# taz.de -- ARD-Doku „EXZESS“ über Berliner Clubs: Unkritisch abfeiern | |
> Die ARD-Dokuserie „EXZESS“ blickt launig auf die Geschichte der | |
> Club-Szene in Berlin – aber nicht auf deren Probleme mit Drogen und | |
> Übergriffen. | |
Bild: Was kommt nach der durchtanzten Nacht, was nach der Nostalgie? | |
Berliner Clubkultur verkauft sich immer noch gut. „Have you ever been in | |
Berghain?“, bleibt eine wichtige Frage. [1][Sven Marquardt, der | |
gesichtstätowierte Türsteher des Clubs], bleibt ein wichtiges Maskottchen | |
für die Stadt. Wilde Geschichten über die Nachwendezeit, in der jeder | |
leerstehende Raum zum Club werden konnte, bleiben gern erzählt und gehört. | |
Denn „this is so Berlin“ oder eher: This was so Berlin? | |
Vom clubkulturellen Fundament der 1990er Jahre lebt der Ruf der Stadt noch | |
immer. Doch was ist eigentlich davon übrig? [2][Die Mieten werden teurer], | |
die Drogen härter, die Lebensbedingungen tendenziell prekärer und der | |
Geldbeutel der Raver*innen damit leerer. [3][Außerdem sorgte die | |
Coronapandemie für einen Stillstand der Feierkultur], viele Orte kämpften | |
ums Überleben. Welchen Platz lässt ein Berlin mit christdemokratischem | |
Kultursenator den Clubs heute noch? | |
Die dreiteilige ARD-Dokumentation „EXZESS – Berlin Hauptstadt der Clubs“ | |
will Antworten liefern und fährt dafür mit einer Mischung aus Oral History | |
und audiovisuellem Club-Lexikon auf. Unzählige noch existierende und längst | |
geschlossene Clubs werden kurz vorgestellt. Die Doku-Serie zeichnet so | |
unvollständig die Berliner Club-Historie nach. Auch die Unterschiede der | |
Feierkulturen im geteilten Berlin. | |
Protagonist*innen des Berliner Nachtlebens aller Altersgruppen kommen | |
zu Wort. Von, natürlich, der bei diesem Thema immer gern zum Märchenonkel | |
auserkorenen [4][DJ-Legende Westbam] bis zu den Gründerinnen des | |
[5][Punk-Clubs SO36]. Und das ist gut. Denn zur Berliner Clubkultur gehört | |
eben nicht nur das Berghain, sondern genauso der [6][Schlagerclub Hafenbar] | |
oder verranzte Punkschuppen, die es sonst seltener in Filme schaffen. | |
## Wer/Was fehlt | |
Eine große Stärke der Doku ist eine Multiperspektivität, die durch die | |
unzähligen Orte geschaffen wird. Einerseits. Andererseits: Dafür, dass so | |
viel über Clubkultur als diverser Raum gesprochen wird, ist die Auswahl der | |
Protagonist*innen ziemlich weiß. Außerdem geht die Serie kaum in die | |
Tiefe, was Musikstile, subkulturelle Konzepte, einzelne Biografien angeht. | |
Die Folgen wirken mit ihren sleeken Slomo-Bildern von | |
Nachtschwärmer*innen und einigen rohen Archivaufnahmen oft wie der Teil | |
von irgendeiner Berlin-Marketingkampagne. Die O-Töne vieler Beteiligter | |
klingen nach sehr gewollter Legendenbildung. Doch Nostalgie hat sich | |
schnell erschöpft. Und was kommt dann? | |
Immerhin: Eine Mitarbeiterin des [7][://about blank], eines jener fünf | |
Clubs, [8][die durch den geplanten Ausbau der Stadtautobahn A 100 vor dem | |
Aus stehen], kritisiert die Vereinnahmung von Clubkultur für | |
Marketingzwecke. Auch um die Verdrängung von Clubs durch den Mangel an | |
innerstädtischen Flächen geht es immer wieder. Vor allem aber darum, dass | |
in Clubs angeblich alle so auftreten dürfen, wie sie wollen. Und natürlich | |
können diese Orte, wie es in „EXZESS“ öfter behauptet wird, Safe Spaces | |
sein. Aber eben nicht nur und nicht für alle. Allein schon wegen der | |
Eintrittspreise von mittlerweile bis zu 30 Euro. | |
Doch Kritik spart die Serie weitestgehend aus. Weder beleuchtet sie die | |
großen Probleme, die einige Berliner Clubs, auch das Berghain, aktuell mit | |
Drogen wie GHB und Mephedron haben, noch die Übergriffe, die es auch im | |
Berliner Nachtleben immer wieder gibt. [9][Spätestens seit Till Lindemann | |
trotz massiver Vorwürfe vor Kurzem einfach so in den sexpositiven | |
KitKat-Club spazieren durfte, in dem Konsent das Wichtigste überhaupt sein | |
sollte,] wurde klar, dass die Rolle als Safe Space nicht alle so ernst | |
nehmen, wie sie es nach außen gern behaupten. | |
Bei so vielen auskunftswilligen Interviewpartner*innen wären | |
kritische Nachfragen leicht möglich gewesen. KitKat-Gründer Simon Thaur | |
darf stattdessen ein Loblied auf seinen Club singen. Chance vertan. | |
13 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Wir-sind-Punks-wir-sind-schwul/!306546/ | |
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[3] /Berliner-Clubs-nach-zwei-Jahren-Corona/!5837809 | |
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[7] /About-Blank-Leute-ueber-ihren-Club/!5401701 | |
[8] /Streit-um-die-A100-in-Berlin/!5914275 | |
[9] /Lindemann-im-KitKat/!5945118 | |
## AUTOREN | |
Johann Voigt | |
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