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# taz.de -- Stadtbild-Debatte: Das stört die Töchter
> „Fragen Sie mal Ihre Töchter“, sagte Kanzler Merz, als er gefragt wurde,
> was er mit seiner Stadtbild-Aussage meine. Alles klar, haben wir gemacht.
Bild: 99 Probleme, aber Merz interessiert keins davon: eine Tochter protestiert…
Luise, 12 Jahre, und Helene, 15 Jahre, Berlin: „Uns stört am Stadtbild hier
in Kreuzberg eigentlich nichts. Außer wenn Männer überall hinpinkeln. Das
wollen wir nicht sehen und auch nicht riechen. Und vor dem ganzen Dreck in
der Stadt ekeln wir uns auch. Wir haben uns angewöhnt, an besonders
dreckigen Orten unsere Hosen hochzukrempeln.“
Ongoo, 40 Jahre, Berlin: „Das [1][zunehmend sichtbare Elend] im Stadtbild –
das sollte uns stören! Seit Jahren beobachte ich, wie Menschen bei Hitze,
Regen und klirrender Kälte auf der Straße sitzen. Ihrer Menschenwürde
beraubt, müssen sie um ein paar Cents betteln. Mit der [2][Verschärfung des
Bürgergelds], die Merz plant, wird das noch schlimmer werden. Was macht das
mit uns? Wir stumpfen ab und verlieren Teile unserer Menschlichkeit.
Außerdem diszipliniert uns der Anblick verarmter Menschen: Bloß brav
malochen gehen und die Füße stillhalten, egal wie schlecht unsere
Arbeitsbedingungen sind, damit wir nicht genauso enden.“
Simin, 38 Jahre, Saarbrücken: „Was mich am Stadtbild stört, ist der viele
Beton. Überall Steine und so wenig Grün! Dass man mit dem Fahrrad nicht
sicher von A nach B kommt, weil Fahrradwege fehlen. Und was mich ganz
besonders stört, ist, dass ich als [3][Frau nicht mehr nach 18 Uhr joggen
kann] – und das nicht mal durch die Innenstadt! Weil man immer von
irgendwem blöd angemacht wird, weil man sich immer unter irgendeiner Brücke
sorgen muss, dass etwas passiert. Und das liegt nicht an Hautfarbe oder
Herkunft, sondern an einem einzigen Problem: Männern.“
Elcin, 31 Jahre, Berlin: „Das Stadtbild ist für mich kein Problem, aber das
[4][rassistische Bedrohungsbild, das Friedrich Merz zeichnet]! Er will uns,
typisch rechtspopulistisch, Angst vor migrantischen Männern machen. Dabei
sind deutsche Männer genauso gefährlich. Aber über die spricht er nicht.
Die Sicherheitsbedenken von Frauen interessieren Merz und die CDU doch gar
nicht! Er instrumentalisiert uns Frauen nur, um Rassismus zu
verb[5][reiten. Außerdem spricht Merz allgemein von ‚Migranten‘. Heißt da…
auch eine nicht-weiße Person mit] deutscher Staatsbürgerschaft stört für
ihn das Stadtbild? Daran stört mich ehrlich gesagt das Bild des
Grundgesetzes, das der Bundeskanzler zu haben scheint.“
Nici, 46 Jahre, Berlin: „Dinge, die mich im Stadtbild stören: Autos, die
Straßen verstopfen, lärmen und die Luft verpesten, überdimensionierte
Bürogebäude als reine Geldanlage, die freie Flächen und Sonnenstrahlen
verschwinden lassen und [6][Mietpreise erhöhen], Hundescheiße und Müll auf
Gehwegen, die eine zwingen, immer auf den Boden zu schauen.“
Anya, 40 Jahre, Berlin: „Seit ein paar Jahren finde ich es immer
schwieriger, der Armut auf den Straßen zu begegnen. Ich finde es traurig,
dass wir als Gesellschaft keinen Willen haben, etwas dagegen zu tun. Dass
es nicht genug Angebote gibt für Menschen, die – meist wegen schwerer
Krisen – durch alle Netze fallen, die überall nur als Störung wahrgenommen
werden. Am traurigsten macht mich zu sehen, wie einsam die Menschen dadurch
werden.“
Anastasia, 24 Jahre, Berlin: „Immer weniger kleine Cafés oder Läden, Müll
und dreckige Straßen, [7][Armut und Obdachlosigkeit] – das sind für mich
Probleme im Stadtbild. Meiner Meinung nach hat das weniger mit Migration zu
tun, sondern viel mehr mit falsch gesetzten politischen Prioritäten. In
einem reichen Land wie Deutschland gibt es Menschen, vor denen
gesamtgesellschaftlich die Augen verschlossen werden. Menschen, die auf der
Straße leben, krank oder abhängig sind, zeichnen in deutschen Großstädten
das Bild einer Politik, die wegschaut und wo sozial Schwache immer weiter
auf der Strecke bleiben.“
Julia, 32 Jahre, Ulm: „Also was mir jetzt mit Kind und mit Kinderwagen
krass auffällt, ist die oft fehlende Barrierefreiheit – kaputte oder gar
keine Aufzüge, keine Rampen an Treppen und so weiter. Und ich finde, dass
oft die Sauberkeit zu wünschen übrig lässt, gerade an Bahnhöfen. Und dass
das Sicherheitsgefühl von Frauen im öffentlichen Raum gerade abends und
nachts ein anderes als das von Männern ist – unabhängig von Menschen mit
Migrationshintergrund darüber müssen wir ja nicht reden.“
Lorin, 17 Jahre, Berlin: „Wenn mich etwas am Stadtbild stört, dann sind es
Dreck auf den Straßen und grelle Leuchtanzeigen. Mich stört auch die hohe
Obdachlosigkeit an manchen Orten. Ich habe schon sehr junge Menschen
gesehen, die auf der Straße leben, das schockiert mich. Was ich auch nicht
gut finde, ist die Gewalt, die man manchmal erlebt, wenn man abends
unterwegs ist. Dass Merz findet, dass bestimmte Menschen nicht ins
Stadtbild passen und man das verändern sollte, das finde ich aber Quatsch.
Wenn Jugendliche Fehler machen, muss man darauf eingehen. Aber man kann das
nicht verallgemeinern. Es fällt schon auf, dass bestimmte Jungsgruppen
abends manchmal lauter sind und mehr Stress machen. Aber da gehören auch
Deutsche dazu. Andere liegen dann auf dem Boden, weil sie zu viel getrunken
haben. Je älter man wird, desto mehr wird einem bewusst, wie viele Drogen
im Umlauf sind. Ich sehe abends auch relativ häufig Gruppen von jungen
Frauen, die rumlaufen. Ich geselle mich dann gerne in deren Nähe, weil ich
mich dann etwas sicherer fühle.“
Lisa, 33 Jahre, Schwäbisch Gmünd: „Mich stört, dass es keine konsumfreien
öffentlich zugänglichen Orte gibt. Keine Begegnungsräume, zu wenig
Parkbänke, die bequem sind, zu wenig Beleuchtung an Plätzen, keine Disco,
hässliche Brutalismusbauten, zu wenig Nahverkehr im Takt.“
Lia, 14 Jahre, Hamburg: „Mich stört die Ignoranz vieler Menschen in
Hinsicht auf Hilfsbereitschaft und das einfacheMiteinander. Mich stört,
dasses so viele obdachlose Menschen gibt die Hilfe brauchen und sie nicht
bekommen. Dass so viel Müll überall herumliegt, dass viele die Stadt so
verdrecken. Und ich finde auch störend, dass es manchmal so anstrengend
ist, eine Frau zu sein. Ich meine von Blicken her und so.“
Ida, 11 Jahre, Berlin: „Mich stört, wenn Leute [8][achtlos Müll auf die
Straße werfen] und wenn der überall rumliegt. Und mich stören
Fleischereien, auf denen lachende Tiere abgebildet sind, obwohl die Tiere
getötet wurden.“
Aino, 24 Jahre, Berlin: „Mich stören Männer, die glotzen und catcallen,
Graffiti, der Müll auf den Straßen, der Geruch von Urin.“
Clara, 22 Jahre, Frankfurt am Main: „Mich stört am Stadtbild, dass ich egal
zu welcher Tageszeit Angst haben muss, dass ich von einem Mann
angesprochen, angehupt oder angepfiffen werde. Mich stört das Angegaffe von
alten deutschen Herren in der Bahn. Mich stört, dass sich Männer immer über
Sexismus aufregen, aber selber nichts dafür tun, dass wir Frauen uns
sicherer fühlen. Und mich stört auch, dass es so wenige Fahrradwege gibt
und Männer in Poserautos, die Lärm machen und die Umwelt verpesten.“
Louisa, 24 Jahre, Mannheim: „Mich stört es, dass es fast keine Grünflächen
gibt. Ich würde mir ein paar mehr Parks und wenigstens mehr Bäume wünschen.
Und mich stört, dass die Abgase der Fabriken hier so stinken.“
Emmie, 14 Jahre, Bremen: „Das Stadtbild wird am stärksten von
diskriminierenden Männern wie Merz gestört. Wenn ich Angst vor Männern
habe, dann suche ich mir Frauen, egal, ob sie Migrantinnen sind oder
nicht.“
Fine, 26 Jahre, Berlin: „Hier aufwachsen hieß für mich schon immer, auch
mit einer Portion extra Zielstrebigkeit durch die Straßen zu laufen. Nachts
alleine, nachts gemeinsam, aber auch tagsüber alleine. Das ist Alltag, bloß
nicht ratlos stehen bleiben. Erst recht nicht, wenn ich eine Gruppe Männer
sehe. Die Herkunft und das Aussehen der Männer: austauschbar. Ich habe an
diversen Orten der Welt gelebt, das war überall so. Und nicht erst seit
heute. Ja, wir können gerne über das Stadtbild reden, aber dann bitte unter
Einbeziehung der Realität. Die einfach anders aussieht, als der
Bundeskanzler meint. Lieber Herr Merz: Not all men, but always men. Wer so
über die Sicherheit von Töchtern redet, hat nichts verstanden. Verwundern
tut es allerdings nicht, diese Debatte wird ja hauptsächlich von Männern
geführt.“
Siri, 27 Jahre, Berlin: „Mich stört am Stadtbild Sexismus von Männern jeder
Nationalität und die Ignoranz von Politikern wie Merz, es sei denn, man
nutzt ihn für seinen eigenen Rassismus. Mich stört am Stadtbild der
Rechtsruck, die Ungleichheit und die fehlende Solidarität.“
Paula, 16 Jahre, Berlin: „Wenn auf einem Platz eine Gruppe von Männern
steht und man muss da vorbei, dann kann das schon unangenehm sein, auch
wenn mir bislang nichts passiert ist. Das Problem ist aber nicht, dass es
Migranten sind, sondern dass es Männer sind, egal wo die herkommen.“
Hanna, 25 Jahre: „Am Stadtbild stören mich die toten Geschäfte und die
graue Masse an [9][Teer und Beton]. Noch nie hat mich eine Person aufgrund
ihres äußeren Erscheinungsbildes oder ihrer gesprochenen Sprache gestört,
denn ich bin keine rassistische Misanthropin.“
Kajsa, 17 Jahre, Berlin: „Von Friedrich Merz zu hören, dass er seine
menschenverachtenden Ideologien durchsetzen will, um junge Frauen, Töchter
wie mich, zu schützen, fühlt sich an wie ein Schlag ins Gesicht. Ich will
nicht von einem Mann wie Friedrich Merz beschützt werden. Ich will nicht,
dass er so tut, als wäre es ihm wichtig, dass ich mich in diesem Land wohl
fühle und dass ich in diesem Land die gleichen Rechte habe wie ein Mann.
Ja, ich habe Angst, wenn ich nachts allein durch meine Stadt laufe. Aber
diese Angst gilt Männern. Und sie bleibt dieselbe, egal ob es deutsche
Männer sind oder Männer mit Migrationshintergrund. Wenn er uns jungen
Frauen und Töchtern wirklich helfen will, muss er den Frauenhass in unserer
Gesellschaft bekämpfen, etwas gegen Gewalt in der Ehe unternehmen, dafür
sorgen, dass ich weiterhin frei über meinen Körper bestimmen kann, und
sicherstellen, dass Väter Unterhalt zahlen. Ich möchte in einer Stadt
leben, die bunt ist und offen anderen Kulturen gegenüber. Denn wer unser
Stadtbild wirklich zerstört, sind Faschisten, Nazis und Kapitalisten.“
24 Oct 2025
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## AUTOREN
Lotte Laloire
Lisette Habig
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