| # taz.de -- Dekolonisierung botanischer Gärten: „Wir haben hier Pflanzen von… | |
| > Botanische Gärten sind Anlagen aus dem Geist des Kolonialismus: In | |
| > Deutschland fällt es ihnen schwerer als der Kunst, ihre Geschichte | |
| > aufzuarbeiten. | |
| Bild: Stahl gerahmt: Vanessa Amoah Opokus „Thresholds of Engineered Life“, … | |
| Botanische Gärten werden oft als Orte der Schönheit wahrgenommen. Dabei | |
| trugen ihre Pflanzensammlungen auch dazu bei, kolonialen Reichtum zu | |
| repräsentieren. Und sie dienten lange als Forschungseinrichtungen [1][zur | |
| Landwirtschaft in kolonisierten Gebieten]. Damit sind wiederum die | |
| Zerstörung von Lebensräumen und Arbeit unter Zwang bis hin zu Sklaverei | |
| verbunden. Während diese Verhältnisse in den Künsten heute reflektiert | |
| werden, lässt sich in den Botanischen Gärten Deutschlands nur wenig darüber | |
| erfahren. Ein Gespräch über Versäumnisse und Potenziale von botanischen | |
| Gärten mit Michael Burkart, Kustos des Botanischen Gartens Potsdam, Andrea | |
| Goetzke, Kuratorin, und Vanessa Amoah Opoku, Bildende Künstlerin. | |
| taz: Frau Amoah Opoku, Herr Burkart, Frau Goetzke, erinnern Sie sich, wie | |
| Sie zum ersten Mal bewusst auf den Zusammenhang zwischen Botanik | |
| beziehungsweise botanischen Gärten und Kolonialgeschichte aufmerksam | |
| wurden? | |
| Andrea Goetzke: Vor meiner Laufbahn als künstlerische Kuratorin habe ich | |
| Biologie mit den Schwerpunkten Botanik und Biodiversität studiert. Damals | |
| war ich wahnsinnig begeistert vom Botanischen Garten in Bonn. Die Frage, | |
| wie die Pflanzen dort eigentlich hinkamen, hat jedoch keine Rolle gespielt. | |
| Auch im Studium kam Kolonialgeschichte nicht vor. Erst viel später, nachdem | |
| ich mich als Kulturschaffende viel mit Kolonialismus beschäftigt hatte, | |
| habe ich angefangen, mich auch [2][mit der Geschichte von botanischen | |
| Gärten zu beschäftigen]. Mich interessiert besonders, wie ein | |
| verantwortungsvoller Umgang aussehen kann mit der Ambivalenz zwischen der | |
| Schönheit botanischer Gärten und deren Verstrickung in koloniale | |
| Gewaltgeschichte. | |
| Vanessa Amoah Opoku: Auch während meiner Kindheit waren botanische Gärten | |
| Orte, die man in erster Linie wegen ihrer Schönheit besuchte. Mein | |
| Großvater war Kakaobauer. Mein Vater konnte, aufgrund eines Stipendiums, in | |
| Ungarn studieren und kam danach nach Deutschland. Eine Reise zum Land | |
| seiner Herkunft, nach Ghana, konnten wir uns jedoch als Familie nicht | |
| leisten. So war [3][der Botanische Garten der einzige Ort, an dem ich als | |
| Kind eine Kakaopflanze gesehen habe]. Wie sie dahin kam, habe ich mich erst | |
| später gefragt. | |
| Michael Burkart: Auch ich, als Biologe, bin auf das Thema Kolonialismus und | |
| botanische Gärten erstmal nicht gestoßen. Allerdings war mir das koloniale | |
| Gewaltverhältnis bewusst. Als ich vor 23 Jahren im Botanischen Garten in | |
| Potsdam meine Stelle antrat, [4][wurde mir nach und nach klar, dass es in | |
| dieser Beziehung ziemlich viel zu tun gibt]. Wenn man Potsdam mit Berlin | |
| vergleicht, denkt man vielleicht, unser Garten sei klein. Das ist aber | |
| nicht der Fall. Die Flora von Deutschland weist etwa 2.000 Arten auf, der | |
| Potsdamer Botanische Garten 8.500, wovon die Hälfte tropische Pflanzen | |
| sind. Um diese galt es sich zu kümmern. Bei meinen Reisen in afrikanische | |
| Länder war das Thema Kolonialismus dann natürlich auf Schritt und Tritt | |
| präsent. | |
| Amoah Opoku: 2022 habe ich in Palermo ausgestellt, [5][wo es auch einen | |
| Botanischen Garten gibt]. Was mir dort ins Auge sprang, waren die | |
| Instruktionen, mit denen die Besucher:innen am Eingang des Tropenhauses | |
| begrüßt wurden. Dort stand überall, dass es verboten sei, pflanzliches | |
| Material mitzunehmen. Das rief in mir die Frage auf: Wer ist eigentlich | |
| autorisiert, wo was mitzunehmen? Haben sich die Botaniker, die aus der | |
| ganzen Welt Pflanzen mit nach Europa nahmen, diese Frage jemals gestellt? | |
| Warum wird nicht darauf hingewiesen, woher und wie und warum die einzelnen | |
| tropischen Pflanzen in diese Sammlung kamen? | |
| Burkart: Ein markanter Punkt in Bezug auf die sogenannte Praxis des | |
| „Pflanzenjagens“ war die Konferenz von Rio von 1992, bei der die Länder des | |
| Globalen Südens geltend gemacht haben, dass man nicht mehr [6][einfach so | |
| Pflanzenmaterial von ihren Territorien mitnehmen kann]. Seither gibt es | |
| Gesetze, die das Sammeln extrem kompliziert machen. Das Ziel war | |
| eigentlich, dass ein Teil des Profits, der aus der Erforschung von | |
| Pflanzenmaterial und dem späteren Einsatz, zum Beispiel in pharmazeutischen | |
| Produkten, zurückfließt in die Herkunftsländer. Was jedoch, soweit mir | |
| bekannt, seitdem kaum passiert ist. | |
| taz: Herr Burkart, Sie haben zusammen mit Kolleg:innen aus Berlin, | |
| Kassel, Frankfurt, Tübingen und Zürich ein [7][Positionspapier zur | |
| Kolonialgeschichte geschrieben, das 2023 als Statement des Verbands der | |
| Botanischen Gärten veröffentlicht wurde.] Wie kam es dazu? | |
| Burkart: Botanische Gärten sind Museen, wenn auch lebende Museen. Als es in | |
| den ethnologischen Museen losging mit dem Bewusstsein für die Geschichte | |
| ihrer Artefakte, da dachten wir: Eigentlich haben wir ein ähnliches Problem | |
| – aber bevor es zur Hintertür hereinkommt, sollten wir lieber proaktiv | |
| etwas unternehmen. | |
| Passiert ist aber bislang wenig – obwohl der Botanische Garten Potsdam mit | |
| der Ausstellung „Koloniale Kontinuitäten“ einen klaren Impuls gesetzt hat. | |
| Burkart: In Potsdam kam es zu einer glücklichen Fügung. Die Studentin | |
| Alexandra Straka hatte sich in ihrer Masterarbeit mit einem Konzept [8][zur | |
| Aufarbeitung kolonialer Vergangenheit am Beispiel des Botanischen Gartens | |
| Potsdam befasst]. Mit meiner Unterstützung kam die Dauerausstellung | |
| „Koloniale Kontinuitäten“ zustande. Wir haben jedoch auch ein Geldproblem. | |
| Wir müssen die Mittel, die wir zum Beispiel in die Provenienzforschung | |
| stecken möchten, sozusagen aus der Portokasse nehmen, [9][und damit kommen | |
| wir natürlich nicht weit]. Finanzierungen zu finden, ist ein schwieriges | |
| Unterfangen. Was mich aber nicht davon abhält, es zu versuchen. | |
| taz: Es scheint auch, dass die Auseinandersetzung in Bezug auf koloniale | |
| Verstrickungen der Botanik in Deutschland gesellschaftlich wenig | |
| eingefordert wird. | |
| Goetzke: Eine Rolle spielt vielleicht, dass das Leben mit tropischen | |
| Pflanzen komplett normalisiert ist, [10][wie der Gummibaum als | |
| Zimmerpflanze]. Oder [11][die Kartoffel als Symbol der Deutschen | |
| schlechthin.] Dass viele der Kulturen in Lateinamerika, die den | |
| Kartoffelanbau vor Tausenden von Jahren entwickelt haben, die Kolonialzeit | |
| nicht überlebt haben, ist dagegen viel weniger präsent. | |
| Amoah Opoku: Ich stimme der Einschätzung zu, dass eine „exotische“ | |
| Pflanzenumgebung etwas ist, was als „normal“ gilt. Es gibt unzählige | |
| Beispiele – einerseits, was Schmuckpflanzen betrifft, anderseits in Form | |
| von Produkten. Denken wir an die Schweiz, die sich als Schokoladenland | |
| feiert, obwohl Kakao natürlich ein koloniales, beziehungsweise ein | |
| neokoloniales Produkt ist. | |
| Goetzke: Der Film „Schauhaus“ der Künstler:innen Max Hilsamer und Anna | |
| Lauenstein geht vom Gründungsmotto des Botanischen Gartens in Berlin [im | |
| Jahr 1889, Anm. d. Red.] aus. Das lautete: „Die ganze Welt in einem | |
| Garten“. Das lässt assoziieren, dass man selbstverständlich Zugang hat zu | |
| allem – eine sehr koloniale Sichtweise. Wir haben hier Pflanzen von überall | |
| auf der Welt, während die Menschen, die aus denselben Herkunftsländern | |
| stammen, aufgrund von Visa-Bestimmung gar nicht zu uns kommen können und | |
| die Pflanzen aus ihren Lebensumgebungen besuchen. Meine Frage als Reaktion | |
| auf dieses Ungleichgewicht wäre: [12][Wie kann man die vielfältigen | |
| Wissensbeziehungen], die Menschen zu Pflanzen weltweit pflegen, durch deren | |
| Mitarbeit einbeziehen, und Machtgefälle im Wissenschaftsbetrieb | |
| international abbauen? Ziel wäre, die „Welt als Garten“ eben nicht nur aus | |
| europäischer Sicht zu präsentieren. | |
| taz: Welches Potenzial hat eine engere Zusammenarbeit zwischen Kultur und | |
| Wissenschaft in Bezug auf die Aufgabe von botanischen Gärten? | |
| Goetze: In der Veranstaltungsreihe „Plant Stories“ [13][am Berliner Zentrum | |
| für Kunst und Urbanistik habe ich] kürzlich zeitgleich mit Vanessas | |
| Installation „Thresholds of Engineered Life“ Matthiew Gandys Film „Natura | |
| Urbana – Die Brachen von Berlin“ gezeigt. In dem Film geht es darum, wie | |
| international die Pflanzenansiedlung in den nicht-reglementierten Brachen | |
| ist. In der Installation dagegen um Tropenhäuser, also höchst kontrollierte | |
| Räume, in denen die Wachstumsbedingungen nicht-einheimischer Pflanzen | |
| simuliert werden. Bei dieser Gegenüberstellung fällt der unterschiedliche | |
| Blick auf Pflanzen auf: Solche, die sich auf nicht-kontrollierte Art | |
| ausbreiten, werden oft sogar negativ betrachtet, während andere, die | |
| hierhin „entführt“ wurden, als begehrenswert gelten. Hier spiegeln sich | |
| zugrundeliegende Denkmuster in Bezug auf Ordnung und Kontrolle versus | |
| Wildnis und dem „Anderen“. Ich denke, schon allein diese Beispiele zeigen, | |
| wie sich Künste und Wissenschaften ergänzen können, um sowohl das | |
| Verständnis von Pflanzen als auch von uns selbst zu vertiefen. | |
| Amoah Opoku: Unsere menschlichen Gesellschaften sind komplett abhängig von | |
| Pflanzen, und der Umgang mit ihnen, und wie wir über sie sprechen, spiegelt | |
| so viel unserer gesellschaftlichen Verhältnisse und Wertevorstellungen. | |
| Allein zum Beispiel die Frage, was Unkraut ist und was nicht. Oder die | |
| Vorstellung von „künstlich“ und „natürlich“. Wo ist die Grenze, gibt … | |
| überhaupt, und wenn ja, was wollen wir damit ausdrücken? Für all solche | |
| Fragen wäre es wunderbar, zwischen botanischen Wissenschaften und Kunst zu | |
| kooperieren. Und welcher Ort würde sich besser eignen als ein botanischer | |
| Garten? | |
| 2 Dec 2025 | |
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| [8] https://www.uni-potsdam.de/de/botanischer-garten/unser-garten/kolonialismus | |
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| Astrid Kaminski | |
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