Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nach dem Waffenstillstand in Gaza: Ein Anfang, aber kein Ende
> Der Waffenstillstand hält – vorerst. Doch wer den Gazastreifen künftig
> kontrollieren soll, bleibt offen. Was es braucht für einen nachhaltigen
> Frieden.
Bild: Nach dem Waffenstillstand: Familien kehren nach Gaza zurück
Internationale Rückendeckung zu geben für die erste Phase des
Waffenstillstandsdeals für Gaza – das war die Zielvorgabe für das Treffen
im ägyptischen Badeort Scharm El-Scheich. Schließlich gab es nach zwei
Jahren Gazakrieg endlich mal etwas wirklich Positives zu vermelden:
[1][Alle lebenden israelischen Geiseln sind frei.] Einige der toten Geiseln
sind überstellt, [2][im Austausch mit Palästinensern aus israelischen
Gefängnissen.] Der Waffenstillstand im Gazastreifen hält, die humanitäre
Hilfe ist wieder angelaufen.
Das Treffen diente auch dazu, dem noch bevorstehenden Prozess der
Verhandlungen Vorschusslorbeeren zu geben. Denn alle wissen, dass der
Frieden noch längst nicht beständig ist, auch wenn sich Trump als
Friedensengel präsentiert. Die wirklich komplizierten Fragen stehen noch
aus. Wie geht es mit dem Gazastreifen weiter? Wer wird ihn verwalten? Wer
sorgt dort für Sicherheit? Lässt sich die Hamas entwaffnen und was bedeutet
das wirklich? Und wird das alles darin enden, dass die Palästinenser ihr
Recht auf Selbstbestimmung und einen eigenen Staat bekommen?
Naturgemäß picken im Vorfeld nun alle ihre Rosinen für die zukünftigen
Verhandlungen heraus. Der israelische Premier Benjamin Netanjahu spricht
von der Entwaffnung der Hamas, der Entmilitarisierung und der
Entradikalisierung des Gazastreifens als Ziel. Nicht nur die Palästinenser,
auch die regionalen Vermittlerstaaten wie Katar, Ägypten und die Türkei
weisen darauf hin, dass das alles nicht funktionieren wird, wenn am Ende
nicht das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser steht. Sie betonen: Am
Ende muss ein palästinensischer Staat stehen. Viel wird jetzt davon
abhängen, [3][wie US-Präsident Trump weitermacht] und wie lange dessen
Aufmerksamkeitsspanne reicht. Ob er hier tatsächlich als „ehrlicher Makler“
fungieren kann, sei dahingestellt. Sicher ist: Er hat Netanjahu dazu
gebracht, unter die israelische Offensive einen Schlussstrich zu ziehen.
Aus palästinensischer und arabischer Sicht hatte die Trump-Reise und dessen
Rede in der israelischen Knesset aber durchaus auch einen bitteren
Beigeschmack. Neben der üblichen Selbstbeweihräucherung lobte Trump den
israelischen Stabschef für seine effektive Armee beim Iran-Einsatz. „Great
Job“ rief Trump Eyal Zamir zu. Dem gleichen Stabschef und der gleichen
Armee, die den Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt hat. Wie kommt so
etwas bei den Menschen in Gaza an, [4][die vor den Trümmern ihres alten
Lebens stehen und dort ihre Verwandten und Freunde ausgraben?] Netanjahu
selbst nahm von Trump lächelnd das Kompliment entgegen, dass er ein
„Siegertyp“ sei.
## Ist internationales Recht obsolet?
Trumps Rede war eine einzige Absolution Netanjahus und der israelischen
Armee. So, als gäbe es beim Internationalen Gerichtshof kein Verfahren
gegen Israel, [5][wegen weitreichender Indizien, dass die israelische Armee
bei ihrer Gaza-Offensive einen Genozid begangen habe.] So, als gäbe es noch
dazu gegen Netanjahu persönlich keinen Haftbefehl, diesmal beim
Internationalen Strafgerichtshof, in dem ihm Kriegsverbrechen in Gaza
vorgeworfen werden. Internationales Recht scheint endgültig obsolet zu
sein.
„Israel ist bestrebt, seine Beziehungen zu Europa und seinen anderen
westlichen Verbündeten zu normalisieren“, merkt der israelische Journalist
Gideon Levy an, der für die israelische Tageszeitung Ha’aretz schreibt. Die
aktuelle israelische Erzählung betone, „dass sich Israel mit dem
Waffenstillstand nicht mehr isoliert, dass die Hamas eingedämmt und dass
die internationale Meinung zugunsten Israels gekippt ist.“ Und er fügt
hinzu: „In vielerlei Hinsicht teilen Israel und das westliche politische
Establishment dieses Ziel, den öffentlichen Dissens zu beruhigen.“ Aus
palästinensischer Sicht wirkt das alles wie eine „vorgeschriebene Amnesie“
in Sachen Gaza. Etwas, dass die Menschen dort kaum akzeptieren werden.
Und im Gazastreifen selbst? Zum einen ist da der Streit um die noch nicht
überstellten toten Geiseln. Eine Taskforce aus den USA, Ägypten, der Türkei
und Katar arbeitet zusammen mit der Hamas daran, dass diese möglichst
schnell ausfindig gemacht werden. Sie brauche dafür zwei Dinge sagt die
Hamas: Zeit und schweres Gerät, um die Leichen zu bergen. Aus Kreisen der
US-Regierung ist zu vernehmen, dass die lebenden Geiseln frei seien und nun
gäbe es einen Mechanismus, die restlichen Leichen zu finden. Man gehe davon
aus, dass die Hamas den Rest des Deals einhalten werde. Grünes Licht für
Netanjahu, militärisch weiterzumachen, gibt es derzeit aus Washington
nicht.
Die israelische Armee ist unterdessen weiterhin in über der Hälfte des
Gazastreifens präsent. Mindestens 15 Palästinenser wurden seitdem von der
israelischen Armee erschossen. Sie hätten friedlich versucht, zu ihren
Häusern zu kommen, heißt es von palästinensischer Seite. Sie hätten sich
bedrohlich den Linien der israelischen Armee genähert, von israelischer
Seite. In dem Teil des Gazasteifens, aus dem sich die israelische Armee
zurückgezogen hat, [6][herrscht Chaos]. Es kam zu mehren Schusswechseln
zwischen Familien-Clans und Hamas-Leuten, die nun wieder bewaffnet auf den
Straßen auftauchen, um die Sicherheitskontrolle zu übernehmen. Dabei sind
Dutzende ums Leben gekommen. Einige wurden gar von der Hamas in einer
öffentlich inszenierten „Hinrichtung“ erschossen.
## Gespaltene Ansichten zur Hamas in Gaza
Die Hamas wirft bewaffneten Clans vor, an Plünderungen von Hilfsgütern und
deren Verkauf auf dem Schwarzmarkt und an Schutzgelderpressung beteiligt
gewesen zu sein. Und sie wirft ihnen vor, mit der israelischen Besatzung
kooperiert und von dort ihre Waffen erhalten zu haben. Diese „Milizen“
würden zur israelischen Teile-und-herrsche-Strategie gehören. Es ist aber
auch die Rede davon, dass die Hamas die Gelegenheit nutzt, unliebsame
Kritiker loszuwerden.
Schafft es die Hamas, ihr Gewaltmonopol in Gaza wieder durchzusetzen,
dürfte das auch ihre Position in künftigen Verhandlungen um deren
Entwaffnung stärken. Und es könnte ihr als Argument dienen, dass es keine
Zukunft des Gazastreifens ohne sie geben könne. In den letzten Tagen hat
die Hamas bewiesen, wie gut sie noch organisiert ist und wie effektiv sie
intern im Gazastreifen handeln kann, obwohl sie von der israelischen
Offensive zwei Jahre lang in den Untergrund gezwungen worden war.
Die Ansichten in Gaza sind dazu gespalten. Manche sagen, es muss eine Art
Ordnungsmacht geben und diese Rolle könne im Moment zumindest temporär de
facto nur die Hamas einnehmen. Nicht alle davon sind Anhänger der Hamas.
Andere im Gazastreifen wollen die Hamas in keiner Funktion mehr sehen,
koste es was es wolle.
Um das Sicherheitsvakuum ohne die Hamas füllen zu können, müsste eine
Alternative gefunden werden. Die Idee des Trump-Planes ist, dass eine
internationale Truppe, bestehend aus Soldaten arabischer und islamischer
Staaten die Rolle der Ordnungsmacht erfüllen soll. Doch das ist noch nicht
ausverhandelt. Viele Fragen bleiben offen: Wer schickt die Soldaten?
Bekommt eine solche Truppe ein UN-Mandat? Wem untersteht sie? Und würde
diese Truppe von den Menschen in Gaza nicht als Handlanger und Hilfspolizei
einer fortdauernden israelischen Besatzung wahrgenommen werden?
Das könnte schnell geschehen, wenn nicht auch eine politische Perspektive
für eine palästinensische Selbstbestimmung damit einhergeht Das hängt
jedoch davon ab, wer den Gazastreifen nominell verwalten wird: ein
internationales Aufsichtsgremium [7][mit Trump an der Spitze],
palästinensische Technokraten oder sogar die palästinensische
Autonomiebehörde. Letzteres will Netanjahu auf jeden Fall verhindern.
Ausgehandelt ist davon bisher nichts.
## Der Blick muss sich nach vorn richten
Aber gerade die regionalen Vermittler wie Katar, Ägypten und die Türkei
haben in Scharm El-Scheich noch einmal deutlich gemacht, dass nichts an
diesem Plan nachhaltig sein wird, wenn dies nicht in einen Prozess zu einem
palästinensischen Staat mündet. Und dabei sprechen sie nicht nur von Gaza,
sondern auch vom Westjordanland und Ostjerusalem.
Eine Entwaffnung der Hamas ohne ein Ende der israelischen Besatzung,
argumentieren sie, sei eine Sackgasse. Das sehen sie durchaus realistisch.
Selbst wenn die Hamas sich entwaffnen lässt, und selbst wenn sie sich
auflösen würde, würde wohl eine neue Organisation mit anderem Namen
entstehen. Und die hätte unter den Bedingungen der Besatzung und des
fortlaufenden Wegsperrens des Gazastreifens vom Rest der Welt
wahrscheinlich auch kein Problem, genug Anhänger und Rekruten zu gewinnen.
Das, was wir gerade erleben, könnte der Anfang vom Ende sein. Aber weder
das Picken von Rosinen in den nächsten Verhandlungsrunden, noch eine
Amnesie, die die Ereignisse der letzten zwei Jahre auf beiden Seiten in der
Versenkung verschwinden lässt, wird funktionieren. Vergessen werden die
Opfer auf beiden Seiten nie. Jetzt muss sich der Blick nach vorne richten.
Und das geht nur, wenn es für Israel Sicherheit gibt. Und wenn die
Palästinenser das Recht bekommen, ihren eigenen Staat zu gründen. Ein Ende
der israelischen Besatzung wäre die Voraussetzung für beides.
17 Oct 2025
## LINKS
[1] /Frieden-in-Nahost/!6116474
[2] /Palaestinensische-Haeftlinge/!6116662
[3] /Abkommen-zwischen-Israel-und-Hamas/!6119521
[4] /Versorgungslage-im-Gazastreifen/!6116779
[5] /Zwei-Jahre-nach-dem-Hamas-Ueberfall/!6114975
[6] /Gaza-Tagebuch/!6119651
[7] /Reaktionen-auf-Abkommen-in-Israel/!6118721
## AUTOREN
Karim El-Gawhary
## TAGS
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Nahost-Debatten
Benjamin Netanjahu
Gaza
Siedlungen
Gaza
Westjordanland
Jerusalem
Palästina
Israel
Donald Trump
Social-Auswahl
Reden wir darüber
Gaza
Nahost-Debatten
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Hamas
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
## ARTIKEL ZUM THEMA
Rabin-Vertrauter über Israel und Frieden: „Echter Frieden bedeutet auch heut…
Uri Dromi war Pressesprecher von Jitzhak Rabin. Dann wurde der
Friedensstifter von einem Rechtsextremen ermordet. Was bleibt von Rabins
Schaffen?
Trumps Gaza-Plan: Das neue Nahost-Quartett
Der Waffenstillstand in Gaza hält vorerst. Ohne Katar, die Türkei und
Ägypten wäre das nicht möglich – denn Trump fehlt es an Glaubwürdigkeit.
Nach neuer Gewalt in Gaza: Hält die Waffenruhe?
Die vereinbarte Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas weckte Hoffnung,
am Sonntag eskalierte die Lage wieder. Wie geht es nun weiter? Ein Q & A.
DRK-Leiter zu Gaza: „Die Lage bleibt äußerst fragil“
Die Menschen in Gaza müssen weiter hungern, sagt Christof Johnen. Er
erklärt, warum noch immer viele Lkws mit Hilfsgütern an der Grenze
feststecken.
+++ Nachrichten im Nahost-Konflikt +++: Israel beschießt Ziele im Gazastreifen
Die Waffenruhe zwischen Israel und der islamistischen Hamas wackelt
gewaltig. Polizeiminister Ben-Gvir fordert Wiederaufnahme der
Kampfhandlungen.
Trotz Waffenstillstand: Kind im Westjordanland getötet
Ein palästinensischer Junge wurde am Donnerstag von Schüssen des
israelischen Militärs in seinem Dorf getroffen und erlag seinen
Verletzungen. Kein Einzelfall.
Versorgungslage im Gazastreifen: Der Krieg hat aufgehört, das Leid hält an
In Gaza verbessert sich trotz Waffenruhe die humanitäre Lage der
Bevölkerung kaum. Und die Hamas geht derweil brutal gegen die eigene
Bevölkerung vor.
Palästinensische Häftlinge: Entlassen aus dem Gefängnis, das Männer bricht
Im Zuge des Geisel-Deals kamen auch fast 2.000 palästinensische Gefangene
aus israelischen Haftanstalten frei. Freigelassene berichten von Folter.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.