# taz.de -- 250 Jahre Alexander von Humboldt: „Zu viele Klischees perpetuiert… | |
> Das Humboldt Forum müsste seine Sammlungen als Weltdeutungsperspektive | |
> des Wilhelminismus dekonstruieren, sagt Wolfgang Kaschuba. | |
Bild: Restauration einer afrikanischen Holzfigur (19. Jahrhundert) im Museumsko… | |
taz: Herr Kaschuba, warum macht Ihnen das Humboldt Forum Kopfschmerzen, wie | |
Sie im Vorgespräch sagten? | |
Wolfgang Kaschuba: Zunächst, weil eine Reihe von Geburtsfehlern bis heute | |
nicht behoben sind und eine Reihe von strategischen Möglichkeiten, die | |
heute vorhanden sind, nicht genutzt werden. Ein Geburtsfehler war, dass zu | |
spät Kuratoren von außen dazu genommen wurden, die die Sammlungen als | |
Sammlungen betrachten und nicht als fertige museale Einrichtungen. Dass die | |
Gründungsdirektoren des Forums das nicht konnten, ist völlig verständlich. | |
Zweitens ist bis heute die Balance nicht gelungen zwischen dem Blick | |
Europas auf die Kolonien und dem Blick Europas auf seine eigenen und | |
inneren kolonialen Verhältnisse. Man hätte eine stärkere Synthese zwischen | |
äußerer und innerer Kolonialisierung herstellen müssen. | |
Das heißt? | |
Die Blicke auf die europäischen „Exoten“, die damals in bäuerlichen und in | |
nomadischen europäischen Gruppen gesehen wurden, hätten als Analogie- wie | |
Kontrastfolie bildungsbürgerlicher Welt-Anschauung um 1900 dazu gehört. | |
Damit deutlich wird, dass der damalige koloniale und rassistische Blick in | |
der Tat eine Welt-Anschauung war und keine nur partielle Afrika-Anschauung. | |
Sie kritisieren, dass nur „außer-europäisches“ im Forum gezeigt werden | |
wird? | |
Ja, das kommt mir vor wie einst der englische Fußball-Verband, der ein Mal | |
im Jahr England gegen den „rest oft the world“ spielen ließ, weil er sich | |
fußballerisch eben als Mutterland und Hegemon verstand – lange her. | |
Ethnografica aber sollten auch solch einen „Rest der Welt“ repräsentieren … | |
eben vom kolonialen Europa aus betrachtet. Der dritte Geburtsfehler: Es | |
fehlt eine klare historische wie kulturelle Identifikation der | |
ethnographischen Sammlung, zum Teil auch der Kunstsammlung des Humboldt | |
Forums, als eine spezifische Deutungsperspektive. Denn die Sammlungen | |
entstanden als koloniale Bricolage kultureller Objekte – aus der | |
historischen Sicht der wilhelminischen Gesellschaft, die in der Zeit der | |
kolonialen Eroberungen gleichzeitig ihren Blick auf das Kulturelle neu | |
konstruiert: als eine sammelnde, bewahrende, systematisierende, aber eben | |
auch hegemoniale Vermessung der Welt. Die Berliner Sammlungen sind in hohem | |
Maße geprägt von dieser Weltanschauung. | |
Was heißt hier Bricolage? | |
Das meint, dass genau die Puzzleteilchen gesammelt worden sind, die im | |
europäischen Horizont charakteristisch für Afrika (oder Asien oder | |
Lateinamerika) schienen – charakteristisch eben für vermeintlich reine | |
„Stammeskulturen“ oder „Nomadenkulturen“, jedenfalls in vieler Hinsicht… | |
scheinbar vor-zivilisatorische Gesellschaftsformationen. Diesen | |
Konstruktionsplan der Sammlungen historisch-kritisch zu markieren, hätte | |
bedeutet, dass das Humboldt Forum sie pflegt und verwaltet, sie | |
historisiert und integriert in eine heute eben postkoloniale Weltanschauung | |
– und nicht völlig unnötig in den Verdacht geraten muss, als Hüter und | |
Verteidiger der kolonialen Sammlungsidee aufzutreten und sich dabei zu | |
verschleißen. | |
Das Forum müsste also die Sammlung, auf der es basiert, kritisch | |
hinterfragen? | |
Erforderlich wäre, dass man die Konstruktionsidee der Sammlung selber | |
offenbart – sie in der Tat de-konstruiert, um ihr ideologisches Balkenwerk | |
zu zeigen. Damit würde sie keineswegs zerschlagen, sondern im Gegenteil in | |
ihrer kulturellen Substanz wie symbolischen Anordnung erkennbarer gemacht. | |
In der jetzigen Konstruktion des Forums als Objektlandschaft jedoch – | |
soweit bekannt – werden immer noch zu viele der Klischees, Muster und | |
Metaphern perpetuiert, die die Kaiserreich-Gesellschaft den Dingen | |
angeheftet hatte. | |
Die Forums-Macher aber beteuern in den letzten zwei Jahren immer wieder, | |
sie hätten die Kritik verstanden, setzen etwa sehr viel auf Dialog mit den | |
Herkunftsgesellschaften, machten mehr Provenzienrecherche. Reicht ihnen das | |
nicht? | |
Im Detail sind gewiss viele Objekte und Themen intensiv bearbeitet und neu | |
bestimmt worden. Es fehlt mir jedoch die orientierende Navigation im | |
Großen: also die systematische historische Einordnung und ethnologische | |
Rahmung der Sammlungen und damit eben zugleich auch die entscheidende | |
strategische Positionsbestimmung des Humboldt Forums in den globalen | |
postkolonialen Debatten. Denn diese Position bietet sich geradezu an: | |
Berlin als der Ort der historischen Kolonialkonferenz – vor dem Hintergrund | |
einer erst noch vielfach aufzuarbeitenden deutschen Kolonialgeschichte – | |
mit dem Humboldt-Forum als empirischer Werkbank und kritischem Labor. Dafür | |
lohnt es sich dann tatsächlich, fast 600 Mio. Euro auszugeben und in der | |
preußischen Schlosskopie zu residieren – sage niemand, wir hätten keinen | |
Humor… | |
Verteidiger der Sammlung sagen auch, deren Väter wie Adolf Bastian, der | |
Gründungsdirektor des Berliner Völkerkundemuseums, hätten ja – im Sinne von | |
Humboldt – aus ihrem humanistischen Menschenbild heraus vor allem Objekte | |
retten und bewahren wollen, die der Kolonialismus sonst zerstört hätte. | |
Dass wir da ambivalente historische Konstellationen vorfinden, dass wir | |
daher auch Symphatien haben müssen für die Bastians und Humboldts, weil | |
vieles verloren gegangen wäre, wenn es diese Sammlungsidee nicht gegeben | |
hätte, ist uns allen bewusst. Deswegen heißt die Lösung auch nicht, | |
Sammlungen zerschlagen oder alles zurückgeben. Den absoluten | |
Restitutionsgedanken halte ich nämlich eher für ein neues und typisch | |
europäisches Konzept. Wiederum hegemonial nach dem Motto: Wir geben euch | |
euer Kulturerbe zurück und ihr haltet es in Ehren, baut am besten ein | |
Museum. Denn es ist völlig unklar, ob all die europäischen Raub- und | |
Sammlungsgüter auch in afrikanischer oder asiatischer Perspektive | |
tatsächlich „Kulturgüter“ sind! Wir sagen dazu „nationales Erbe“, wol… | |
aber gleichzeitig die heutigen afrikanischen Gesellschaften dazu | |
veranlassen, diese Definition zu übernehmen – durch die moralische Geste | |
der Restitution. Die wollen aber vielleicht ihr Kulturerbe lieber selber | |
definieren. Wir haben also oft die groteske Situation, dass die scheinbar | |
moralischste Forderung – die nach Restitution – eben ungewollt Teil eine | |
post-postkolonialen Konstellation sein kann: Wir geben euch Kulturgut | |
zurück, also respektiert bitte beides: das Kulturgut wie unseren Großmut! | |
Wir haben ja nicht nur bei den „Global Stones“ im Berliner Tiergarten schon | |
erlebt, dass Rückgaben Objekte eben nicht immer mit Schleife versehen im | |
Museum landen, wie wir Europäer uns das vorstellen | |
Sie sind also nicht der Ansicht von Bénédicte Savoy, die in ihrem Report | |
für den französischen Präsidenten voriges Jahr schrieb, afrikanische | |
Kulturgüter müssten restituiert werden, wenn die Herkunftsgesellschaften | |
das fordern? | |
Darüber sollte man intensiv diskutieren. Das eine ist das koloniale Unrecht | |
durch die „Mitnahme“, da finde ich wesentlich den Blick auf die damit | |
verbundene Entstehung falscher oder eurozentrischer Bilder bei uns. Das | |
andere ist die Frage, ob die Dinge jenen, denen sie gestohlen worden sind, | |
und ihren Nachfahren heute von besonderem Wert sind? Dann kann darüber | |
verhandelt werden, welche Lösung die beste ist – wobei das moralische Recht | |
eindeutig bei den Bestohlenen liegt. Dennoch sind in manchen Situationen | |
wohl auch Lösungen denkbar, bei denen etwa ein globales Netz von | |
Präsentationsorten oder ein System „wandernder Objekte“ bevorzugt wird, | |
gerade um den Problemzusammenhang „Ethnografica und Kolonialismus“ | |
allseitig zeigen und ausleuchten zu können. Da wird man sich dann | |
vielleicht auf neue multidialogische Bezüge und Beziehungen verabreden, in | |
denen dann auch grundsätzlich über die (ungleiche) weltweite Verteilung von | |
Kultur und Kunst diskutiert werden kann. | |
Jetzt wird der 250. Geburtstag Alexander von Humboldts gefeiert, einer der | |
Namenspatronen des Forums, auf deren Humanismus und Kosmopolitismus man | |
sich gerne beruft. Wie sehen Sie diese Verbindungslinie? | |
Ironischer Weise hat man mit dieser Berufung aktuell gar nicht so unrecht, | |
weil wir Alexander von Humboldt einerseits natürlich als Wunderkind seiner | |
Zeit schätzen. Daher das Forum ihm zu Ehren. Andererseits jedoch hätte | |
unsere Aufgabe heute vielleicht doch darin bestehen müssen, im Blick auf | |
die Kultur noch etwas weit- und umsichtiger zu agieren als er – schließlich | |
haben wir 200 Jahre mehr Erfahrung. So aber habe ich – zugespitzt | |
formuliert – fast den Eindruck, mit der Ehrung Humboldts begnügt man sich | |
zugleich auch vielfach mit der Feier seines Wissensstand und seiner | |
Welt-Anschauung. Insofern wäre dem Forum doch eine quasi eine | |
Post-Humboldt-Perspektive zu wünschen, die zwar auf seiner aufbaut, nunmehr | |
aber auch bewusst die Schwächen in seinen Weltbildern wie denen der | |
Aufklärung und der Moderne generell kritisch aufarbeitet. | |
Wie würde diese Perspektive aussehen? | |
Beim Forum konkret, indem wir das doppelte historische und symbolische | |
Arrangement sichtbar machen, das in seinen Sammlungen steckt und das uns | |
einerseits den blutigen Hintergrund des europäischen Kolonialismus mit | |
seiner spezifischen Ökonomie und Kriegsführung nicht vergessen lassen darf. | |
Das andererseits aber ebenso dem Gedanken der Aufklärung, Sammlung und | |
Bewahrung von Weltkultur verpflichtet ist – also eben auch Humboldts Ideen | |
und Werten. Wenn wir die Sammlungen als Dokumente dieses | |
historisch-ideologischen Konstrukts in seinen Architekturen und | |
Bestandteilen wie in seinen Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten | |
verständlicher machen, dann können wir auch anders und offener darüber im | |
globalen Austausch diskutieren: in multilateralen Dialogen zwischen | |
ehemaligen Kolonialmächten und ehemaligen Kolonien auf Augenhöhe, die wir | |
aber auch erst dann tatsächlich erreicht haben. Dafür ist Berlin ein guter | |
Ort geworden. | |
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13 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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