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# taz.de -- Geschichte der Umweltbewegung Berlin: Plötzlich kehrte die Fauna z…
> Vegetarismus, Reformgedanken, Biotope auf Brachen: Eine Ausstellung in
> Berlin dokumentiert die Geschichte der Umweltbewegung.
Bild: Blick in die Ausstellung „Archäologien der Nachhaltigkeit“ in der ng…
„[1][Licht Luft Scheiße]“ heißt die Ausstellung, die seit diesem Sommer an
verschiedenen Orten in Berlin [2][verschiedene Aspekte von Ökologie
beleuchtet]. In der neuen Gesellschaft für bildende Kunst findet sich ein
Teil der Ausstellung – mit dem etwas gesetzteren Titel: „Archäologien der
Nachhaltigkeit“. Die Kurator*innen Sandra Bartoli, Silvan Linden und
Florian Wüst haben dort Exponate zur Geschichte der modernen Umweltbewegung
gesammelt.
Besser gesagt: zu den Geschichten. Denn schon früh entwickelten sich
verschiedene Strömungen – teilweise parallel, teilweise entgegengesetzt. Es
ist deshalb wirklich archäologische Arbeit, die die Ausstellung leistet.
Schicht um Schicht legt sie Paradigmenwechsel frei, bleibt dabei
fragmentarisch. Immer im Fokus der Debatten um Ökologie: Berlin.
„Tatsächlich entstand die moderne Umweltbewegung in der Stadt, nicht auf
dem Land“, erklärt Kuratorin Bartoli, „und zwar als Reaktion auf die
Industrialisierung“. Die zunehmende Luft- und Wasserverschmutzung, dazu der
beengte Wohnraum waren Nährboden für die Auseinandersetzung mit dem
Verhältnis von Mensch und Umwelt. Die Lebensreformbewegung rief das Motto
„zurück zur Natur“ aus und lebte es auch.
## Die Früchte der Selbstversorger
1893 gründete sich nördlich von Berlin die vegetarische Obstbau-Kolonie
Eden: eine genossenschaftlich organisierte Selbstversorger*innen-Kommune.
Die Früchte dieser Siedlungsbewegung sind in der Ausstellung auf Fotos und
in Dokumenten zu sehen. Aus dem Selbstversuch wurde eine umfassende
Sozialutopie: Neben den Gärten entstanden auch eine eigene Bau- und
Kreditgesellschaft, ein Kurhaus, eine Schule und weitere
Gemeinschaftsgebäude.
Die Folgen des Ersten Weltkriegs, der Mangel an Wohnraum und Nahrung
brachten weitere Siedlungsideen hervor, die jedoch weniger utopisch waren.
Garten- und Landschaftsarchitekt Leberecht Migge beispielsweise forschte
zur viehlosen Landwirtschaft und Selbstversorgung. Kuratorin Bartoli findet
sein Denken spannend: „Wir fragen uns heute: Wie viel Ökologie können wir
uns leisten? Damals war es umgekehrt. Migge fragte sich: Wie kann Ökologie
ertragreich sein?“
So sprach er sich für den Vegetarismus aus, nicht etwa wegen der Tiere,
sondern aus rein sozioökonomischen Gründen: Es sei schlicht effizienter,
alle vegetarisch zu ernähren. Migge war ökologischer Funktionalist, wollte
die Menschen aus der Abhängigkeit von der Lohnarbeit und der Enge der Stadt
befreien. Seinem Lebenswerk widmet die Ausstellung viel Platz, unter
anderem um eine Nachbildung seiner Zeltlaube – ein minimalistisches
Wohnkonzept, ähnlich den heute beliebten Tiny Houses – zu zeigen.
## Die Natur in der Stadt
Bis 1945 war es in der Umweltbewegung üblich, Berlin als Negativschablone
zu nutzen. Die Stadt, ein menschenfeindlicher Lebensraum, dem es zu
entfliehen galt. Das sollte sich nach dem Zweiten Weltkrieg ändern: Berlin,
insbesondere Westberlin, wurde zu einem wichtigen Zentrum der
Naturforschung und auch des Umweltschutzes.
Denn durch Krieg und Mauerbau waren die Berliner*innen gezwungen, sich mit
der Stadt auseinanderzusetzen, sie verlassen konnten sie nicht. „Man nannte
das den umgekehrten Robinson-Crusoe-Effekt“, beschreibt Bartoli, „So wie
der gestrandete Crusoe sich darum bemühte, jedes bisschen Zivilisation zu
erhalten und davon ausgehend neue Strukturen aufzubauen, so war man in
Westberlin plötzlich darum bemüht, jedes Stückchen Natur zu schützen.“
So wurden durch die Bombardierung entstandene Freiflächen erhalten, um den
Bewohner*innen der eingeschlossenen Stadt etwas Natur zu ermöglichen. Man
stellte fest, dass die Brachen einzigartig waren. Die Bombeneinschläge
hatten jahrhundertealte Samen an die Oberfläche befördert, wo diese
keimten. Plötzlich kehrte Flora zurück, die schon lange verloren geglaubt
war.
Einer der ersten Botaniker, der sich intensiv damit befasste, war Wolfram
Kunick. Seine 1974 publizierte Dissertation „Veränderung von Flora und
Vegetation einer Großstadt dargestellt am Beispiel von Berlin (West)“
zeigte, dass die Stadt mit ihren Gebäuden, Ruinen und dem speziellen Klima
eine eigene Umwelt mit eigener Flora und Fauna bildete. Um dieses
veränderte Verständnis darzustellen, zeichnete Kunick einen
Biotopen-Stadtplan. Eine völlig neue Herangehensweise: Zuvor hatten
Botaniker*innen hauptsächlich mit Tabellen gearbeitet, in denen Bestände
dokumentiert wurden. Kunick zeigte nun mit seiner Karte, dass die
Beschaffenheit der Orte wichtig für die Vorkommen war.
## Wildnis auf geschlossenen Brachen
Er dokumentierte auch das Gelände um den Potsdamer Bahnhof. Seit Kriegsende
hatte es brachgelegen, weil es durch den Mauerbau vom Rest Ostberlins
abgetrennt worden war. 1972 wurde der Bahnhof dann bei einem
Gebietsaustausch Westberlin zugeschlagen. Mehr als ein Vierteljahrhundert
hatte die Wildnis Zeit gehabt, sich das Gelände zu erobern, als Kunick es
für seinen Biotopen-Plan dokumentierte. Heute ist von der Wildnis nichts
übrig. Zwar ist etwa die Hälfte der Fläche immer noch ein Park, der
Tilla-Durieux-Park. Mit seinen Rasenflächen ist dieser jedoch eine
ökologische Wüste. Kuratorin Bartoli hat den heutigen Zustand für die
Ausstellung fotografiert, um die drastische Veränderung aufzuzeigen.
Auch Kunicks Doktorvater Herbert Sukopp dokumentierte 1984 in seinem
Biotopenplan für ganz Westberlin die Stadtnatur in Kartenform. Der Plan war
jedoch nicht einfach als Bestandsaufnahme gedacht, sondern sollte ein
Planungswerkzeug für die Stadtentwicklung sein. Die Berliner Botanik wollte
eingreifen, wurde politisch.
Das zeigte sich auch am 1979 beschlossenen Artenschutzprogramm. Darin wurde
festgelegt, dass bei städtebaulichen Maßnahmen immer der Schutz von Flora
und Fauna mitgedacht werden sollte. Sukopp formulierte den neuen Anspruch
damals in den „Grundlagen des Artenschutzprogramms“ so: „Der Naturschutz
reagiert und erhält nicht nur, sondern plant, gestaltet und renaturiert.
Deshalb ist das Artenschutzprogramm nicht Abschluss der Arbeit, sondern
kennzeichnet einen neuen Ansatz.“ Es war Pionier*innenarbeit: Das
Artenschutzprogramm war das erste seiner Art für ein Stadtgebiet in der
gesamten Bundesrepublik.
Bis heute wirkt es in der Gesetzgebung und in Initiativen fort – seit der
Wende im gesamten Stadtgebiet Berlins. Doch die Errungenschaften des
Artenschutzprogramms sind gefährdet: Die Gentrifizierung macht weder vor
verwilderten Brachen noch vor Autobahn-Biotopen halt. Insofern kann die
Ausstellung auch als Mahnung verstanden werden: Naturschutz darf nicht zu
einer reinen Museumsangelegenheit werden.
13 Oct 2019
## LINKS
[1] https://www.kulturstiftung-des-bundes.de/de/projekte/erbe_und_vermittlung/d…
[2] /Seit-200-Jahren-wird-oekologisch-gedacht/!5617367
## AUTOREN
Laura Sophia Jung
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