# taz.de -- Politische Teilhabe von Jugendlichen: Mehr Zauberspielplatz wagen | |
> The Kids are alt-right: In Thüringen haben junge Wählende zu 38 Prozent | |
> die extrem rechte AfD gewählt. Könnte mehr politische Teilhabe helfen? | |
Bild: Der Zauberspielplatz in Berlin-Wilmersdorf | |
Berlin taz | Ganze 38 Prozent für die extrem rechte AfD – das ist [1][laut | |
Umfrageinstitut Infratest Dimap] das Ergebnis der Erstwählenden zwischen 18 | |
und 24 Jahren in Thüringen. Das ist eine Steigerung um 15 Prozentpunkte | |
gegenüber der letzten Wahl im Jahr 2019 und noch einmal rund 5 Prozent mehr | |
als der Durchschnitt. Auch in Sachsen haben 31 Prozent der jüngsten | |
Wählergruppe [2][der AfD ihre Stimme geben], ein Zuwachs um 11 | |
Prozentpunkte gegenüber der letzten Landtagswahl. Vor den eigentlichen | |
Abstimmungen durchgeführte fiktive [3][U-18-Wahlen] lieferten ähnliche | |
Ergebnisse. | |
Schon seit der Europawahl im Juni wird bundesweit über das Wahlverhalten | |
junger Menschen diskutiert – dort landete die AfD [4][bei den 16- bis | |
24-Jährigen auf Platz 2], nur dicht hinter der Union. „Wir müssen als | |
Demokraten um diese Jugend kämpfen“, hatte im Juni NRWs Ministerpräsident | |
Hendrik Wüst (CDU) nach den Europawahl-Erfolgen unter jungen | |
Wähler*innen gesagt. | |
Seine Sorge ist berechtigt: Wüst sprach damals bei der [5][Vorstellung des | |
Kinderreports 2024]. Dem Report zufolge traut nur rund die Hälfte der | |
Kinder und Jugendlichen ihrer Generation zu, sich als Erwachsene für die | |
Demokratie in Deutschland einzusetzen. Auch ein klarer Auftrag lässt sich | |
aus der Befragung ablesen: 91 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen | |
finden, die Interessen der jungen Generation stärker sollten in der Politik | |
berücksichtigt werden. | |
„Wir werden junge Menschen an Entscheidungen, die sie betreffen, | |
beteiligen.“ Dieses Versprechen hatten SPD, Grüne und FDP sich 2021 in den | |
Koalitionsvertrag geschrieben. Dennoch haben viele Kinder und Jugendliche | |
nicht den Eindruck, dass sie tatsächlich mitbestimmen können. Bei der im | |
Juni diesen Jahres veröffentlichten Sinus-Jugendstudie formulierte eine | |
Mehrheit der befragten 14- bis 17-Jährigen, dass sie gerne mitreden und | |
gehört werden wollen. Der meistgenannte Grund, wieso Mitsprache außer ihrer | |
Sicht nicht funktioniert: „die Erwachsenen“. Dabei ist das Recht von Kinder | |
und Jugendlichen auf Beteiligung und Meinungsäußerung klar verankert. | |
## Politik über Kinderköpfe hinweg | |
Im Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention ist ein Beteiligungsrecht | |
festgeschrieben. Und auch national gibt das bundesweite Kinder- und | |
Jugendhilfegesetz (KJHG), das 1991 das Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) | |
ablöste, klar vor: „Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem | |
Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen | |
Jugendhilfe zu beteiligen“. Dennoch haben viele Kinder und Jugendliche | |
nicht den Eindruck, dass sie tatsächlich mitbestimmen können. | |
Und das nicht ohne Grund: Seit Monaten streitet die Ampel-Koalition über | |
die Kindergrundsicherung und darüber, wie viel Geld im nächsten Haushalt in | |
Sozialpolitik investiert werden soll. Die Kindergrundsicherung, die Kinder | |
aus der Armut holen soll, wird es in der ursprünglich versprochenen Form | |
nicht geben. Politiker:innen, Wissenschaftler:innen und Verbände | |
kommen zu Wort. Doch die betroffenen Kinder und Jugendlichen selbst werden | |
eher selten gefragt. | |
Abseits der Politik, in vielen Jugendhilfeeinrichtungen oder Kitas, sind | |
Beteiligungskonzepte dagegen kaum wegzudenken. Selbst Kitakinder können oft | |
schon mitbestimmen. In manchen Einrichtungen wird gemeinsam der Essensplan | |
gestaltet und längst müssen nicht mehr alle Mittagsschlaf machen, wenn sie | |
das nicht wollen. „Gerade im Kitaalter gibt es viele gute Beispiele für | |
Beteiligung“, sagt Sebastian Schiller vom Deutschen Kinderhilfswerk. | |
Allgemein hätten sich in den letzten 10 bis 20 Jahren eine ganze Reihe | |
Dinge in eine positive Richtung entwickelt. | |
Vor allem durch Gesetzgebungen habe sich in den Kommunen die Kinder- und | |
Jugendbeteiligung schon vielerorts etabliert, so Schiller. So können die | |
Länder in ihren jeweiligen Gemeindeordnungen gezielte | |
Beteiligungsmöglichkeiten zu schaffen. In der Brandenburger | |
Kommunalverfassung gibt es etwa sogenannte „Einmischungsrechte“ für | |
Jugendliche ab 16 Jahren. Dort können junge Menschen bei Petitionen mit | |
abstimmen und sich bei Einwohnerfragestunden beteiligen. Und in | |
Rheinland-Pfalz können Mitglieder der Jugendvertretungen bei Sitzungen des | |
Gemeinderats und der jeweiligen Ausschüsse mit am Tisch sitzen. | |
## Wenig Repräsentation für Kinder | |
Kommunen können auch Kinder- oder Jugendparlamente (KJP) in ihrer | |
Gemeindesatzung verankern. Laut Angaben des Bundesfamilienministeriums | |
(BMFSFJ) und des Deutschen Kinderhilfswerks gibt es hierzulande allerdings | |
nur etwa 500 repräsentative Kinder- und Jugendparlamente. Das entspricht | |
etwa fünf Prozent aller Kommunen. Vor allem in kleinen Gemeinden existieren | |
diese kaum. „Nur weil es ein Gesetz gibt, heißt das nicht, dass jedes Kind | |
in ausreichendem Maße an den Entscheidungen beteiligt wird, von denen es | |
betroffen ist“, kritisiert Schiller vom Deutschen Kinderhilfswerk. „Es geht | |
nicht darum, dass wir jetzt von Kindern regiert werden sollen, aber sie | |
müssen ihre Wünsche, Bedürfnisse und Sichtweisen mit einbringen können.“ | |
Doch auch wenn gute Konzepte vorhanden sind, gibt es ein weiteres Problem: | |
den Fachkräftemangel. Zwar sei das Wissen, wie gute Beteiligung | |
funktionieren kann, vielerorts vorhanden, so Schiller. Aber häufig | |
scheitere es dann doch am fehlenden Personal. Umso mehr fordert Schiller, | |
Beteiligung nicht bloß als Mehraufwand zu sehen: „Junge Menschen bringen | |
eigene Ideen auch in komplexe Themen ein und können so als ganz zentrale | |
Ressource für gesellschaftliche Entwicklung dienen“, ist er überzeugt. | |
Ein solches komplexes Thema ist die Forschung. Und gerade hier gibt es sehr | |
gute Beispiele, wie Kinder und Jugendliche eingebunden werden können. Davon | |
konnte sich die Erziehungswissenschaftlerin Nadja Althaus von der Goethe | |
Universität Frankfurt ein Bild machen. Von 2020 bis 2023 führte sie das | |
partizipative Forschungsprojekt „Peer2Peer“ durch. In dem von der | |
Bertelsmann Stiftung geförderten Projekt gingen jugendliche sogenannte | |
„Co-Forschende“ gemeinsam mit Wissenschaftler:innen in Workshops mit | |
Kindern und jungen Menschen im Alter von zehn bis 22 Jahren der Frage nach: | |
„Was brauchen Kinder und Jugendliche für ein gutes Leben?“ | |
## Wunsch nach Bildung und Entscheidungsmacht | |
In insgesamt 25 Workshops bekamen 112 Teilnehmende die Möglichkeit, sich | |
über ihre Wünsche und Sorgen auszutauschen. Die Studie kam unter anderem zu | |
dem Ergebnis, dass die Befragten selbst das Thema Bildung als besonders | |
wichtig einstufen. „Der Bildungsbegriff, den Kinder und Jugendliche | |
aufmachen, ist dabei viel mehr als nur schulische Bildung“, sagt Althaus. | |
„Sie verstehen Bildung als ein breites Spektrum an Wissen, auch über | |
alltagspraktische Dinge, das sie auf ihr späteres Leben vorbereitet“. | |
Auch schon sehr junge Menschen wollen mitgestalten bei dem, was auf ihr | |
späteres Leben einwirkt. „Wenn man junge Menschen fragt, kommt kein | |
Wunschkonzert heraus, also keine Rufe nach teuren Handys oder nur | |
Süßigkeiten“, betont die Wissenschaftlerin. Das habe die Peer2Peer-Studie | |
deutlich gemacht. Beteiligungsformate seien in der Breite aber noch nicht | |
systemisch verankert und mit genügend Ressourcen hinterlegt, kritisiert | |
Althaus. Ein springender Punkt sei außerdem die Bereitschaft von | |
Erwachsenen, tatsächlich offen für Veränderung zu sein, die von Kindern und | |
jungen Erwachsenen angestoßen werde. „Partizipation ist dann erst | |
eingelöst, wenn tatsächlich Entscheidungsmacht abgegeben wird.“. | |
## Vorbild Zauberspielplatz Wilmersdorf | |
Ein Projekt, bei dem genau das passiert ist, ist der im Frühjahr eröffnete | |
Zauberspielplatz im Volkspark Wilmersdorf in Berlin. Die Idee hatte das | |
Kinder- und Jugendparlament Charlottenburg-Wilmersdorf bereits 2020 | |
eingebracht. Das zuständige Grünflächenamt und die engagierten Kinder und | |
Jugendlichen arbeiteten dann gemeinsam an der Neugestaltung des Platzes. | |
Entscheidend dabei war: Die jungen Menschen sollten nicht einfach nur | |
Vorschläge von den zuständigen Erwachsenen abnicken, sondern sie wurden | |
aktiv in die Planung eingebunden. | |
Auch die 15-Jährige Luiza Podgórniak war dabei, erst nur in der dafür | |
eingerichteten „AG Spielplatz“, ab Oktober 2022 dann als Vorsitzende des | |
Kinder- und Jugendparlaments. Wenn sie erzählt, wird klar, was es für die | |
Beteiligten bedeutet, ein offenes Ohr zu finden und ernst genommen zu | |
werden: Wie die Kinder und Jugendlichen selbst Entwürfe gestalteten, die | |
dann an die Firmen weitergeleitet wurden, die sich für das Projekt beworben | |
hatten. Wie diese daraus Konzepte entwickelten. Und wie auch bei der | |
Vergabe des Auftrags Vertreter:innen des Kinder- und Jugendparlaments | |
mit im Gremium saßen, das über den Zuschlag entschied. | |
Dort endete die Mitbestimmung aber nicht. Auch die dann beauftragte Firma | |
beteiligte die Kinder und Jugendlichen in den weiteren Prozess. „Bis ins | |
kleinste Detail konnten wir unsere Wünsche äußern“, erzählt Podgórniak. … | |
sogar handfest mitgestalten: Ein paar der Figuren, wie Ratten und Frösche, | |
die später ihren Platz auf dem Spielplatz fanden, wurden von den Kindern | |
und Jugendlichen bemalt. Und auch ihr Vorschlag, Spielgeräte zu bauen, die | |
für Rollstuhlfahrer:innen nutzbar sind, wurde angenommen und | |
umgesetzt. | |
Ende Mai 2024 konnte der Zauberspielplatz dann das erste Mal bespielt | |
werden. „Das Ergebnis hat unsere Erwartungen übertroffen“, so Podgórniak. | |
Sie ist überzeugt: Kinder sollten mit entscheiden, wie ihre Lebenswelt | |
gestaltet werden soll. „Wir sind es am Ende auch, die den Spielplatz | |
nutzen“, sagt die Jugendliche. „Der erste Schritt ist, uns als kompetente | |
Partner wahrzunehmen.“ | |
13 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2024-09-01-LT-DE-TH/umfrage-alter.sht… | |
[2] https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2024-09-01-LT-DE-SN/umfrage-alter.sht… | |
[3] https://www.u18.org/ | |
[4] /AfD-Wahlkampf-und-junge-Waehlerinnen/!6013329 | |
[5] /Kinderreport-2024-vorgestellt/!6017289 | |
## AUTOREN | |
Anna Laura Müller | |
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