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# taz.de -- Palästinensische Häftlinge: Entlassen aus dem Gefängnis, das Mä…
> Im Zuge des Geisel-Deals kamen auch fast 2.000 palästinensische Gefangene
> aus israelischen Haftanstalten frei. Freigelassene berichten von Folter.
Bild: Freigelassene Palästinenser werden bei ihrer Ankunft in Ramallah im West…
Gaza, Jerusalem, Berlin taz | Seine Geschichte erzählt Khalil so: In jener
Septembernacht dieses Jahres, als das israelische Militär ihn festnahm,
fuhr er mit seinem Lastwagen zum Grenzübergang Kerem Schalom. Die Augen
zusammengekniffen, habe er versucht, die unbefestigte Straße vor seiner
Windschutzscheibe auszumachen.
Er wollte in Kerem Schalom [1][Hilfsgüter laden] und sie zu einer
Verteilstelle in Westgaza bringen. Das Steuern des Lastwagens über die
Schotterpiste war mühsam, sagt er. Als er schließlich ankam, warteten
bereits fünf Lastwagen vor ihm. Er reihte sich ein und wartete darauf, dass
das israelische Militär die Genehmigung erteilte, den Grenzbereich zu
betreten und die Güter – Kisten mit Zucker, Thunfisch, Nudeln –
aufzunehmen.
Der Prozess sei Routine gewesen, erzählt er weiter. Doch in der Dunkelheit
sei plötzlich eine metallene Stimme aus einem Lautsprecher ertönt: Er solle
aussteigen und die Ausweise aller Fahrer einsammeln. Das Herz habe ihm in
der Brust geschlagen, die Angst sei über ihn gekommen. Dennoch habe er die
Ausweise eingesammelt. Wie weiter angewiesen habe er alle sechs Karten auf
dem Boden abgelegt, etwa 100 Meter von den Lastwagen entfernt. Aus dem
Augenwinkel habe er den Umriss eines Panzers gesehen, leise die Stimmen der
Soldaten gehört. Die Minuten seien kaum vergangen. Schließlich habe ihn die
Stimme aus dem Lautsprecher angewiesen, die Ausweise wieder einzusammeln.
Doch es lagen nur noch fünf da.
Da habe er bereits geahnt, dass etwas nicht stimmte. Er habe versucht,
nachzufragen. Doch die Stimme aus dem Lautsprecher habe ihn angewiesen,
still zu sein und die Waren auf seinen Lastwagen zu laden. Er habe damit
begonnen, Kiste um Kiste. Dann habe die Stimme aus dem Lautsprecher seinen
Namen gerufen, und den eines der anderen Fahrer, ein ihm unbekannter Mann.
## Militante Palästinenser werden nun nach Ägypten deportiert
Dann sei die Anweisung gekommen, sich auszuziehen, die Hände hochzuhalten.
In der Kühle der Nacht hätten er und der andere Fahrer ihre Kleidung
abgelegt. Soldaten umringten sie, legten ihnen Handschellen an, verbanden
ihnen die Augen. Dann kamen die Schläge, die Tritte. Eine lange Fahrt
folgte, bis in gebrochenem Arabisch eine Stimme sagte: „Willkommen in dem
Gefängnis, das Männer bricht.“ Wieder Schläge, Tritte, Beleidigungen. Und
schließlich die Auflösung: Das israelische Militär hatte ihn in ein
Gefängnis in der südlichen Wüste Negev verbracht.
Dass Khalil, der seinen echten Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, nun
seine Geschichte erzählen kann, liegt [2][an dem Waffenstillstandsabkommen
zwischen Israel und der Hamas.] In dessen Zuge kamen nicht nur alle zwanzig
lebenden israelischen Geiseln aus dem Gazastreifen frei, sondern auch fast
2.000 palästinensische Gefangene aus israelischen Haftanstalten.
Unter ihnen sind etwa 250, die wegen besonders schwerer Taten den Rest
ihres Lebens hinter Gittern verbringen hätten sollen: militante
Palästinenser, die etwa während der zweiten Intifada Anfang der 2000er
Jahre Terrorangriffe begingen oder dabei halfen. Viele von ihnen kehren
nicht in den Gazastreifen oder das Westjordanland zurück, sondern werden
deportiert, etwa nach Ägypten.
Unter den Freigelassenen sind aber auch über 1.700 Menschen aus dem
Gazastreifen. Sie wurden nicht während des Überfalls militanter
palästinensischer Gruppen in Südisrael am 7. Oktober 2023 festgenommen,
sondern im Laufe des darauffolgenden Kriegs. Die meisten sind Männer, doch
auch einige Frauen und Kinder sind unter ihnen. Viele wurden unter dem
Titel des „unrechtmäßigen Kämpfers“ verhaftet.
## Im Krankenhaus ist die Untersuchung schnell vorbei
Warum es ihn erwischt hat, versteht Khalil bis heute nicht, sagt er. „Ich
arbeite als Lastwagenfahrer schon seitdem ich sehr jung war. Ich habe keine
Beziehungen in die Politik. Ich kenne nicht mal den Namen des
palästinensischen Premierministers.“
In Haft sei er immer wieder befragt worden, erzählt er: Wo sich Truppen der
Hamas in Gaza versteckten, wo sich Tunnel befänden. Sie hätten ihm Bilder
gezeigt von dem Haus, in dem er damals untergekommen war, in Südgaza. Und
ihn gefragt, was er über die benachbarten Gebäude erzählen könne. Nichts,
habe er geantwortet, er sei ja aus dem Norden vertrieben worden. Auch die
anderen Fragen habe er nicht beantworten können, sagt er.
Nun, nach etwa einem Monat in Haft, ist Khalil wieder zurück im
Gazastreifen. Am späteren Montag kommt er dort an, nachdem alle lebenden
Geiseln aus Gaza freigelassen worden sind.
Khalil und die über 1.700 anderen werden zunächst in das Nasser-Spital in
der Stadt Chan Junis in Südgaza gebracht. Bilder zeigen die Szenerie: Eine
große Menschentraube begrüßt die Ankömmlinge, sie schwenken
palästinensische Fahnen, manche halten Bilder ihrer vermissten Angehörigen
hoch. Bewaffnete Männer in schwarzer Kluft und bis zu den Augen maskiert
überwachen das Geschehen. Sie gehören wohl zur Hamas.
Der medizinische Check-up ist schnell vorbei. Zu groß ist die Masse der
Menschen, die an diesem Tag nach Gaza zurückkehrt. Es wurde der Blutdruck
gemessen, einmal gefragt, ob man Schmerzen habe – das sei alles gewesen. So
erzählt es Khalil.
## Seiner Familie möchte Khalil nichts erzählen
Seine Familie hat auf ihn gewartet. Gehofft, dass er aus der Haft
zurückkehren möge. Doch nicht alle Angehörigen wüssten, ob ihre Lieben in
israelischen Gefängnissen säßen oder tot seien, sagt Naji Abbas von der
Nichtregierungsorganisation Physicians for Human Rights. Es sei die Linie
des israelischen Haftsystems geworden, so gut wie keine Informationen über
Gefangene herauszugeben. Selbst wenn israelische Anwälte ganz offiziell
anfragten, erhielten sie oft keine Auskunft.
Khalils Familie wusste, wo er war: Die anderen Lastwagenfahrer hatten seine
Verhaftung mitbekommen. In seiner Zeit im Gefängnis, erzählt Khalil, habe
er Fürchterliches erlebt. Gewalt sei an der Tagesordnung gewesen, die
Soldaten in ihrer Anwendung kreativ. So sei er mit gefüllten Wasserflaschen
geschlagen worden, ins Gesicht, auf die Brust. [3][Er habe Hunger gelitten,
nicht duschen dürfen, sei misshandelt worden].
Tal Steiner vom Public Committee Against Torture in Israel, einem Verband,
der sich gegen Folter einsetzt, sagt: Schon vor dem 7. Oktober 2023 seien
die Bedingungen in israelischen Haftanstalten nicht einfach gewesen. „Aber
willkürliche Gewalt war nicht normal vor dem 7. Oktober“, betont sie. Die
Berichte der Gefangenen – über bewusstes Aushungern, physische und
psychische Gewalt – seien alle ähnlich. Und Dutzende Häftlinge seien in den
vergangenen beiden Jahren in israelischen Gefängnissen umgekommen, [4][die
taz dokumentierte zwei dieser Fälle].
Auch Khalil erzählt: Er sei an einen Punkt gelangt, wo er einfach nur noch
wegwollte aus der Haft – egal um welchen Preis. „Das war kein Leben,
sondern die Schlange zur Hölle“, sagt er. Mit seiner Familie, die ihn an
diesem Montag wieder in die Arme schließt, will er nicht über das Erlebte
sprechen, zu schlimm die Erinnerungen. „Niemand in dieser Welt hat mich
beschützt“, sagt er, „kein Gesetz und keine Regierung.“ Bis, gewisserma�…
zu diesem Deal – der zumindest seine Haft beendete.
Hinweis: Im Text fand sich ein Fehler bei einem Pronomen. Wir haben das
korrigiert.
14 Oct 2025
## LINKS
[1] /Abkommen-fuer-den-Gazastreifen/!6118805
[2] /Abkommen-zwischen-Israel-und-Hamas/!6119521
[3] /Palaestinenser-in-Israels-Gefaengnissen/!6021130
[4] /Palaestinenser-in-Israels-Gefaengnissen/!6021130
## AUTOREN
Hisham Al-Masri
Felix Wellisch
Lisa Schneider
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