| # taz.de -- Folgen der US-Sicherheitsstrategie: Europa in der Mangel | |
| > Die Vereinigten Staaten verabschieden sich vom westlichen Liberalismus. | |
| > Was steht in der neuen US-Sicherheitsstrategie und wie reagiert Europa? | |
| Bild: Die Europäische Union steht so ziemlich allein da | |
| Wer am Donnerstagnachmittag Nato-Generalsekretär Mark Rutte zuhörte, durfte | |
| live erleben, wie die Aufregung um die [1][Nationale Sicherheitsstrategie | |
| der USA] im Zaum gehalten werden soll. Bei seinem Besuch in Berlin zeigte | |
| Rutte keine Spur davon, dass die USA am 4. Dezember ganz offiziell die | |
| Scheidung von Europa eingereicht hatten mit ihrem neuen Sicherheitspapier. | |
| Keine Rede war davon, dass Trump und Co überstaatliche Organisationen wie | |
| die EU, die Nato, die Weltbank und die UN für überflüssig halten, gar | |
| störend in ihrem Weltbild. | |
| Stattdessen wiederholte Rutte bei der Veranstaltung der Münchner | |
| Sicherheitskonferenz das Mantra: Die transatlantische Brücke hält. Die | |
| Amerikaner, insbesondere Trump, bemühten sich um Frieden in der Ukraine, in | |
| der Welt. Das Zauberwort: Commitment, Verpflichtung. Natürlich müssten die | |
| europäischen Staaten ihre Beiträge zu Aufrüstung und Verteidigung weiter | |
| erhöhen, in der Nato, auf nationaler Ebene. Aber sonst? Dem aggressiven wie | |
| überheblichen Tonfall bloß nicht zu viel Bedeutung beimessen. Alles in | |
| Ordnung. Weitermachen. | |
| Dabei hat es das Papier vom 4. Dezember in sich. Auf 33 Seiten propagiert | |
| die Regierung Trump, wie sie sich die neue Weltordnung vorstellt, verpackt | |
| in sicherheitspolitische Leitlinien. Die USA sollen sich wieder auf ihre | |
| Kerninteressen fokussieren, so wie Trump sie versteht. Die Regierung der | |
| Vereinigten Staaten blickt verächtlich auf die liberalen EU-Eliten, also | |
| die Regierungen und Institutionen, und [2][unterstützt gar rechte bis | |
| rechtsextreme Parteien] auf dem Alten Kontinent. | |
| Und so nimmt Europa in dem Papier auch nur Rang drei der Prioritätenliste | |
| ein. Während Rutte und auch der deutsche Außenminister Johann Wadephul | |
| weiter auf Partnerschaft setzen, scheint dies auf auf der anderen Seite des | |
| Atlantiks nicht mehr der Fall zu sein. Eine Überraschung für die deutsche | |
| und europäische Öffentlichkeit? Nicht wirklich. Eher ein Moment der | |
| radikalen Ehrlichkeit. Viele fühlten sich nach der Veröffentlichung des | |
| Papiers zu Recht an jene Rede erinnert, die J. D. Vance im Februar auf der | |
| Münchner Sicherheitskonferenz gehalten hatte. Darin bekräftigte der | |
| Vizepräsident einerseits die schon seit Obama vertraute US-Forderung, | |
| europäische Staaten müssten mehr Geld für ihre Verteidigung ausgeben. | |
| ## America first ist die Hauptlinie | |
| Aber dann der Schockmoment. Er holte zum Rundumschlag gegen die EU und den | |
| politischen Status quo aus. Vance unterstellte den Europäern Defizite bei | |
| Meinungsfreiheit und Demokratie, und bezichtigte sie, ihre Gesellschaften | |
| durch „Masseneinwanderung“ zu zerstören. Schon damals war die Empörung | |
| groß. Nicht nur in Europa, sondern auch unter Demokraten in den USA. | |
| Jetzt finden sich in der Sicherheitsstrategie die Hauptpunkte dieser | |
| Vance-Rede wieder. Damals, vor rund acht Monaten, redeten sich etliche | |
| europäische Regierungschefs die Aussagen des US-Vizepräsidenten noch schön | |
| und suchten nach Interpretationen zur Selbstberuhigung. Vance sei in der | |
| Regierung eben ein Vertreter des extrem nationalistischen Lagers der | |
| MAGA-Bewegung, aber es gebe ja auch noch Gegengewichte. Mit dem neuen | |
| Dokument greift ein solches Schönreden nun nicht mehr: „America first“ ist | |
| die Hauptlinie der US-Regierung, die Handschrift der neokonservativen | |
| US-Transatlantiker fehlt fast gänzlich. | |
| Im Gegenteil: In der Präambel der Sicherheitsstrategie rechnet die | |
| US-Regierung ab mit den heimischen „außenpolitischen Eliten“, die sich | |
| eingeredet hätten, „dass eine dauerhafte amerikanische Herrschaft über die | |
| ganze Welt im besten Interesse unseres Landes liege“. Das Papier ist eine | |
| eindeutige Botschaft an die geopolitischen Weltmächte – und an die | |
| heimische Wählerschaft. Dafür spricht die enthaltene Abrechnung mit den | |
| US-Vertretern supranationaler Organisationen, aber auch die fast schon | |
| obsessive Betonung der eigenen wirtschaftlichen und militärischen Stärke. | |
| Der Hauptfokus des Papiers liegt auf der westlichen Hemisphäre, und dort | |
| besonders auf Lateinamerika. Dort will die Trump-Regierung Migration und | |
| Drogenschmuggel eindämmen, Letzteres „wo nötig“ auch mit Gewalt. Das liest | |
| sich wie eine Rechtfertigung der [3][Angriffe auf angebliche Drogenboote in | |
| der Karibik, die in den letzten Monaten wohl 87 Menschen das Leben gekostet | |
| haben]. Die Strategie spricht hier von einem „Trump-Zusatz“ zur | |
| Monroe-Doktrin. Diese Doktrin wurde 1823 ausgerufen vom damaligen | |
| US-Präsidenten James Monroe, der künftig jede weitere Einmischung | |
| europäischer Mächte in der westlichen Hemisphäre mit Waffengewalt | |
| beantworten wollte. Trump reklamiert Lateinamerika also für sich – während | |
| in Wirklichkeit China dort immer mehr Fuß fasst und sich mittlerweile zum | |
| Haupthandelspartner Lateinamerikas aufgeschwungen hat. | |
| ## Gute Handelsbeziehungen mit China | |
| Asien – und dabei vor allem China – folgt dann auf Platz zwei der | |
| Prioritätenliste. Im Unterschied zur Sicherheitsstrategie aus Trumps erster | |
| Amtszeit wird die asiatische Großmacht nicht mehr als systemischer, | |
| antidemokratischer Rivale beschrieben, sondern nur noch als ökonomischer. | |
| Ziel der US-Regierung ist es nun, gute Handelsbeziehungen mit China zu | |
| bewahren, aber sich auf „nichtempfindliche“ Sektoren zu fokussieren – | |
| offenbar will man sich bei wirtschaftlich relevanten Rohstoffen | |
| unabhängiger machen. Durch Abschreckung soll ein Krieg im Indopazifik | |
| vermieden werden. | |
| [4][Und Europa?] Steht laut US-Administration kurz vor dem Zusammenbruch, | |
| nahezu apokalyptisch ist die Wortwahl. Die Rede vom zivilisatorischen | |
| Verfall Europas ist ein beliebtes Motiv der US-Rechten: Das weiße, | |
| christliche Europa wird demnach durch „Massenmigration“ aus Ländern des | |
| Globalen Südens zerstört. Verantwortlich für den Niedergang sind nach | |
| dieser Lesart die technokratischen Eliten in den Hauptstädten sowie in | |
| Brüssel. Trumps Leute wollen deshalb ihre politischen Alliierten fördern – | |
| patriotische europäische Parteien. Also Akteure wie die AfD in Deutschland. | |
| Wolfgang Ischinger, der ehemalige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, | |
| ist einer der wenigen, der öffentlich und ohne Scheu zugibt, dass die | |
| Haltung der Amerikaner keine große Überraschung ist für Experten. Er | |
| plädiert für eine Reaktion mit erhobenem Haupt, die jetzt von den Europäern | |
| folgen sollte. Aber vor allem für eine gemeinsame Strategie und Haltung. | |
| Also einen Gegenbeweis für das Trump’sche Bild von europäischer | |
| Schwerfälligkeit und Schwäche. | |
| Wie also reagieren? Erstens: dagegenhalten. EU-Ratspräsident [5][António | |
| Costa] wies umgehend jegliche Einmischung der USA in die politischen | |
| Belange der EU-Staaten zurück. Wohl wissend, dass die US-Unterstützung für | |
| die selbsternannten „Wahrer der Meinungsfreiheit“ aus dem rechten Spektrum | |
| so etwas wie ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk sind. Laut dem | |
| Politikwissenschaftler Herfried Münkler geht es Trump nicht allein darum, | |
| europäische Länder rechter zu machen, sie nach dem MAGA-Bild zu formen, wie | |
| dessen Chefideologe Steve Bannon einmal verkündete. | |
| ## Gefälle enorm groß innerhalb Europas | |
| Trump gehe es vielmehr um die Schwächung oder Auflösung der EU. „Die | |
| Europäische Union ist für Trump unangenehm, weil er dann auf Augenhöhe | |
| verhandeln muss. Er möchte lieber mit kleineren einzelnen Nationalstaaten | |
| verhandeln“, sagte Münkler im [6][ZDF]. Da hilft nur, an die | |
| Errungenschaften der EU zu erinnern und an ihnen festzuhalten: eine | |
| wertebasierte Ordnung in allen Mitgliedstaaten, stabile Ökonomien, die | |
| Macht der Diplomatie. Alles Aspekte, die die EU als Organisation attraktiv | |
| machen. Doch bislang sieht man nicht, dass diese Strategie mit Verve | |
| gespielt wird. | |
| Vielmehr greift Reaktion zwei: EU-Vertreter:innen springen auf den Zug auf, | |
| die Forderungen nach mehr Unabhängigkeit von den USA vor allem in | |
| Rüstungsfragen zu erfüllen. Das US-Papier, in dem Russland nicht mehr als | |
| Feind der USA auftaucht, platzierten die Amerikaner nämlich geschickt in | |
| einer heiklen Phase der russischen Vollinvasion in der Ukraine. Die | |
| Europäer sitzen bei den Verhandlungen zwischen den USA und Russland nicht | |
| mit am Tisch. [7][Zugleich wird mehr Geld gebraucht], um die Ukraine | |
| weiterhin mit Waffen zu beliefern, die aus den USA kommen. | |
| Das Gefälle der finanziellen Zusagen ist innerhalb Europas enorm. Wie | |
| schwierig es ist, zu einer Einigung zu kommen, zeigt der Streit um die | |
| Nutzung eingefrorener russischer Vermögen in EU-Mitgliedsstaaten. Wie am | |
| Donnerstagabend bekannt wurde, will Deutschland gemeinsam mit anderen | |
| Ländern eine Mehrheitsentscheidung erzwingen und so das russische Geld für | |
| die Ukraine verwenden. Entscheidend wird der EU-Gipfel in Brüssel Ende | |
| kommender Woche. War es das dann mit Strategie zwei, wenn es zu keiner | |
| Einigung kommt? Auf Nato-Ebene versuchte es Generalsekretär Rutte in seiner | |
| Grundsatzrede in Berlin mit einer drastischen Warnung: „Wir sind das | |
| nächste Ziel Russlands.“ Zu viele glaubten, es gebe noch Zeit aufzurüsten. | |
| Aber: „Jetzt ist die Zeit gekommen.“ | |
| Manfred Weber, Chef der Europäischen Volkspartei, preschte andernorts mit | |
| einer seiner Lieblingsideen vor: einer europäischen Nato. Das würde im Kern | |
| erst einmal bedeuten, dass die EU-Staaten ihre Beiträge zu den | |
| Verteidigungsausgaben enorm erhöhen und so den US-Forderungen nachkommen. | |
| Ventiliert wird nun auch wieder ein Konzept, das bis auf das Jahr Jahr 1950 | |
| zurückgeht – nämlich die Aufstellung einer europäischen Armee, um | |
| militärisch unabhängiger zu sein. Für Letzteres fehlen aber die Grundlagen: | |
| Wer entscheidet, wann es zu einem Einsatz kommt? Wie soll eine solche Armee | |
| überhaupt aufgestellt sein und wie wird sie finanziert? Ganz zu schweigen | |
| davon, ob die Staaten überhaupt bereit wären, die eigenen | |
| Militärstreitkräfte auf EU-Ebene zusammenzuführen, wie es ein britischer | |
| Diplomat formuliert. | |
| ## USA forcieren Spaltung | |
| Kanzler Friedrich Merz übte zwar scharfe Kritik an der US-Strategie und | |
| verbat sich eine Einmischung, „wenn es um die Rettung unserer Demokratie“ | |
| geht. Aber er propagierte auch ein drittes Szenario. „Ihr braucht auf der | |
| Welt auch Partner. Einer dieser Partner kann Europa sein. Und wenn ihr mit | |
| Europa nichts anfangen könnt, dann macht wenigstens Deutschland zu eurem | |
| Partner.“ Also auf bilaterale Kooperationen setzen und die bürokratische EU | |
| beiseite lassen? Keine gute Idee. Denn damit würde Trumps | |
| Teile-und-herrsche-Strategie aufgehen. | |
| Die USA forcieren eine Spaltung. Zwar nicht offensiv im offiziellen | |
| Dokument, aber wie das US-Portal Defense One berichtet, wurde in einer | |
| früheren Fassung der Sicherheitsstrategie explizit eine engere | |
| Zusammenarbeit mit EU-skeptischen oder -feindlichen Regierungen genannt. | |
| Konkret mit Österreich, Ungarn, Italien und Polen. Diese Auswahl überrascht | |
| nicht. Ist doch der ungarische Regierungschef Viktor Orbán ein guter Freund | |
| der MAGA-Bewegung, Giorgia Meloni, Italiens Ministerpräsidentin, hatte die | |
| seltene Ehre, in Trumps Luxusressort Mar-a-Lago zu weilen. | |
| Und auch in Österreich und Polen dürfte die Umarmungsstrategie der USA | |
| verfangen. Die US-Regierung bestreitet die Existenz einer Alternativversion | |
| des offiziellen Dokuments. Fakt ist, es gibt Fliehkräfte innerhalb der EU. | |
| Sie im Zaum zu halten, wird eine der großen Aufgaben sein. Für den | |
| Selbsterhalt der EU. | |
| 12 Dec 2025 | |
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