# taz.de -- AfD-Wahlkampf und junge Wähler:innen: Meinungsmache auf Crack | |
> Bei der Europawahl holt die AfD 16 Prozent bei den 16-24-Jährigen. Ein | |
> Grund: Radikalisierung bei TikTok. Junge sind dort sich selbst | |
> überlassen. | |
Bild: Den Durchblick verloren | |
Swipe und weg. Alles und immer in Echtzeit. Permanent spülen ungefilterte | |
Inhalte ins Gehirn. 30 Minuten, 3 Stunden, Nacht vorbei. TikTok und Co als | |
Austausch, zur Ablenkung, als Therapieersatz. | |
Auf so einer Plattform Meinungsmache zu betreiben, funktioniert sehr gut. | |
Auch, weil formbare, junge Menschen sie ausgiebig nutzen. Diese Menschen | |
werden dort auch politisiert – mit Auswirkungen auf das andere Leben, das | |
ohne Bildschirm. | |
16 Prozent der Jungwähler:innen bis 24 Jahre wählten am Sonntag die | |
Rechte in das Europäische Parlament. Rechtsextreme und Populist:innen | |
machen sich TikTok seit Jahren zunutze. Sie bieten einfache Lösungen für | |
komplexe Probleme; erklären sich zum Opfer und lassen reißerische Inhalte | |
ohne Einordnung verfangen. Die AfD erreicht auf TikTok täglich Millionen | |
Menschen. | |
Schuld daran ist auch die Struktur von TikTok. Algorithmen sorgen für sich | |
ähnelnde Inhalte, kurze schnelle Videos machen es schwer abzuschalten. | |
Ähnlich wie Süchtige braucht man immer mehr in immer kürzerer Zeit von dem | |
Stoff. Das nutzen Extremisten und Extremistinnen für sich. Sie ballern die | |
Kanäle mit ihren Inhalten zu, es gibt kein Erbarmen darüber, was gesagt, | |
gezeigt, gefühlt werden darf. | |
## Alter, komm auf den Punkt | |
Die Welt wird doch sowieso bald untergehen, wenn uns die bösen Asylanten | |
nicht schon vorher überrennen. Herr Krah sagt, wir machen die Tür zu und | |
der Klimawandel ist nur ausgedacht. Einfache Lösung. Die Einleitung | |
langweilt: Alter, komm auf den Punkt. Swipe und weg. Das ist wie | |
Meinungsmache auf Crack. | |
Vielleicht braucht unser Gehirn eigentlich einen kurzen Moment, wenn es | |
darum gehen soll, Informationen zu speichern, [1][statt sie ausschließlich | |
zu konsumieren.] Und die jungen Leute stehen ganz schön alleine damit da. | |
Sie verordnen sich selbst beschränkte Bildschirmzeit oder verbannen den | |
Account auf ein Endgerät, das nicht in die Hosentasche passt. Aber ganz | |
ohne Social Media ist heute eben wie ohne Freunde. Das will ja keiner. | |
In der Selbstfindungsphase ist es wichtig, bestätigt zu werden, Gehör zu | |
finden. All das liefert TikTok. Likes und Views setzen Endorphine frei, | |
wecken das Verlangen nach mehr. Das verlockt und macht empfänglich für | |
immer Gröberes, Härteres, bis man sich in einer Blase wiederfindet: | |
Sexismus, Extremismus, Islamismus. | |
## Politisch interessiert, psychisch belastet | |
Die Erziehungsberechtigten sind noch viel überforderter als die Jüngeren | |
mit all dem Neuen. Soll ich meinem Kind das Handy wegnehmen? Das geht doch | |
nicht. Stimmt. Aber regulieren und an kleinen Stellschrauben drehen, | |
aufklären, einordnen. Zeit nehmen. Das geht schon. [2][Die Regierung hat | |
den Einfluss von Desinformation auf Social Media völlig verschlafen]. Sie | |
hat eine ganze Generation sich selbst überlassen. Medienkompetenz, nein | |
Danke. Da hilft auch Olaf Scholz nicht, der es jetzt samt Aktentasche | |
endlich auf TikTok geschafft hat. | |
Die jungen Menschen selbst haben ein wachsendes Bewusstsein für ihre | |
Situation, besagt die Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“. Keine | |
Generation vor ihnen war politisch so interessiert und psychisch so | |
belastet. Die Studie zeigt auch, dass es jungen Menschen immer schlechter | |
geht. Ihre Sorgen sind ernstzunehmen. | |
Drei Jugendforscher forderten mehr Möglichkeiten für junge Menschen, sich | |
an politischen Prozessen zu beteiligen. Wissenschaftler Klaus Hurrelmann, | |
der an der Studie mitforschte, sagt, junge Menschen seien bereit, | |
Verantwortung zu übernehmen. Sie hätten aber den Eindruck, dass der Staat | |
sich nicht um sie kümmere. | |
## Ab zu Oma und Opa | |
Die einen finden die Antwort im Aufstand – gehen zu FFF oder kleben sich | |
auf die Straße –, und manche wollen sich nicht länger „für dumm verkaufen | |
lassen“, wie Krah und Gleichgesinnte es gerne formulieren. Sie bereiten | |
sich auf den Kampf gegen die „Elite“ vor und pflegen ihren Seitenscheitel. | |
Sorgen aufgrund von Inflation, Wohnraum, Armut oder Flüchtlingsströmen | |
fördern laut der Studie eine hohe Unzufriedenheit mit den politischen | |
Verhältnissen. Das Potenzial für rechtspopulistische Einstellungen sei im | |
Vergleich zu früheren Studien erstarkt. Manche seien grundsätzlich von | |
ihren Lebensumständen enttäuscht und stimmten deswegen aus Überzeugung für | |
die AfD. | |
Bei der Meinungsbildung und Abgrenzung gegen Rechtsextremismus könnten die | |
Alten helfen. Die Menschen ab [3][70 Jahren haben am allerwenigsten, | |
nämlich mit 8 Prozent, bei der Europawahl für die AfD gestimmt]. Also im | |
Sommer ab zu Oma und Opa oder ins Altenheim zum FSJ. Swipe und richtig weg. | |
10 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Social-Media-gegen-rechts/!6003033 | |
[2] /TikTok-Debatte-in-Deutschland/!5996585 | |
[3] https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2024-06-09-EP-DE/umfrage-alter.shtml | |
## AUTOREN | |
Sean-Elias Ansa | |
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