# taz.de -- Abschiebeflüge mit Touristik-Konzern: All-inclusive-Abschiebungen | |
> Für die Bundesregierung organsierte der Konzern DER Deutsches Reisebüro | |
> Abschiebungen von Geflüchteten. Das hat bei dem Unternehmen schon | |
> Tradition. | |
Bild: Für Urlaubende ein Silberstreifen, für Abgeschobene ein Horror am Horiz… | |
Die meisten werden den Touristikkonzern DER Deutsches Reisebüro vor allem | |
kennen, wenn es um [1][All-inclusive-Reisen] geht. Vor Ausbruch der | |
Coronapandemie beförderte das Unternehmen mehr als sieben Millionen | |
Reisende jährlich und ist damit, nach TUI, der zweitgrößte | |
[2][Reiseanbieter] Deutschlands. Dass DER nicht nur All-inclusive-Reisen | |
organisiert, sondern bis 2019 auch die Abschiebung von Geflüchteten, zeigt | |
eine aktuelle taz-Recherche. | |
Seit Januar 2016 bestand ein Rahmenvertrag zwischen dem Bundesministerium | |
des Innern und für Heimat und dem Touristikriesen DER Deutsches Reisebüro. | |
Das geht aus parlamentarischen Anfragen der Sprecherin für Flucht- und | |
Rechtspolitik der Fraktion Die Linke, Clara Bünger, hervor. Dort heißt es, | |
DER bucht im Auftrag des Bundesministeriums Linienflüge für | |
„Rückzuführende, Begleitkräfte sowie ggf. medizinisches Personal“. | |
Im Klartext: Die Bundesregierung bucht [3][All-inclusive-Abschiebepakete] | |
über ein Reisebüro. Statt Tourist*innen sitzen in den Charterflügen | |
Geflüchtete, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Statt auf Kreta geht es in | |
Krisengebiete. In drei Jahren hat DER mehr als 40.000 solcher | |
Abschiebeflugtickets an die Bundesregierung verkauft. Bei knapp 70.000 | |
abgeschobenen Asylsuchenden im Zeitraum von 2017 bis 2019 ist das mehr als | |
jede zweite Abschiebung, an der das Unternehmen mitverdient hat. | |
Es ist nicht das erste Mal, dass es sich an staatlichen Ausweisungen von | |
Menschen bereichert. | |
## Ein richtiges Geschäftsmodell | |
Mit einem ähnlichen Geschäftsmodell hat das Vorgängerunternehmen von DER in | |
der Zeit des Nationalsozialismus satte Profite gemacht. DER, das 1917 als | |
Mitteleuropäisches Reisebüro gegründet wurde, organisierte ab dem Jahr 1933 | |
gemeinsam mit der Freizeitorganisation der NSDAP „Kraft durch Freude“ | |
Urlaubsreisen, zum Beispiel in befreundete faschistische Regime, wie | |
Mussolinis Italien. | |
Ab 1939 verdiente das Unternehmen auch an der Verschleppung von | |
Zwangsarbeiter*innen aus Frankreich, Polen und der Sowjetunion in | |
Arbeitslager. Rechnungen der Reichsbahn, dem Vorgänger der Deutschen Bahn, | |
aus dem Jahr 1942 belegen, dass das Reisebüro zudem Jüdinnen*Juden aus | |
Belgien, Frankreich und den Niederlanden nach Auschwitz deportierte. | |
Die Fahrkarten in den Tod ließ sich das Unternehmen lukrativ bezahlen. Der | |
Umsatz des Mitteleuropäischen Reisebüros stieg von 142 Millionen Reichsmark | |
im Jahr 1932 auf 251 Millionen Reichsmark im Jahr 1941 an. Das Geld, mit | |
dem die NSDAP die Unternehmen bezahlte, stammte häufig aus gestohlenem | |
jüdischem Besitz. Auch an Enteignungen, den sogenannten Arisierungen, von | |
Reiseunternehmen mit jüdischen Besitzer*innen soll es beteiligt gewesen | |
sein. | |
Nach Kriegsende beschlagnahmten die Alliierten die Mitteleuropäischen | |
Reisebüros, die sich mittlerweile in Deutsches Reisebüro umbenannt hatten, | |
und untersagten dem Unternehmen bis 1954, weitere Filialen zu eröffnen. Das | |
hinderte den Konzern nicht daran, nach 1945 Tickets an NS-Verbrecher*innen | |
nach Südamerika zu verkaufen, die über die „Rattenlinie“ genannte | |
Fluchtroute, unterstützt vom Roten Kreuz und dem Vatikan, von Italien nach | |
Argentinien flohen. | |
## Die Rolle im Holocaust | |
Erst 2017 beauftragte der Touristikkonzern das Kölner Geschichtsbüro Reder, | |
Roeseling & Prüfer mit der Aufarbeitung seiner Rolle im Holocaust. Nachdem | |
das Reisebüro die Studie zunächst unter Verschluss hielt, übergab das | |
Unternehmen die Ergebnisse im Jahr 2020 an das hessische Wirtschaftsarchiv, | |
wo sie heute öffentlich zugänglich sind. Auf seiner Website, auf der das | |
Unternehmen akribisch die eigene Geschichte seit der Gründung 1917 | |
skizziert, klafft zwischen den Jahren 1929 bis 1945 unterdessen eine Lücke. | |
Auf Nachfrage heißt es, die Seite werde derzeit überarbeitet. Demnächst | |
sollen Informationen zu der Rolle des Vorgängers in der NS-Zeit ergänzt | |
werden. | |
Seit 2020 besteht ein Rahmenvertrag zwischen der Bundesregierung und DER | |
Business Travel, einer ehemaligen Geschäftsreisensparte der DER Touristik | |
Gruppe. Sie wurde 2019 von dem US-Finanzdienstleister American Express | |
Global Business Travel gekauft. Die Abschiebungen organisiert DER Business | |
Travel nun weiter. | |
Von 2019 bis 2021 wurden insgesamt 32.000 schutzsuchende Menschen | |
abgeschoben, davon 15.000 von DER Business Travel. Auf der Website wirbt | |
das Unternehmen damit, „kulturelle Vielfalt“ sei langfristig die Basis für | |
das soziale Wohlergehen einer Gesellschaft. Soziale Verantwortung sei für | |
das Unternehmen kein Trend, sondern gelebte Haltung. Wie diese Haltung zu | |
der Abschiebung von Geflüchteten passt, darauf geht das Unternehmen in | |
seiner Stellungnahme nicht ein. | |
## Es gibt viele Bewerber | |
Bis 2024 läuft die Rahmenvereinbarung zwischen DER Business Travel und dem | |
Bundesministerium des Innern und für Heimat. Ob die Bundesbehörde den | |
Vertrag mit dem Reisekonzern verlängert, steht noch nicht fest. Alle vier | |
Jahre schreibt das Bundesministerium einen Vergabeauftrag aus. | |
Im Fall der Abschiebungen bewerben sich unterschiedliche Reiseanbieter auf | |
die Ausschreibung. Das Unternehmen mit dem günstigsten | |
All-inclusive-Abschiebepaket erhält den Auftrag. | |
Mit einem ähnlichen Vergabeverfahren hat DER 2018 den Auftrag erhalten, | |
Bildungsreisen nach Israel für die Bundeszentrale für politische Bildung | |
(bpb) zu organisieren. Während besagte Bildungsreisen Ausflüge in die | |
Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem machen, wissen viele der Beteiligten | |
nicht, dass die Flüge für die Bildungsreisen nach Israel über ein | |
Unternehmen mit Nazihintergrund gebucht wurden. | |
Auf Nachfrage weist der Sprecher der Bundeszentrale für politischen | |
Bildung, Daniel Kraft, darauf hin, dass die bpb rechtlich dazu verpflichtet | |
sei, bestehende Rahmenverträge des Bundesministeriums des Innern und für | |
Heimat zu nutzen. Seit 2019 ist auch hier DER Business Travel | |
verantwortlich. | |
## Deportation mit freundlicher Unterstützung | |
DER ist nicht das einzige Unternehmen in der Touristikbranche, das einst | |
aktiv am Holocaust beteiligt war und sein Geld heute mit Urlaubsreisen und | |
Abschiebungen verdient.Das Vorgängerunternehmen von Lufthansa hat | |
nachweislich vom Nationalsozialismus profitiert und stellt heute seine | |
Flugzeuge für Abschiebungen bereit. In zwei Jahren, von 2017 bis 2019, | |
wurden 13.230 Geflüchtete in Flugzeugen der Lufthansa deportiert. Mit | |
freundlicher Unterstützung von DER, über dessen System die Flüge teilweise | |
gebucht werden. | |
Seit 2020 hält die Bundesregierung die Namen der beteiligten | |
Reiseunternehmen und Airlines unter Verschluss. Auch die neue | |
Bundesregierung hält daran fest. Es bestehe die Gefahr öffentlicher Kritik | |
und einer dadurch zurückgehenden Bereitschaft der Unternehmen, sich an | |
Abschiebungen zu beteiligen, so die Regierungserklärung. | |
Die Linken-Abgeordnete Bünger sieht das anders: „Aktuell gibt es kein | |
Anzeichen dafür, dass irgendein Unternehmen sich aus dem schmutzigen | |
Geschäft mit den Abschiebungen zurückziehen will.“ | |
Die Geheimhaltung der Bundesregierung verhindere eine dringend notwendige | |
Debatte über die ökonomischen Profiteure der Abschiebepolitik. Während die | |
Zahl der Abschiebungen wie auch die Zahl der Reisenden aufgrund der | |
Coronapandemie in den Vorjahren gesunken ist, wird für das Jahr 2022 wieder | |
mit einer erneuten Abschiebe- und Urlaubswelle gerechnet. Daran erfreuen | |
wird sich allen voran die Reisebranche, die weiterhin lukrativ an beidem | |
verdient. | |
20 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Nachhaltiger-Tourismus-in-den-Alpen/!5853294 | |
[2] /Angeschlagener-Touristikkonzern/!5683242 | |
[3] /Flucht-nach-Europa/!5864087 | |
## AUTOREN | |
Sonja Smolenski | |
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