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# taz.de -- Rechte Buchmesse „Seitenwechsel“: Ihre Waffen bleiben andere
> In Halle fand die erste rechte Buchmesse statt. Nazis und Coronaleugner,
> Rentnerinnen und missverstandene Freigeister ließen sich das Programm
> schmecken.
Bild: Vor der Halle gab es Protest gegen die „Seitenwechsel“-Messe: Rund 70…
Die Rechten haben der Coronapandemie einiges zu verdanken. So manch guter
Bürger, der früher jeden Abend brav die „Tagesschau“ einschaltete,
vielleicht sogar im Sommer 2015 Geflüchtete an den Bahnhöfen willkommen
hieß, politisierte sich. Die Kränkung, die erfuhr, wer durch den fehlenden
Sticker im Impfpass ausgegrenzt wurde, schlug um in Radikalisierung; man
fühlte sich als Opfer der allmächtigen „Cancel Culture“.
Hans-Georg Maaßen ist einer von ihnen, gecancelt und im Recht, anders lässt
sich die Begeisterung kaum erklären, die dem ehemaligen
Verfassungsschutzpräsidenten begegnet, hier, bei der rechten Buchmesse in
Halle. Der Tagungsraum ist viel zu klein für all die Menschen, die den
Ex-Establishment-Politiker mit Trotzki-Brille über „Systemüberwindung“
sprechen hören wollen. Gerade verwickelt ihn ein Mann in Mönchskutte in ein
Gespräch.
Die Esoterikdichte ist hoch bei der „Seitenwechsel“-Messe. Einzelne
Personen verkaufen Gemälde, die anscheinend Energien bündeln sollen oder
bereits gebündelt haben, selbstgemachte Ketten und Armbänder. Obskurste
Bücher werden angeboten, den „Antichristen“ wähnt man nahe,
Geschichtsklitterung gehört zum guten Ton. Ein paar Fälle fürs Jugendamt
sind zu verzeichnen, so grapscht ein Kleinkind gerade am Stand der
Identitären Bewegung (IB) nach einem Flyer.
## Freude über den Dammbruch
Die IB-Jungs gehören zum ganz rechten Rand, ansonsten ist in Halle auch
vertreten, was man in diesen Kreisen als gemäßigt bezeichnet: Tichys
Einblick, die Junge Freiheit, die Achse des Guten, Cato und das
zwischenzeitlich verbotene Magazin Compact. Susanne Dagen, Betreiberin des
Dresdener BuchHauses Loschwitz, sei es gelungen, so ziemlich alles „aus dem
patriotischen Spektrum“ zu versammeln, lobt denn auch der Leiter des
rechtsextremen Jungeuropa-Verlags Philip Stein die Messeorganisatorin in
seinem Podcast „Von rechts gelesen“. Geschenkt, dass ihm als echtem
Rechtsaußen das Bühnenprogramm viel zu lasch daherkommt.
Aufschlussreich ist das Rahmenprogramm dennoch. Alexander Gauland tritt
auf, [1][Uwe Tellkamp,] Gloria von Thurn und Taxis und auch Götz
Kubitschek, der „dunkle Ritter“ mit den guten Tischmanieren, als den ihn
Spiegel und FAZ in der Vergangenheit in Homestorys zeichneten. Die Messe
sei ein Dammbruch, freut sich der Leiter des als „gesichert rechtsextrem“
ausgezeichneten Antaios-Verlags. Er empfiehlt Lektüre für die Gefechtspause
und reißt gemeinsam mit dem Sezession-Herausgeber und
AfD-Landtagsfraktionsführer Brandenburgs Erik Lehnert, Debatten um
Aufrüstung an. Es gebe da ein „Dilemma des Gehorchens“, heißt es.
Wehrpflicht, die finde man ja gut, aber: Gegen welchen Feind zieht man zu
Felde?
Aktuelle Streitthemen weiß man in Halle indes zu vermeiden. Ob in Nahost –
was fürchtet man mehr, die jüdische Weltherrschaft oder die Islamisierung
des Abendlands? – oder in der Ukraine: Gefahren der Positionierung werden
zugunsten des patriotischen Hausfriedens umschifft. Glaubt man Kubitschek
und Lehnert, ist die Frontenbildung nötig wie zuträglich. Immerhin, und das
sagen sie wirklich, sei der Druck gegen rechts in keinem anderen Land so
stark wie in Deutschland.
## Mit Nazis am Tisch
Von diesem Druck ist am Sonntag allerdings nichts zu spüren. [2][Wohl
findet seit Wochen in der Innenstadt Halles ein Demokratiefest mit
Lesungen, Workshops und Tanzabenden statt,] auch buhten etwa 700
Demonstrant:innen am Samstag Messebesucher:innen aus. Ein
Grünenpolitiker wurde dabei angegriffen. Doch am Sonntag können
Rechtsextreme wie besorgte Bürger das Gelände unbehelligt betreten.
Überhaupt: So schlimm ist das mit der Messe doch nun auch nicht. Den
Eindruck schien zumindest der ein oder andere Undercover-Kulturjournalist
davongetragen zu haben. Bei der Welt sympathisiert man ganz offen. „Viele
Buchtitel sprechen aus, was alle denken“, heißt es. Man konstatiert: In
Deutschland gab und gibt es „rechts der Mitte eine diskursive Leerstelle“
und die hat „der ach so diverse Kult um Vielfalt bislang nicht abgebildet“.
Auch bei der Süddeutschen Zeitung nimmt man Wutbürger und Nazis nicht
ernst. Um Würstchenschlangen und Klopapier geht es da, um Kleidung und
Haarpracht der Besucher:innen.
Ja, ein wenig Spott angesichts schlecht angezogener Rechter sorgt für eine
gewisse Genugtuung. Doch was sorgfältige Stilkritik eigentlich offenbart,
ist mitnichten lustig. Denn das Erscheinungsbild der
Messebesucher:innen gibt durchaus Auskunft darüber, wer alles
mitmachen würde, wenn die Uhren in diesem Jahrtausend Richtung 33
ausschlagen; wer über Differenzen, kleinere politische
Meinungsverschiedenheiten „hinwegzusehen“ bereit wäre. Und es sind
gefährlich durchschnittlich aussehende Leute, denen die Bockwurst auch dann
noch schmeckt, wenn drei Nazis mit German-Classic-Frisur mit am Tisch
sitzen. Leute, die in der APO waren und irgendwann die
[3][Horst-Mahler-Wandlung] in Light-Version durchmachten. Erstaunlich viele
Katholiken. Libertäre, aber auch Kapitalismuskritiker.
So weist eine Frau mit grauem Flechtzopf und Gesundheitsschuhen immer
wieder „dem Kapital!“ Schuld zu, als der Musikwissenschaftler Tom Sora in
einem aberwitzigen Vortrag am Beispiel John Cages nachzuzeichnen versucht,
wieso die Kunstavantgarde dem Totalitarismus der „Woke-Bewegung“ den Boden
bereitet habe. Beinahe entschuldigt sich sein Verleger Wolfgang Neumann für
ihn: Sora sei Rumäne und habe die Schrecken des Kommunismus miterlebt.
## In jeder Reihe ein Schlafender
Sora ist wie alle anderen im Raum vor allem Angehöriger einer
götterschaffenden Spezies, doch weiß er von einer „natürlich entstandenen
politischen Ordnung“ zu berichten, die nun akut in Gefahr sei. Zustimmendes
Nicken, doch so ganz können die meisten wohl ohnehin nicht folgen. Es ist
sehr stickig im Raum, denn wer nach Lüften schreit, macht sich verdächtig:
Den Aberglauben an Viren und Erreger will sich nach den Coronajahren
schließlich keiner nachsagen lassen. Pro Stuhlreihe schläft ein rechter
Rentner.
Dass Bildung nicht schadet, hat man auch in der rechten Szene erkannt.
[4][Der Jungideologe der Neuen Rechten, Benedikt Kaiser,] erklärte Lesen
sogar unlängst zur „Szenepflicht“. Und wirklich, heute muss sich keiner
mehr mit staubigen, geschichtswissenschaftlichen Exkursen im Stile Armin
Mohlers herumschlagen. Der Jungeuropa-Verlag etwa hat Prosaautoren im
Programm, die in der Popkultur zu Hause sind, die einen „kalten Blick“
werfen, „auf das nichtige Leben im falschen“. Früh übt sich. Auch
Kinderbücher und Comics werden auf der Messe vertrieben. Die Sprache wird
eindeutiger, je nach Radikalisierungsgrad.
Die 90er sind vorbei, es können nicht alle Neonazis sein. Springerstiefel
trägt hier keiner mehr, dafür nur allzu gern das lorbeerbekränzte
Markenlogo Fred Perrys. Einen wirklich kalten Blick haben dabei jene mit
dem scharfkantigsten Seitenscheitel. Bücher hin und her; ihre Waffen
bleiben andere.
10 Nov 2025
## LINKS
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[4] /Die-Neue-Rechte-und-Literatur/!6019114
## AUTOREN
Julia Hubernagel
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