| # taz.de -- Generaldebatte im Bundestag: Des Kanzlers neue Töne | |
| > In der Generaldebatte im Bundestag schlägt Friedrich Merz neue, | |
| > versöhnliche Töne an: Er appelliert an Konsens und Gemeinsinn und bittet | |
| > um Geduld. | |
| Bild: Kanzler Friedrich Merz bei der Generaldebatte im Bundestag am 26. November | |
| Friedrich, der Polterer, war gestern. In der Generaldebatte im Bundestag, | |
| traditionell der Höhepunkt der Haushaltsdebatte, steht am Mittwoch | |
| Friedrich, der Versöhner, am Rednerpult. Der Kanzler, der öfter mal einen | |
| raushaut, wirbt in „historischen Zeiten“ für einen „Konsens der | |
| Generationen“, für Offenheit im Dialog und den Ausgleich von Interessen. | |
| „Hochkomplexe Zeiten erfordern komplexe Antworten und nicht unterkomplexe | |
| Redensarten“, so Merz, der die politische Konkurrenz noch vor wenigen | |
| Monaten als [1][„grüne und linke Spinner“] bezeichnet hatte. Zumindest in | |
| diesem Moment hat Merz das Polarisierende hinter sich gelassen und klingt | |
| schon fast wie seine ungeliebte Vorvorgängerin Angela Merkel. | |
| Zunächst musste sich der Kanzler aber eine halbe Stunde gedulden. Die | |
| Schlussberatungen in der Haushaltswoche eröffnet die AfD als größte | |
| Oppositionspartei, so sieht es die Geschäftsordnung vor. Fraktionschefin | |
| Alice Weidel attestierte Merz, komplett gescheitert zu sein – und | |
| appellierte gleichzeitig an die „lieben Abgeordneten“ der Union, sich „aus | |
| der sozialistischen Einheitsfront namens Brandmauer“ zu befreien. Und mit | |
| ihrer Partei zusammenzuarbeiten statt mit der SPD. Im Anschluss entspann | |
| sich ein kleines rhetorisches Scharmützel. | |
| Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Dirk Wiese, warf der AfD vor, | |
| russische Interessen zu vertreten, und fragte Weidel, warum ihre | |
| Abgeordneten im Bundestag 7.000 sicherheitsrelevante Anfragen gestellt | |
| hätten und nach Russland gereist seien. Man sei eben die einzige Partei, | |
| die offene Kanäle nach Russland pflege, antwortete Weidel und erntete dafür | |
| fraktionsübergreifend spöttisches Gelächter. | |
| Keine Redner:in, die nicht anschließend die AfD auf's Korn nahm. Auch der | |
| Kanzler erteilte dem von Weidel verkündeten 12-Punkte-Plan der extrem | |
| Rechten eine Absage, der unter anderem Energielieferungen aus Russland | |
| vorsieht. | |
| ## Merz sieht Trendwende | |
| Vor allem aber nutzte Merz die Haushaltsdebatte für eine Zwischenbilanz der | |
| von ihm geführten rot-schwarzen Regierung, wobei er, „das kleinteilige | |
| Gemecker am Straßenrand“ ignorierend, staatsmännisch auf die großen Linien | |
| einging – wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, Sicherheit und | |
| Zusammenhalt. | |
| Merz sieht seine Regierung – wenig überraschend – auf Kurs und verwies auf | |
| die vorbereiteten und bereits verabschiedeten Gesetze für Bürokratieabbau, | |
| niedrigere Energiepreise und zur Entlastung der Unternehmen. „Obwohl der | |
| geoökonomische und geopolitische Wind zuletzt eher noch rauer geworden ist, | |
| zeichnet sich trotzdem eine Trendwende ab“, lobte er sich. Das alles klang | |
| sehr geschäftsmäßig, ein großer Auftritt war es nicht. | |
| Der Vorsitzende der Linksfraktion, Sören Pellmann, warf dem Kanzler vor, | |
| Politik für die Reichen zu machen und zu viel für Panzer und zu wenig für | |
| Familien auszugeben. Er forderte einen Wiederaufbauplan für Bildung und | |
| Kommunen; Investitionen in Rüstung würden hingegen verpuffen. Beifall kam | |
| nur von der Linken. | |
| ## „Europa ist kein Spielball“ | |
| Man sei in einer neuen geopolitischen Lage, die neue Antworten erfordere, | |
| hatte Merz zuvor erklärt. Und war konkret auf die Verhandlungen für einen | |
| Frieden in der Ukraine eingegangen, wobei er deutliche Kritik am | |
| [2][ursprünglichen 28-Punkte-Plan der USA] übte. Man wolle Frieden, aber | |
| keine Friedhofsruhe, sagte Merz. „Ein von Großmächten verhandeltes Abkommen | |
| ohne Zustimmung der Europäer und der Ukraine wird keine Grundlage für einen | |
| tragfähigen Frieden sein.“ | |
| Und das habe er auch in seinem Telefonat mit Donald Trump in der | |
| vergangenen Woche klargemacht: über europäische Angelegenheiten könne nur | |
| im Einvernehmen mit Europa entschieden werden. „Europa ist kein Spielball“, | |
| rief Merz im Bundestag. Davon allerdings dürfte sich der US-amerikanische | |
| Präsident wenig beeindrucken lassen. | |
| An das innenpolitische Publikum gerichtet, bat Merz um Geduld. Die | |
| „Reformerwartungen“ seien „zum Teil größer, als wir sie im Augenblick | |
| erfüllen“, räumte er ein. Angesichts der Größe der Aufgaben wolle seine | |
| Regierung aber „nichts übers Knie brechen“. Kein Wort mehr vom „Frühlin… | |
| Sommer, Herbst der Reformen“, sondern lediglich das Versprechen: „Wir | |
| werden das Reformtempo hochhalten.“ Auch hier spiegelte sich also die neue | |
| Merzsche Demut wider. | |
| ## Bekenntnis zum Rentenpaket | |
| Auf das aktuelle Streitthema in der Koalition, die Rente, ging Merz in der | |
| Generaldebatte kaum ein. Er betonte lediglich den Willen zu einer größeren | |
| Reform und betonte, die Einsetzung der Rentenkommissionsei keine „Strategie | |
| der Politikvermeidung“, sondern das Gegenteil. Einen Tag zuvor, auf dem Tag | |
| Deutschen Arbeitgebertag, war der Kanzler deutlicher geworden und hatte | |
| sich zur Verstörung der Arbeitgeber klar zum Rentenpaket und zur | |
| sogenannten Haltelinie bekannt. | |
| Die fixiert das Rentenniveau auf mindestens 48 Prozent, spätere Reformen | |
| setzen dann auf diesem Niveau an. „Wir haben im Kabinett nicht mehr und | |
| nicht weniger verabschiedet und auf den parlamentarischen Weg gebracht als | |
| im Koalitionsvertrag vereinbart“, sagte Merz am Dienstag auch an die | |
| Adresse der Jungen Gruppe in seiner Fraktion, die das anders sieht und mit | |
| Ablehnung des Rentenpakets droht. Damit unterstützte Merz die Argumentation | |
| der SPD. | |
| ## Kritik am Kanzler, der Menschen vor den Kopf stößt | |
| Der Fraktionsvorsitzende der SPD Matthias Miersch forderte mehr Empathie | |
| für die Betroffenen in der Debatte und kritisierte die Grünen. Diese | |
| fordern eine Abschaffung der Rente mit 63, die einst die von der SPD | |
| geführte Ampelregierung eingeführt hatte. | |
| Die grüne Fraktionschefin Britta Haßelmann wollte Merz seinen neuen Ton | |
| nicht unwidersprochen durchgehen lassen. Sie kritisierte den Kanzler, der | |
| jeden Tag die Hälfte der Bevölkerung vor den Kopf stoße – mal mit der | |
| Stadtbilddebatte, [3][mal mit Belém]. Dass weniger als ein Viertel der | |
| Bevölkerung Vertrauen in die Regierung habe, liege auch an Merz. Er erwecke | |
| jeden Tag Erwartungen, die er am nächsten wieder kassieren müsse. Die | |
| Unionsfraktion sei unberechenbar und Jens Spahn „mit seinen ganzen | |
| Schwächen“ werde der Arbeit als Fraktionschef nicht gerecht. | |
| Ob Merz und Spahn die eigene Fraktion im Griff haben, wird sich in den | |
| nächsten Tagen zeigen. Das Rentenpaket soll noch in der Woche vor | |
| Weihnachten im Bundestag verabschiedet werden, es kommt vor allem darauf | |
| an, ob die Mehrheit der Unionsabgeordneten steht. Auch der | |
| Koalitionsausschuss wird sich am Donnerstag mit dem Thema beschäftigen. | |
| 26 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Nach-Protestaktion-gegen-CDU-Chef/!6073149 | |
| [2] /Entwurf-von-US-Friedensplan/!6131653 | |
| [3] /Nach-peinlichem-Auftritt/!6131142 | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
| Anna Lehmann | |
| ## TAGS | |
| Bundestag | |
| Generaldebatte | |
| Kanzler Merz | |
| Schwarz-rote Koalition | |
| Bundesregierung | |
| Social-Auswahl | |
| Kanzler Merz | |
| Boris Pistorius | |
| Kanzler Merz | |
| Rentenpaket | |
| Haushalt | |
| Haushalt | |
| Kolumne übrigens | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Einigung in der Koalition: Rentenpaket bleibt, Verbrenner sollen hocheffizient … | |
| Die Koalition will ihren Rentenstreit mit einer großen, weiteren Reform | |
| lösen. Auf EU-Ebene will sie für Lockerungen vom Verbrenner-Aus kämpfen. | |
| Verteidigungshaushalt: Mehr als 108 Milliarden Euro für das Militär | |
| Eine Parlamentsmehrheit stimmt für riesige Investitionen in die Bundeswehr. | |
| Die Linksfraktion kritisiert, dass die Regierung den Bundestag belüge. | |
| Generaldebatte im Bundestag: Merz ganz nah bei „Mutti“ | |
| Der streitbare Kanzler kann auch anders. Bei der Generaldebatte gab sich | |
| Friedrich Merz ungewohnt versöhnlich. Mit klarer Kante kommt er nicht weit. | |
| Studie zu Rentenpaket: „Nicht ungerecht für jüngere Generationen“ | |
| Ökonom*innen zeigen in einer Studie, dass auch junge Menschen von den | |
| Rentenplänen der Regierung profitieren –anders als von der Jungen Union | |
| behauptet. | |
| Ein bisschen Haushalt: Alles für den Koalitionsfrieden | |
| Vergleichsweise geräuscharm geht der Bundeshaushalt für 2026 durch den | |
| Bundestag. Die tatsächlichen Konflikte kommen jedoch garantiert. | |
| Bundestag debattiert Haushalt: „Ein einziger Verschiebebahnhof“ | |
| Der Bundestag debattiert abschließend den Haushalt für 2026. Grüne und | |
| Linke kritisieren soziale Schieflage, die AfD will Klimaschutz beenden. | |
| Merz in Belém: Irgendwo steht immer ein Fettnapf für den Kanzler parat | |
| Friedrich Merz hat sich mit seiner Haltung zu Belém nicht gerade beliebt | |
| gemacht in Brasilien. Man möge es ihm nachsehen. Am liebsten ist er daheim. |