# taz.de -- Alltag in der Energiekrise: Waschen nur bei Wind? | |
> Robert Habeck will den Einbau von vernetzten Stromzählern – Smart Metern | |
> – beschleunigen. Doch der Nutzen für Verbraucher:innen ist | |
> umstritten. | |
Bild: So sieht er aus: Habecks' Wunderautomat | |
1 Was sind Smart Meter? | |
Smart Meter sind digitale und vernetzte Stromzähler. Sie erfassen den | |
Stromverbrauch sekunden- bis minutengenau. Zum Smart Meter gehört ein | |
Gateway, das die Daten an Netzbetreiber und Stromanbieter weiterleitet – | |
und auch Daten von diesen empfangen kann, etwa über den aktuellen | |
Strompreis. | |
2 Was sollen die Geräte für die Energiewende bringen? | |
„Durch die Anzeige des Verbrauchs in Echtzeit setzen Smart Meter Anreize, | |
Strom dann zu verwenden, wenn er günstig und viel davon vorhanden ist“, | |
sagt Barbara Saerbeck, Projektleiterin beim Think Tank Agora Energiewende. | |
Das sei bei den Erneuerbaren besonders wichtig, weil die eingespeisten | |
Mengen hier stark schwanken können: Viel Strom an einem sonnigen und | |
windigen Tag, weniger bei Flaute und bedecktem Himmel. | |
Verbraucher:innen könnten also dann ihr E-Auto voll laden oder ihre | |
Waschmaschine anstellen, wenn der Strom in Fülle vorhanden und günstig ist. | |
Positiver Nebeneffekt: „Eine flexible Stromnachfrage trägt auch zur | |
Netzstabilität bei“, sagt Saerbeck. In einer im Juni veröffentlichten | |
[1][Studie] bezeichnet Agora Energiewende einen „intelligenten | |
Verteilnetzbetrieb und einen deutlich schnelleren Smart-Meter-Rollout“ als | |
erforderlich für ein erneuerbares Stromsystem. Wichtig ist dabei laut | |
Saerbeck, auf Haushalte und Industrie gleichermaßen zu schauen, um | |
möglichst viel Flexibilität zu gewinnen. | |
3 Welche Pläne hat Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne)? | |
Habeck plant, „Hürden“ bei Smart Metern „möglichst wegzuräumen“. Daf… | |
das Messstellenbetriebsgesetz geändert werden. „Wenn jemand an dem | |
Vormittag, wo der Wind weht, die Wäsche wäscht und dann hat das nichts | |
gekostet außer Waschpulver und Wasser, das ist das Versprechen, das wir | |
einlösen müssen“, sagte Habeck Ende vergangener Woche auf einer | |
Veranstaltung der Deutschen Energie-Agentur (Dena). Die Grundzüge seiner | |
Pläne: Lagerung und Transport sollen vereinfacht werden. | |
Musste bislang ein:e Monteur:in mit einer extra abgesicherten Box | |
vorbeikommen, solle es künftig auch per Post gehen. Außerdem solle es keine | |
„großen Verwaltungsakte und langwierige Gerichtsverfahren“ mehr geben. Und | |
es soll schneller gehen mit der Entwicklung der Geräte: „Die komplexen | |
Funktionen können erst mal in der Praxis erprobt werden und später kommen | |
Updates drauf.“ | |
4 Smart Meter gibt es schon seit Jahren – warum haben sich die Geräte | |
bislang nicht durchgesetzt? | |
Weil es eine ganze Reihe von Vorbehalten und offenen Fragen gibt. Um ihren | |
vollen Nutzen entfalten zu können, sind zwei Voraussetzungen nötig. | |
Erstens: Stromanbieter, die variable Tarife anbieten. Also: niedrige Preise | |
wenn viel Strom auf dem Markt ist, hohe Preise bei knappem Angebot. | |
Vereinzelt gibt es solche Tarife bereits – doch transparent geht es dabei | |
nicht unbedingt zu. | |
So geht für wechselwillige Verbraucher:innen auf den Homepages der | |
jeweiligen Anbieter mitunter nicht einmal hervor, ob sie die jeweiligen | |
Strompreise erst im Moment der Abrechnung erfahren oder bevor sie die | |
Waschmaschine anstellen – und was passiert, wenn das Ökowaschprogramm drei | |
Stunden dauert. | |
Um diese Stromtarife optimal ausnutzen zu können, ist eine zweite | |
Voraussetzung wichtig: vernetzte Geräte. Das E-Bike zu Hause dann an den | |
Strom hängen, wenn der gerade günstig ist – aber man selbst im Büro sitzt? | |
Unpraktisch. Die Elektrogeräte – von E-Auto bis Waschmaschine – müssten | |
daher direkt die Information über niedrige Preise bekommen und den Start | |
auslösen, so man das vorher entsprechend eingestellt hat. | |
Das bedeutet, aus Smart Metern müsste Smart Home werden – mit allem, was | |
dazu gehört: ein massiv steigender Bedarf an Mikrochips, notwendige | |
Sicherheitsupdates, zu denen die Hersteller der vernetzten Geräte über | |
entsprechend lange Zeiträume verpflichtet werden müssten, und Geräte, die | |
aufgrund der zunehmenden Zahl an Elektronikkomponenten immer schwieriger zu | |
reparieren sind. | |
Energiewende-Expertin Saerbeck sagt hingegen: „Man braucht keine smarte | |
Waschmaschine, um von einem flexiblen Stromtarif profitieren zu können.“ Es | |
sei bereits ein Fortschritt gegenüber dem derzeit üblichen | |
Nutzungsverhalten, die eigenen Geräte manuell anzustellen, wenn viel Strom | |
vorhanden ist, und dann vom Netz zu nehmen, wenn der Strom knapp ist. | |
5 Kann man durch die Analyse von Smart-Meter-Daten einer Wohnung | |
tatsächlich rauskriegen, welches Fernsehprogramm gerade läuft? | |
Ja. Forscher der FU Münster untersuchten schon vor gut zehn Jahren, was | |
sich aus den Daten von Smart Metern über das Nutzungsverhalten der | |
Bewohner:innen herausfinden lässt. „So war es möglich, anhand des | |
Verbrauchsprofils die Aktivität von Kühlschrank, Wasserkocher, | |
Kaffeevollautomat, Durchlauferhitzer (Warmwasser), Toaster, Mikrowelle, | |
Elektrogrill, Waschmaschine, TV-Gerät, Leuchtmittel (Glühlampe oder | |
stromsparend), Herd aus der Datenmenge zu gewinnen“, [2][heißt es in der | |
Untersuchung]. | |
Bei einem „für Privathaushalte typischen TV-Gerät“ ließ sich nicht nur d… | |
Einschaltzeit bestimmen. Es war auch möglich „das eingeschaltete Programm | |
beziehungsweise den abgespielten Film zu identifizieren“. Holger | |
Schneidewindt von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen bezeichnet | |
Stromverbrauchsdaten als „Datenschatz ohne Ende“. Nicht umsonst gebe es | |
auch bei den Tech-Giganten ein großes Interesse, sich ebenfalls einen Platz | |
auf dem Markt zu sichern. | |
6 Was sagt Habeck zum Thema Daten- und Angriffsschutz? | |
Habeck moderierte Datenschutzbedenken gegen den Einbau von Smart Metern ab | |
– schließlich hingen Nutzer:innen bei Facebook rum und posteten dort | |
„alle privaten Urlaubsbilder“. Gleichzeitig adressierte Habeck die Risiken: | |
„Wenn wir zwei, drei Beispiele haben, wo Smart-Meter-Systeme gehackt wurden | |
oder Verbraucherdaten gesammelt und missbraucht wurden, dann wird sofort | |
die gesellschaftliche Akzeptanz über die Wupper gehen.“ | |
Das lässt sich auch als Appell an die Netzbetreiber und Stromanbieter | |
verstehen – dass diese mit den Daten nicht alles tun, was sie könnten. | |
Verbraucherschützer Schneidewindt schüttelt über den Facebook-Vergleich den | |
Kopf: Eine Sache sei es, sich freiwillig Überwachung auszusetzen. Eine ganz | |
andere, wenn es staatliche Vorgaben gebe. | |
7 Was bringen Smart Meter für die Verbraucher:innen? | |
Die Pläne seien „für die Verbraucher gut, für die Energiesicherheit und den | |
Klimaschutz gut“, so Habeck in seinem Vortrag. Zumindest was den Nutzen für | |
Verbraucher:innen angeht, ist das keineswegs ausgemacht. Denn mit dem | |
wechselnden Strompreis plus fester Grundgebühr ist es keineswegs getan. Der | |
Messstellenbetreiber darf die Bewohner:innen an den Kosten beteiligen. | |
Diese sind gesetzlich geregelt und liegen derzeit, je nach Stromverbrauch | |
und Extras, wie etwa einer vorhandenen Solaranlage, zwischen 23 und 130 | |
Euro im Jahr. | |
Laut Verbraucherschützer Schneidewindt sind die Anbieter aber dabei, | |
kräftig für höhere Deckel zu lobbyieren. Er sagt: „Was wir als erstes | |
brauchen, ist eine ehrliche und aktuelle Kosten-Nutzen-Rechnung.“ Also: Für | |
welche Art von Haushalt – vom Kleinverbraucher mit 1.500 Kilowattstunden | |
Strom im Jahr bis zum größeren Haushalt mit E-Auto und Wärmepumpe – lohne | |
sich das überhaupt? Und wann zeige sich ein Nutzen auf gesellschaftlicher | |
Ebene? | |
Für Kleinverbraucher reiche in Sachen Verhaltenssteuerung eigentlich eine | |
App, die ihnen anzeige, wann Strom günstig ist. Vernetzte Geräte und das | |
ganze Drumherum brauche es da gar nicht. Bei Geräten wie Wärmepumpen, | |
E-Autos, Blockheizkraftwerken und Photovoltaik-Speichern sei es dagegen | |
sinnvoll, sie in eine smarte Netzsteuerung einzubinden. | |
30 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://static.agora-energiewende.de/fileadmin/Projekte/2021/2021_11_DE_KNS… | |
[2] https://1lab.de/pub/smartmeter_sep11_v06.pdf | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
## TAGS | |
Datenschutz | |
Erneuerbare Energien | |
GNS | |
Strompreis | |
Stromverbrauch | |
Internet der Dinge | |
wochentaz | |
Energiewende | |
Verbraucherschutz | |
Energiekrise | |
Deutsche Universitäten | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Strafverfolgung im Internet der Dinge: Verbrecher fangen mit Kühlschrank?! | |
Können Elektronikgeräte zur Verbrechensaufklärung beitragen? Das erforscht | |
Niedersachsens Polizei mit Wissenschaftler:innen. | |
Dynamische Stromtarife: Mehr Flexibilität beim Strompreis | |
Dynamische Stromtarife könnten für ein stabileres Netz und für günstigere | |
Preise sorgen. Wie das funktioniert und was man selbst dazu beitragen kann. | |
Bundeskabinett beschließt Gesetzentwurf: Bald mehr schlaue Stromzähler | |
Für mehr Haushalte als bislang soll es nach dem Willen der Bundesregierung | |
die Pflicht zu Smart Metern geben – und für alle das Recht darauf. | |
IT-Sicherheit bei Smartphones: Update-Ende für das Fairphone 2 | |
Nutzer des Fairphone 2 brauchen ein neues Gerät oder andere Software. Die | |
Update-Versorgung für Android sollen neue EU-Regeln verbessern. | |
Bericht der Energieagentur IEA: Krieg treibt Energiewende voran | |
Die Erneuerbaren sind der Gewinner der hohen Preise für fossile Rohstoffe. | |
Dennoch rechnet die Energieagentur IEA mit einer Erderhitzung von 2,5 Grad. | |
Energiesparen an Universitäten: Einsparziel 10 bis 20 Prozent | |
Für Berlins Studierende hat das Wintersemester begonnen. Wie geht das Leben | |
in den Universitäten in Zeiten der Energiekrise weiter? | |
Ortsbesuch in der AKW-Stadt Lingen: Es ist schön hier | |
Der Betrieb des Atomkraftwerks Emsland in Lingen wird bis Mitte April 2023 | |
verlängert. Wie kommt das vor Ort an? Ein Stimmungstest. |