# taz.de -- 80 Jahre Bob Dylan: Hey, Mr. Tambourine Man | |
> Songwriter, Nobelpreisträger, Motorradfahrer: das und viel mehr ist Bob | |
> Dylan. Am 24. Mai wird der Mann mit dem abwesenden Blick 80 Jahre alt. | |
Bild: Bob Dylan 1965 im Tonstudio mit einer akustischen Gitarre | |
Geboren in der Hafenstadt Duluth am Lake Superior in Minnesota ist Dylan am | |
24. Mai 1941 als Robert Zimmerman in eine jüdische Familie. Sein Großvater | |
stammte aus der russischen Stadt Odessa und floh vor antisemitischen | |
Pogromen in die USA. Aufgewachsen ist Dylan in der Kleinstadt Hibbing, die | |
Ende des 19. Jahrhunderts aufgrund von Erzvorkommen um einige hundert Meter | |
verschoben wurde und seither „the city that moves“ genannt wird. Die karge | |
Landschaft des Nordens hat ihn geprägt: „Flüsse, Wälder, endlose Weiten, es | |
ist eine raue Gegend, die mich wild und einsam werden ließ. Im Winter war | |
es acht Monate lang vollkommen still. Ich habe halluzinogene Erfahrungen | |
gemacht, wenn ich nur aus dem Fenster blickte.“ | |
## Dylan am Radio | |
Dylan ist seit Kindestagen passionierter Radiohörer: Zuerst zogen ihn die | |
Gospel-, Blues- und Countrysender aus dem US-Süden in den Bann. Der | |
blecherne Transistorsound gehört zu Dylans frühen Hörerfahrungen. Wie der | |
Mississippi, der im Norden Minnesotas entspringt und hinunter nach | |
Louisiana durch viele Südstaaten fließt, bis er in den Golf von Mexiko | |
mündet, hat sich Dylan durchs Radio peu à peu die Welt der US-Folkmusik | |
erschlossen. | |
In den nuller Jahren hat Dylan die unglaublich seltsame Musikkultur von | |
einst in 101 Folgen seiner eigenen Sendung „Theme Time Radiohour“ wieder | |
auferstehen lassen. Im ersten Lockdown 2020 hat er noch mal eine | |
zweistündige Sendung zum Thema „Songs über Whiskey“ nachgeschoben. | |
## Dylan und Woody Guthrie | |
„Hey, hey Woody Guthrie, I wrote you a song / 'Bout a funny ol’ world | |
that’s a-comin’ along“, singt Bob Dylan in einem Song, den er 1961 für d… | |
berühmten linken Folksänger schreibt („Song to Woody“). Anfang der | |
sechziger Jahre zieht es Dylan aus Minnesota nach New York, dort lernt er | |
Woody Guthrie kennen. Dessen Musik ist zu jener Zeit der wichtigste | |
Bezugspunkt für Dylan. | |
Als Guthrie sich für längere Zeit in einer Psychiatrie aufhält – er leidet | |
unter der Nervenkrankheit Chorea Huntington –, besucht Dylan ihn dort und | |
spielt ihm dessen eigene Lieder und den eingangs zitierten Song vor. Zwei | |
Jahre später widmet er dem großen Americana-Songwriter das imposante | |
Langgedicht „Last thoughts on Woody Guthrie“. Nach dem Tod Guthries 1967 | |
spielten Dylan und The Band bei einem Memorial-Konzert ihm zu Ehren. | |
## Dylan, der Verräter | |
Ein Glaubenskrieg tobt Mitte der Sechziger in der US-Musikkultur. | |
Unversöhnlich gegenüber stehen sich die Folk-Puristen einerseits, die das | |
Liedermachertum akustisch, politisch und rein halten wollen, auf der | |
anderen Seite Musiker:innen, die sich dem elektrifizierten Rock zuwenden. | |
Niemand verkörpert diesen Zwist wie Dylan, der nun vermehrt die E-Gitarre | |
einsetzt und sich von Blues und Rock inspirieren lässt. | |
1965 wird er deshalb beim Newport Folkfestival ausgebuht, und ein Jahr | |
später, am 17. Mai 1966, beschimpft ein Besucher ihn bei einem Auftritt in | |
Manchester als „Judas“. „Play it fucking loud!“, weist Dylan seine Musi… | |
daraufhin an – die Band gibt die Antwort mit einer Version von „Like a | |
Rolling Stone“, die verdammt noch mal rockt und groovt. | |
## Dylan als enzyklopädischer Songwriter | |
Bis heute hat Dylan [1][Musik und Texte für mehr als 600 Songs komponiert] | |
und auf 39 Studioalben veröffentlicht. Darunter ergreifende Liebeslieder | |
(„Girl from the North Country“), eine flammende Solidaritätsbekundung an | |
den fälschlicherweise inhaftierten Boxer Rubin Carter („Hurricane“) und | |
lakonische Welthits („Mr. Tambourine Man“). In der Fülle aus Zitaten, | |
realen Bezügen und kreativer Fantasie sind Dylans Texte einmalig. | |
Verweise aus Literatur, Musik, Film und Zeitgeschichte variiert er | |
anspielungsreich und mit Sinn für Details zu seiner eigenen Version der | |
Welt. Zuletzt mit dem gigantischen 17-minütigen Reigen „Murder Most Foul“ | |
(2020), in dem er die Ermordung von US-Präsident John F. Kennedy mit | |
Shakespeares „Hamlet“ zusammengebracht hat und dazu unzählige Songs | |
zwischen Jazz, Folk und Pop wie ein Wirbelwind aufzählt. Das Lied landete | |
übrigens auf Nummer eins der US-Charts. | |
## Dylan als Leser | |
Dylan hat oft erzählt, dass er Bücher verschlingt, am liebsten „dicke | |
Wälzer“. Begebenheiten aus „Don Quichote“, „Moby Dick“ und „Gulliv… | |
Reisen“ tauchen in den Songs auf, auch bei Homers „Ilias“ wurde Dylan | |
fündig. Literatur habe ihm einen Blick aufs Leben eröffnet, ein Verständnis | |
für die menschliche Natur gegeben und einen Standard, um Dinge zu bewerten, | |
hat er in der Dankesrede für den Nobelpreis erklärt. Dass er mehr schreiben | |
kann als nur Songtexte, beweist nicht zuletzt seine 2004 veröffentlichte | |
Autobiografie „Chronicles“, von der man stets hofft, dass es noch eine | |
Fortsetzung geben wird. | |
## Dylan und das Motorrad | |
Bob Dylan und die motorisierten Zweiräder, das ist zunächst eine | |
Liebesbeziehung. In jungen Jahren kauft er sich eine Harley Knucklehead, in | |
den Sechzigern sieht man ihn gern auf seiner Triumph T100 Tiger posieren. | |
Der Motorradunfall, den Dylan am 29. Juli 1966 auf einer Landstraße bei | |
Woodstock hat, soll zum Mythos werden. Keiner weiß, wie schwer seine | |
Verletzungen wirklich sind, aber Dylan verschwindet nach dem Unfall eine | |
Weile und sagt seine Tourneen ab. Zwei Sätze, die er dazu in den | |
„Chronicles“ schreibt, fassen das Wesentliche wohl gut zusammen: „Ich hat… | |
einen Motorradunfall gehabt und mich verletzt, aber ich erholte mich. In | |
Wahrheit wollte ich der Tretmühle den Rücken kehren.“ | |
## Dylan und die Religion | |
Beim Stichwort Religion kommt Dylan-Fans wahrscheinlich als Erstes seine | |
religiöse Phase zwischen 1979 und 1982 in den Sinn. Damals konvertiert | |
Dylan zum evangelikalen Christentum und veröffentlicht drei religiöse Alben | |
(„Slow Train Coming“, „Saved“, „Shot of Love“), die für viele nich… | |
zum Prickelndsten zählen, was der Meister in seiner Karriere aufgenommen | |
hat. | |
Ein weitere Annäherung an Gott: Dylan tritt im Jahr 1997 beim | |
eucharistischen Kongress in Bologna auf, Papst Johannes Paul II. hatte ihn | |
eingeladen. 300.000 Besucher sind gekommen, Dylan spielt drei Stücke. Der | |
spätere Papst Joseph Ratzinger spricht sich seinerzeit übrigens strikt | |
gegen die Einladung Dylans aus. Denn: In Wahrheit sei der Nihilist. | |
## Dylans Never Ending Tour | |
Sie begann am 7. Juni 1988 in Concord, Kalifornien, mit einer Serie von 71 | |
Konzerten ohne Pause und ging mit kurzen Unterbrechungen immer wieder quer | |
über die Welt, bis sie nach mehr als 3.000 Konzerten vergangenes Jahr durch | |
die Coronapandemie gestoppt wurde. Meistens spielte Dylan pro Jahr mehr als | |
100 Konzerte und oftmals 16 Songs pro Konzert, aber niemals exakt die | |
gleiche Reihenfolge. Im Abspann zu Martin Scorseses Dokumentarfilm „Rolling | |
Thunder“ werden die Gigs minutenlang gelistet. | |
Zunächst hoffte Dylan, mit Touren seiner kreativen Krise nach der | |
christlichen Phase und einigen schwächeren Werken Anfang der 1980er Jahren | |
zu entgehen. Allmählich entwickelte sich die Mammutreise zur Rückbesinnung | |
auf den Fundus an Musik aus den verschiedenen, auch entlegenen Momenten der | |
mehr als 60-jährigen Karriere. [2][Dylan erreichte dadurch neue | |
Hörer:Innen, ohne die alten Fans zu vergraulen]. Ob die Never Ending Tour | |
nach Überwindung der Pandemie fortgesetzt wird, bleibt ungewiss. | |
## Dylan und der Literaturnobelpreis | |
Als Dylan 2016 die Auszeichnung erhält, bekommt mit ihm auch die gesamte | |
Pop- und Gegenkultur endlich eine überfällige Anerkennung. Dylan bleibt der | |
Verleihung des Nobelpreises fern (in seiner Abwesenheit singt Patti Smith | |
eine bewegende Version von „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“, bei der sie | |
zwischendurch stockt, weil sie so nervös ist). Seine Dankesrede reicht er | |
2017 nach. Die Musik Buddy Hollys sei Ausgangspunkt all seines Schaffens | |
gewesen, schreibt er darin: „Er war alles, was ich nicht war und was ich | |
werden wollte.“ Ein Konzert von Buddy Holly schildert er als | |
lebensverändernd: „Er blickte mir direkt in die Augen, und er übermittelte | |
mir etwas. Etwas, das ich nicht kannte. Ich bekam eine Gänsehaut.“ | |
## Dylan als Popikone | |
Der abwesende Blick, das verwuschelte Haar, der dünne Schnurbart. Dylan war | |
spätestens ab Mitte der 1960er ein umsichtig agierender Künstler, der sein | |
Auftreten bewusst dosierte, damit die Hoheit über sein Image gewann und die | |
Verpflichtungen gegenüber seiner Plattenfirma im Zaum hielt. Dylan war | |
immer wandlungsfähig. Ob der Wechsel von der E-Gitarre zum Piano, 1959 in | |
Minneapolis, eigene Versionen steinalter Traditionals mit The Band 1967, | |
oder die Varieté-hafte Rolling Thunder Tour 1975/76, die Moves von Dylan | |
sind meist unvorhersehbar. | |
Weil er sich durch Zuschreibungen wie „Protestsänger“ und „Stimme einer | |
Generation“ eingeengt fühlte, zog er sich gelegentlich aus der | |
Öffentlichkeit zurück. Wenn es sein muss, kommt er dann wieder aus dem | |
Versteck und formuliert Knock-out-Sätze, wie 2020 bei einem Interview mit | |
der New York Times: „Ich stelle mir das Bewusstsein als Geist vor und den | |
Körper als Substanz. Wie man die beiden in Einklang bringt? Keine Ahnung! | |
Ich versuche, gerade auszugehen, nicht von der Linie abzuweichen und dabei | |
die Höhe zu halten.“ | |
23 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
Julian Weber | |
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