# taz.de -- Liebe für ausgesetzte Möbel: Wenn zwei sich finden | |
> Einsame Stühle, verirrte Kuscheltiere – in das Herz unserer Autorin | |
> passen so ziemlich alle Dinge. Nur leider nicht in ihr Zuhause. Ein | |
> Dilemma. | |
Bild: Stolz oder stoisch? Ein ausgesetzter Sessel | |
Meinen Couchtisch habe ich vor elf Jahren auf Ebay Kleinanzeigen | |
geschossen. Für nur einen Euro. Er ist aus Kiefer, 1,32 Meter lang und 54 | |
Zentimeter hoch. Seither sind wir zweimal umgezogen, sogar die Stadt haben | |
wir gemeinsam gewechselt. Im Laufe der Jahre wurde mir der einst geliebte | |
Tisch allerdings zu klobig, zu raumeinnehmend, erinnerte mich zu sehr an | |
spießige deutsche Wohnzimmer und Brotzeit um 17.30 Uhr. Ein kleiner | |
Biedermeier. | |
Mein Mann hingegen blieb beständig in seiner Zuneigung. Betonte immer | |
wieder, wie praktisch dieser Teil meiner Aussteuer doch sei, die große | |
Ablagefläche, der üppige Stauraum der zweiten Ebene. Jeder meiner | |
Neuanschaffungsvorschläge stieß auf Abwehr. Das gute Stück habe zu bleiben! | |
Schlussendlich habe ich gewonnen. Vor zwei Monaten wurde uns ein neuer | |
Couchtisch geliefert. Bestellt für 99 Euro, wie Erwachsene. Luftiger ist | |
er, schmaler, mehr 2024 als 1992. Den alten inserierten wir für wenig Geld | |
(mehr als einen Euro, weil: Inflation!) auf Kleinanzeigen. Niemand wollte | |
ihn. Nicht mal auf eine Merkliste wurde er gesetzt. Er tat mir leid. Und: | |
Ich vermisste ihn. | |
Das ist nicht das erste Mal, dass ein lebloser Gegenstand mich rührt. | |
[1][Kuscheltiere lösen] eine Woge des Mitgefühls in mir aus. Besonders, | |
wenn sie im Laden am falschen Platz liegen. Ein Plüschhund im Legoregal, | |
das geht nicht. Ich bringe ihn zu seiner Familie. Immer. | |
## Der Hydrant bettelt um Zuneigung | |
Und es bleibt nicht bei den Kuscheltieren. Hydranten sind auch so ein Fall, | |
mit ihren zwei ausgestreckten Ärmchen scheinen sie um Zuneigung zu betteln. | |
Schwerlich reiße ich mich zusammen. Hydranten umarmen ist eher nichts, was | |
in unserer Gesellschaft besonders angesehen ist. | |
Weiter geht’s mit Stühlen. Ja, Stühle! Ist das ein Merkmal Hamburgs oder | |
ist es allgemein üblich, Stühle auszusetzen? Beinahe täglich begegnen mir | |
ausrangierte Hocker, Sessel, Sitzgelegenheiten. Und neuerdings – mein Fokus | |
muss sich erweitert haben – begegne ich auch Tischen jeglicher Form. Vor | |
Kurzem habe ich einen getroffen, der wohnt jetzt auch bei uns. [2][Shabby | |
Chic] ist der! Ein Schminktisch, mit zwei kleinen Schubladen, gedrechselten | |
Beinen, lackiert mit weißer Kreidefarbe. Wer setzt denn so was aus? | |
Morgens haben wir uns getroffen und ich versprach ihm: „Wenn du nach der | |
Arbeit noch da bist, nehm ich dich mit.“ Auf der Arbeit redete ich so lange | |
von ihm, bis meine Kollegin meinte, ich solle sofort gucken gehen. Er hatte | |
auf mich gewartet. Wenn zwei sich finden, finden sie sich. | |
Seit geraumer Zeit hat ein schwarzer Kunstledersessel meine besondere | |
Aufmerksamkeit erregt. Das erste Mal begegnet sind wir uns im Dezember. | |
Ausgesetzt, aber stolz, intakt und glänzend stand er auf der | |
Hein-Hoyer-Straße. Seither sehen wir uns fast täglich. Und jedes Mal | |
verliert er ein Stück seines Glanzes. Stoisch erträgt er den Raub seiner | |
Sitzfläche, erträgt, von Müll bedeckt, vom Regen durchnässt und der Welt | |
verlassen, auf immer demselben Platz zu stehen, in der Hoffnung ein großes | |
Herz passiere ihn und gäbe ihm, was er sich so sehr wünscht: ein neues | |
Zuhause. Ich ziehe meinen Hut vor ihm. | |
Leider kann ich ihm nicht helfen, wo soll ich denn hin mit all den Parias | |
der Hamburger Wohnzimmer? Das ist etwas gelogen, denn einen weißen Stuhl | |
mit Korbgeflecht, den konnte ich letztens noch mitnehmen. Na ja. Wenn zwei | |
sich finden, finden sie sich. | |
## Von der Liebe zu den Dingen | |
Doch warum ist das so mit mir und den unbelebten Dingen? [3][Ist es | |
Objektophilie?] Das Wort bedeutet, sich von Gegenständen sexuell angezogen | |
zu fühlen. Doch damit kann ich nicht dienen. Begehren verspüre ich nicht | |
das Geringste, lediglich das Begehr, es möge ihnen gut gehen, den | |
ausgesetzten Möbelstücken, den nach Liebe bettelnden Hydranten und den | |
verirrten Kuscheltieren. Wie man ungerührt an ihnen vorbeiziehen kann, kein | |
Mitgefühl, keinerlei Fürsorge verspürend, das finde ich fragwürdiger als | |
meine Zuneigung zu diesen vermeintlich seelenlosen Gegenständen. Wenn das | |
nun platonische Objektophilie ist, dann sei es so. | |
Meine beste Freundin hat mir mal gestanden, als Kind wegen eines | |
ausrangierten, defekten Staubsaugerrohrs geweint zu haben. Ihre Eltern | |
wollten es auf den Sperrmüll bringen, was ihr das Herz brach. Also nahm sie | |
sich des Staubsaugerrohres an und versteckte es vor denen, die ihm an den | |
Kragen wollten. An diese entzückende Geschichte denke ich sehr häufig. Kein | |
Wunder, dass wir seit bald dreißig Jahren beste Freundinnen sind. Wenn zwei | |
sich finden, finden sie sich eben. | |
Am zweiten Abend ohne den alten Couchtisch weinte auch ich und meinte zu | |
meinem Mann: „Schluss mit dem Unsinn, wenn ihn niemand haben will, dann | |
wollen wir ihn wieder!“ Jetzt steht der neue Couchtisch im Zimmer meines | |
Mannes, sein ehemaliger Couchtisch in meinem Arbeitszimmer und das gute, | |
alte Stück steht wieder da, wo es hingehört, in unseren Herzen und in | |
unserem Wohnzimmer. | |
19 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Sarah Lorenz | |
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