
| von der Müllabfuhr abgeholt wurde. | |
| Aber wenn man ehrlich ist, muss man sagen: Dreck machen, ihn rausstellen | |
| und dann vergessen, hat schon viel länger eine schlechte Tradition. Genau | |
| so funktioniert die „Umwelt“-Politik in allen politischen und ökonomischen | |
| Systemen seit der industriellen Revolution. Früher warf man die | |
| kompostierbaren Abfälle auf den Kompost und lange waren Ressourcen so | |
| knapp, dass man sie recycelte, ehe dieses Wort überhaupt erfunden wurde. | |
| Aber dann hieß es: Wir bauen eine Chemiefabrik an den Rhein und leiten da | |
| unser Gift verdünnt ins Wasser. Wir entsorgen Dünnsäure und alte Munition, | |
| indem wir sie ins Meer kippen. Wir stellen hochgiftigen radioaktiven Abfall | |
| her und parken ihn dann irgendwo, bis jemanden einfällt, wie man ihn | |
| entsorgt. Und, klar: Wir verbrennen Öl, Gas und Kohle und organisieren die | |
| Müllabfuhr scheinbar kostenlos durch den Schornstein oder den Auspuff. | |
| Was in meiner Straße für Ärger sorgt – die Entsorgung per Vergessen – ist | |
| im Gesamtsystem der allgemein akzeptierte Umgang mit unseren toxischen | |
| Hinterlassenschaften. Wer seinen Hund an den Baum kacken lässt, bekommt zu | |
| Recht ein Ordnungsgeld aufgebrummt, falls ihn jemand erwischt. Wer CO2 in | |
| die Atmosphäre bläst, bekam dafür eine behördliche Lizenz und konnte mit | |
| seinen „Emissionsrechten“ lange viel Geld verdienen. Auch die Idee des | |
| „Grünen Punkts“ war ähnlich: Der Dreck muss nur groß genug sein, dann ba… | |
| man um ihn herum ein System auf, mit dem man prima Geld verdienen kann. | |
| „Ich habe das auch mal versucht“, sagt ein Nachbar, als ich ihm von der | |
| Sessel-Entsorgung erzähle. „Einen alten Kinderstuhl rausgestellt. Den | |
| wollte aber keiner. Da habe ich ihn nach ein paar Tagen wieder reingeholt, | |
| jetzt steht er im Keller.“ Sehr lobenswert. Aber der Mann hat anscheinend | |
| gar nichts verstanden: weder Berlin noch den Kapitalismus. | |
| 13 Oct 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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