# taz.de -- Dozenten über Subkultur-Akademie: „Kultur braucht blühende Subk… | |
> Wie betreibt man einen Club? An der Academy for Subcultural Understanding | |
> soll man das lernen. Anastasia Schmidt und Martin Fuller unterrichten | |
> dort. | |
Bild: Akademie-Team: Sundus Mehrez, Johann Freitag, Leonard Raffel, Martin Full… | |
An der neu gegründeten Academy for Subcultural Understanding im Berliner | |
Club Tresor sollen Clubgründer:innen aus kleinen und mittelgroßen | |
deutschen Städten lernen, [1][wie man einen Club führt und als nachhaltiges | |
Projekt betreibt.] Geführt wird die Akademie nicht nur vom Tresormastermind | |
[2][Dimitri Hegemann], sondern auch von Soziolog:innen, die meinen, | |
Soziologie könnte der Techno-Subkultur von Nutzen sein. Aber braucht die | |
Subkultur diese Art von institutioneller Hilfe überhaupt? | |
taz: Subkultur als Begriff und Forschungsbereich ist tief verwurzelt in der | |
Soziologie. Umgekehrt spielen Soziologen und Soziologinnen bislang keine | |
besondere Rolle in Subkulturen. Was interessiert Sie an dem Thema? | |
Anastasia Schmidt: Subkulturen sind unter anderem deswegen spannend, weil | |
ganz verschiedene soziologische Interessen dort sichtbar werden. Ein | |
Beispiel, das uns sehr interessiert, ist der räumliche Aspekt: Subkulturen | |
brauchen physische Räume. Ohne diese geht es nicht. Das knüpft an viele | |
wichtige Themen an: Bürokratie, Hierarchien, Zugang. | |
Martin Fuller: Es gibt eine großartige Forschungsgeschichte zu Subkulturen, | |
von der Chicagoer Schule bis zu Dick Hebdige und der Universität von | |
Birmingham im Centre for Contemporary Cultural Studies. Die alte Denkweise | |
betrachtete Subkulturen als Abweichler. Später erst entwickelte sich die | |
Sichtweise, dass Subkulturen einen bereichernden Teil von Kultur | |
darstellen, besonders der städtischen Kultur. Viele marginalisierte | |
Menschen werden durch die Gemeinschaften, die sich um Subkulturen bilden, | |
ermächtigt, wie man an allen möglichen Musikrichtungen erkennen kann. | |
Subkulturen sind faszinierend im Hinblick darauf, soziale Ungleichheit | |
anzugehen und wie Menschen Handlungsfähigkeit behaupten, wenn sie sonst | |
wenig Einfluss haben. | |
In der Academy for Subcultural Understanding sollen Menschen lernen, wie | |
man einen Club führt. Was kann Soziologie dazu beitragen? | |
AS: Als Akademie versuchen wir nicht unseren Teilnehmer:innen | |
beizubringen, was Subkultur ist – auch nicht aus soziologischer Sicht. Das | |
wissen sie bereits. Aber ich glaube schon, dass soziologisches Wissen in | |
konkreten Fällen eingesetzt werden kann, um der Subkultur zu helfen, zum | |
Beispiel auch, um ein gesellschaftliches Verständnis herzustellen, warum | |
Subkulturen wichtig sind. | |
MF: Subkulturen gedeihen auch ohne die Hilfe von Soziolog:innen. Sie | |
brauchen uns nicht so, wie wir sie brauchen. Und einige Forscher:innen | |
haben manchmal eine Art, das Geheimnisvolle zu entzaubern und diese | |
wunderbaren Momente in Subkulturen zu entmystifizieren. Was wir aber zu tun | |
versuchen, ist, jungen Leuten, die in deutschen Städten kleinerer und | |
mittlerer Größe – wie Erfurt, Bremerhaven, Brandenburg an der Havel oder | |
Münster – Clubs, Veranstaltungsorte und Partys starten, Werkzeuge an die | |
Hand zu geben. Die Soziologie kann eine Reihe von guten Argumenten liefern, | |
warum Clubs wichtig sind. Zum Beispiel wissen wir als Soziologen, dass | |
kreative Menschen auch ein Wirtschaftsfaktor sind. Das ist aber natürlich | |
nicht der Hauptgrund, warum Städte Subkulturen unterstützen sollten – wir | |
brauchen Subkulturen vor allem, weil sie Kulturen und soziales Leben | |
bereichern. | |
Und was ist mit dem soziologischen Überbau? Welche Rolle spielt der in der | |
Akademie? | |
MF: Kürzlich hielt ich einen Vortrag über Raum und kollektive Erfahrungen | |
von Vergnügen. Ich sprach über eine soziologische und philosophische | |
Grundlage, die besagt, dass kollektive Erfahrungen des Vergnügens in fast | |
allen Gesellschaften als wichtig angesehen werden. Clubkultur ist keine | |
Ausnahme, sondern Teil eines allgemeineren soziologischen Phänomens der | |
Ekstasis – altgriechisch für Selbstverlust, Transzendenz, Ego-Verlust, oft | |
in Verbindung mit Gemeinschaften. Anstelle eines typischen | |
Universitätskurses habe ich erörtert, wie diese soziologischen Konzepte | |
nützlich sind, um zu argumentieren, dass Sub- und Clubkulturen in der | |
realen Welt von Bedeutung sind. Wenn man mit einem Bürgermeister oder mit | |
einer Bürgermeisterin spricht, ist es gut, begründen zu können, warum sie | |
einen Veranstaltungsort unterstützen sollten. Zum Beispiel ziehen | |
Clubkulturen Individuen und Gemeinschaften an und halten sie fest: In | |
Berlin wissen wir, wie dies eine Stadt verändert und welche Probleme durch | |
Gentrifizierung entstehen können. In kleineren Städten kann eine lebendige | |
Gemeinschaft rund um Subkulturen jedoch einige der brillanten jungen Leute | |
davon abhalten, wegzuziehen. Außerdem lindern Clubs und Veranstaltungsorte | |
Langeweile, eine der Hauptursachen für soziale Probleme. Sie stärken | |
gleichzeitig das Gemeinschaftsgefühl der Einheimischen, insbesondere der | |
Randgruppen. | |
Was bedroht eigentlich Subkultur? | |
AS: Bürokratie, Eigentumsstreitigkeiten, rein profitorientierte | |
Tätigkeiten. Es geht um den Verlust von Räumen. Tourismus halte ich für | |
keine große Bedrohung. Eine der größten Gefahren in kleinen und | |
mittelgroßen deutschen Städten ist, dass viele junge Leute einfach | |
wegziehen. Das trifft den Kern der Akademie: Es gibt Menschen, die in | |
diesen Städten leben und bleiben wollen, die aber das Gefühl haben, dass es | |
für sie nichts zu tun gibt. Deshalb ziehen sie doch irgendwann nach Berlin | |
oder in eine andere Großstadt. Viele von uns kommen aus kleineren Städten | |
und wissen, dass Veranstaltungsorte einen großen Unterschied für lokale | |
Szenen und Gemeinschaften machen. | |
Wie vermitteln Sie solches Wissen konkret? Was steht auf dem Lehrplan? | |
MF: Wir haben drei Tage pro Woche Seminare und Training. Freitags und | |
samstags übernehmen die Academy-Teilnehmer:innen Schichten im Tresor | |
und können so etwas Geld verdienen. Booking, Kuratierung, [3][Geschichte | |
der elektronischen Musik in Berlin und Detroit], Awareness-Teams, | |
Teambuilding – solche Inhalte sind genauso wichtig wie Lektionen von | |
unserem Bar-Chef, der den Leuten beibringt, wie man sich in einer belebten | |
Nacht verhält. Das gilt auch für die Selektion an der Tür. Einlasskontrolle | |
ist überhaupt ein gutes Beispiel. Wie macht man das etwa in einer kleineren | |
oder mittelgroßen Stadt mit einer nennenswerten rechtsextremen Szene? Setzt | |
man einen großen, weißen Typ mit riesigen Muskeln an die Tür? Oder doch | |
lieber eine FLINTA-, BIPOC-, LGBTQIA+-Person, um gleich beim ersten | |
Kontaktpunkt ein Zeichen zu setzen? Die Tür ist eine gute Möglichkeit, | |
einige Leute willkommen zu heißen und andere nicht. Stellen Sie sich vor, | |
Sie sind ein Rechtsextremer und das erste, was Sie tun müssen, ist, Ihre | |
Autonomie jemandem zu übergeben, den Sie normalerweise diskriminieren. Die | |
Strategie kann rassistische und homophobe Leute fernhalten. Und sie schafft | |
einen sicheren Raum für Gäste. | |
Ist Clubmusik heute überhaupt noch subkulturell? | |
AS: Das fällt vielleicht gar nicht so einfach nur von „der“ Clubmusik“ o… | |
„dem Techno“ zu sprechen, weil es so viele verschiedene Richtungen im | |
Spektrum von Mainstream bis Underground gibt. | |
MF: Es wird immer Mainstream-Versionen von etwas geben, das weniger | |
glaubwürdig erscheint als das Original. Einige DJs werden erfolgreich, | |
machen aber immer noch Musik, die mit der Geschichte und Gegenwart einer | |
bestimmten Subkultur verbunden ist. Sicher ist: Kultur gibt es nur wegen | |
blühender Subkulturen. Es geht nicht nur um Geld oder Popularität, sondern | |
um grundlegende Werte. | |
9 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Alex Samuels | |
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