| # taz.de -- Palästinenser in Israels Gefängnissen: Unrecht hinter Gittern | |
| > Nach dem 7. Oktober nimmt Israel vermehrt Palästinenser fest. Sie | |
| > berichten von unmenschlichen Bedingungen. Begegnung mit zwei | |
| > Ex-Häftlingen. | |
| Bild: Ofer Prison | |
| Bethlehem und Gaza-Stadt taz | Als Munther Amira im israelischen Gefängnis | |
| Ofer im Westjordanland ankommt, rechnet er mit dem Prozess, den er bereits | |
| kennt: Die Sicherheitskräfte unternehmen einen Sicherheitscheck, der | |
| Gefangene muss seine Hose und sein Shirt ausziehen. Amira, ein bekannter | |
| Aktivist aus dem Aida Camp in Bethlehem, setzt sich schon seit Jahrzehnten | |
| gegen die israelische Besatzung seiner Heimat ein – immer frei von Gewalt, | |
| das ist ihm wichtig, betont er. Trotzdem wurde er in der Vergangenheit | |
| festgenommen, [1][Amnesty] bezeichnete ihn damals als politischen Häftling. | |
| „Doch diesmal war es anders“, sagt Amira. Und erzählt so gefasst und ruhig, | |
| fast monoton, als sei diese Geschichte nicht seine eigene, sondern die | |
| eines Bekannten: Die Soldaten fordern ihn auf, auch die Unterhose | |
| auszuziehen. Er weigert sich. „Ich sagte ihnen: Ihr könnt mich auch | |
| überprüfen, ohne dass ich meine Unterwäsche ausziehe“. Die Widerworte | |
| verhallen, die Sicherheitskräfte schlagen ihn, ziehen sie ihm mit Gewalt | |
| aus. „Es ist ein Moment von großer Aggressivität, wenn man nackt ist und | |
| jemand einen anfasst.“ | |
| Sie fordern ihn auf, das Bein zu heben, dann das andere, die Arme – hoch, | |
| runter. Dann holen sie einen Metalldetektor, ein kleines in der Hand zu | |
| haltendes Gerät, das auch bei Sicherheitschecks am Flughafen verwendet | |
| wird. „Sie haben angefangen damit zu spielen“, sagt er und zeigt auf seinen | |
| Intimbereich. „Da habe ich gelernt, was sexuelle Belästigung ist und was es | |
| bedeutet, gegen seinen Willen berührt zu werden.“ Er pausiert lange und | |
| lässt den Blick durch den Raum schweifen. Im Hintergrund summt die | |
| Klimaanlage. Schließlich sagt er: „Es fällt mir schwer, zu verstehen, warum | |
| sie das tun.“ | |
| Nach dem 7. Oktober beginnt im Westjordanland eine Welle von | |
| [2][Festnahmen]. Nach Angaben der israelischen Nichtregierungsorganisation | |
| HaMoked, die sich für die Rechte von Palästinensern einsetzt, hält Israel | |
| in seinen Gefängnissen derzeit über 3.300 Menschen [3][in | |
| Administrativhaft] fest. Wenn Menschen in Administrativhaft genommen | |
| werden, müssen sie noch kein Verbrechen begangen haben. Die Befürchtung, | |
| dass sie es in Zukunft tun könnten, reicht aus. Wie genau die Behörden – im | |
| Fall des Westjordanlandes das Militär – das begründen, bleibt geheim, sogar | |
| vor den Gefangenen selbst. Theoretisch liegt die Maximaldauer der | |
| Administrativhaft bei sechs Monaten, sie kann aber immer wieder verlängert | |
| werden. | |
| Viele von den Gefangenen wurden nach dem Angriff der Hamas auf Israel im | |
| vergangenen Herbst festgenommen – und einer von ihnen war von Mitte | |
| Dezember bis Ende Februar 2024 Munther Amira. Auch in Gaza verhaftet das | |
| israelische Militär vermehrt Menschen. Wie viele es genau sind, ist kaum | |
| nachzuvollziehen. Im Verlauf des Krieges werden immer wieder Bilder von bis | |
| auf die Unterhose entblößten, in Reihen auf dem Boden sitzenden, | |
| gefesselten Männern öffentlich. | |
| Die Gefangenen aus Gaza und dem Westjordanland landen schließlich entweder | |
| in temporären Haftanstalten, in dem durch eine Recherche von [4][CNN | |
| bekannt gewordenen Militärcamp] Sde Teiman in der Wüste Südisraels. Oder in | |
| den Gefängnissen des Israeli Prison Service (IPS) in Israel und dem | |
| Westjordanland, so wie Amira. Gemein ist beiden: Wieder entlassene | |
| Gefangene sowie Zivilorganisationen prangern systematische | |
| Menschenrechtsverstöße an – Gewalt, Hunger, Folter. Auch Amira erhebt | |
| schwere Vorwürfe gegen die Soldaten, die ihn festnahmen, gegen die | |
| Beschäftigten des Gefängnisses Ofer und gegen das israelische | |
| Gefängnissystem selbst. | |
| Seine Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen, sie decken sich aber | |
| mit Berichten weiterer Gefangener in verschiedenen Medien, sowie mit den | |
| Angaben von diversen Nichtregierungsorganisationen. | |
| Als die Soldaten ihn in seinem Haus in Bethlehem festnahmen, sei seine | |
| 19-jährige Tochter bei ihm gewesen, erzählt er. Die Soldaten hätten sie in | |
| ein anderes Zimmer gebracht. Den beiden Söhnen – der eine erst dreizehn | |
| Jahre alt – hätten sie Handschellen angelegt, die beiden ebenfalls aus dem | |
| Raum geschafft. Auch sein Bruder, der ein paar Häuser weiter lebt, wird | |
| zunächst festgenommen, erzählt er. Eine Verwechslung mit ihm selbst. Die | |
| Soldaten, sagt er, hätten ihn und seinen Bruder geschlagen und misshandelt. | |
| Schließlich hätten die Soldaten ihn fotografiert – und gewartet, bis eine | |
| Bestätigung gekommen sei. „Das ist er, sagten sie.“ | |
| Mit gefesselten Händen und verbundenen Augen, sagt Amira, habe die Fahrt | |
| begonnen. Einmal seien die Soldaten angehalten: „Sie haben mir gesagt: Wir | |
| werden deinen Traum wahr werden lassen. Ich frage: Welcher Traum? Sie | |
| sagen: Du wolltest doch ein Shaheed, ein Märtyrer, sein!“ Dann habe er | |
| geantwortet, dass das nicht stimme. Und gesagt:„Ich bin ein | |
| Friedensaktivist, ich bin nicht bewaffnet.“ Sie hätten geantwortet: „Wir | |
| bringen dich nach Gaza.“ Dann habe er Panik bekommen. Wohin die Fahrt | |
| tatsächlich geführt habe, habe er nicht gewusst. Nach drei Tagen | |
| Zwischenstation in einem Gefängnis in der Negev – Naqab, sagt Amira, der | |
| arabische Name der Wüste in Südisrael – sei er schließlich [5][im Gefängn… | |
| Ofer] angekommen. | |
| Allein die Bedingungen seien dort kaum erträglich gewesen, beschreibt er: | |
| So seien etwa die Zellen chronisch überbelegt gewesen. „Wir waren dreizehn | |
| Menschen in einer Zelle für fünf Personen. Die Überzähligen mussten auf dem | |
| Boden verteilt schlafen.“ Nach einer Entscheidung des obersten israelischen | |
| Gerichts aus dem Jahr 2020 muss jedem Gefangenen eine Fläche von mindestens | |
| 4,5 Quadratmetern zu Verfügung stehen. Die Weisung des Urteils wurde jedoch | |
| nie implementiert, und nach Angaben des Verbandes für Zivilrechte in Israel | |
| (ACRI) beträgt die Fläche derzeit gerade einmal knapp über 2 Quadratmeter. | |
| Die Situation in den Gefängnissen, so die Organisation, habe sich als | |
| „Ergebnis des Krieges erheblich verschlechtert“. | |
| Auch die Versorgung mit Nahrung sei unzureichend, die Lebensmittel teils | |
| verdorben, sagt Amira. Die nach dem 7. Oktober geschrumpften Essensrationen | |
| für sogenannte Sicherheitsgefangene, wozu auch die sich in | |
| Administrativhaft Befindlichen zählen, beschäftigen auch den Obersten | |
| Gerichtshof in Israel. ACRI hat dort eine Petition eingereicht und wirft | |
| dem Israel Prison Service (IPS) vor, mit Absicht die Rationen reduziert zu | |
| haben. Der IPS ist für alle Gefängnisse in Israel zuständig. Bei einer | |
| Anhörung Ende Juni nennt das Oberste Gericht das Verhalten des IPS | |
| „inakzeptabel“, einer der Richter wirft die Frage auf, warum die | |
| geschrumpften Rationen nur für die Sicherheitsgefangenen, nicht aber für | |
| normale, kriminelle Gefangene gelten. In einem Brief an ACRI bezeichnet der | |
| ultranationalistische Minister für Innere Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, dem | |
| der IPS untersteht, die Kürzung der Rationen als „abschreckende Maßnahme“. | |
| IPS beantwortet die Fragen der taz zu den Vorwürfen Amiras und anderer | |
| Gefangener mit einem allgemeinen Statement: Alle Grundrechte würden durch | |
| das professionell ausgebildete Gefängnispersonal gewahrt, außerdem könnten | |
| die Gefangenen sich auf offiziellem Wege beschweren. Auf konkretere Fragen | |
| der taz geht die Behörde nicht ein. | |
| Auch Gewalt sei an der Tagesordnung gewesen, sagt Amira. Etwa beim Appell | |
| zum Zählen der Gefangenen. Sie hätten auf dem Boden knien müssen, erzählt | |
| er, die Augen nach unten gerichtet, die Hände hinter dem Rücken | |
| verschränkt. Wer sich weigere oder die Sicherheitskräfte anblicke, sagt er, | |
| würde schnell Opfer von Gewalt. Diese sei in Ofer nicht nur sicht-, sondern | |
| auch hörbar gewesen, sagt Amira. Er befand sich im Zellenblock 22. Daneben | |
| liegt der Block 23 – und dort sitzen die Gefangenen aus Gaza. | |
| Im Block 23 sitzt auch Muhammad ein. Seinen echten Namen will er nicht | |
| veröffentlicht sehen. Er stammt aus Gaza-Stadt, Mitte November 2023 wollte | |
| er den Netzarim-Korridor passieren. Diese vom israelischen Militär | |
| kontrollierte Passage verläuft horizontal durch Gaza hindurch, südlich von | |
| Gaza-Stadt. Wer von Nord- nach Südgaza fliehen will, wozu das israelische | |
| Militär die Bewohnenden von Gaza-Stadt Mitte Oktober aufforderte, muss | |
| durch ihn hindurch. In dem Korridor sei er festgenommen worden, erzählt er. | |
| Warum, wisse er bis heute nicht. Von seiner Festnahme im November bis zu | |
| seiner Entlassung im Frühling habe man ihm keinen einzigen Anklagepunkt | |
| genannt. Auch Amira weiß bis heute nicht, was genau ihm denn nun eigentlich | |
| vorgeworfen wird. | |
| Dazu befähigt ist Israel nach Angaben von [6][Addameer] – einer | |
| palästinensischen Nichtregierungsorganisation, die Gefangene unterstützt | |
| und deren Behandlung dokumentiert – durch drei verschiedene Gesetze: Für | |
| die Gefangenen aus dem besetzten Westjordanland gilt Militärrecht, das die | |
| Anwendung von Administrativhaft erlaubt. Für Gefangene aus Gaza gilt ein | |
| Gesetz, das es Israel ermöglicht „unrechtmäßige Kämpfer“ festzunehmen u… | |
| festzuhalten. Auch israelische Staatsbürger können im derzeit im Notstand | |
| geltenden Gesetz in Administrativhaft genommen werden. Laut Haaretz wurden | |
| seit dem 7. Oktober aber nur 10 jüdische Israelis in Administrativhaft | |
| genommen. | |
| Ein Bild von vor der Festnahme zeigt Muhammad als Mann in den 30ern, mit | |
| sorgfältig gestutztem Bart, vollen Wangen und dünner werdendem, vorteilhaft | |
| gestyltem Haar über der Stirn. Heute sieht er viel schmaler aus, mit | |
| Schatten unter den Augen. Aus Ofer kehrte er nach Gaza in ein Zelt zurück, | |
| in eine der humanitären Zonen südlich des Netzarim-Korridors, wo sich viele | |
| Geflüchtete aus ganz Gaza heute ballen. | |
| Nachdem die Soldaten ihn im November festgenommen hätten, sei er zunächst | |
| in die Haftanstalt in Aschkelon, einer israelischen Stadt nahe dem | |
| Gazastreifen, gekommen. Dort sei er verhört, geschlagen und erniedrigt | |
| worden, sagt er. „Sie haben keinen Unterschied gemacht zwischen Alten und | |
| Jungen, Ärzten und Ingenieuren, Zivilisten und Militanten. Sie haben uns | |
| gesagt: Ihr seid alle Terroristen, ihr seid alle Hunde.“ | |
| Gefoltert hätten sie ihn aber nicht, sagt er. Doch wenn die Hamas-Anhänger | |
| verhört wurden, habe er ihre Schreie hören können. Im Gefängnis in | |
| Aschkelon sei Muhammad am ersten Tag seiner Haft einem Mann begegnet, | |
| dessen Name im Juni in den Medien landen würde. Es war Iyad al-Rantisi, | |
| Leiter der Frauenklinik des Kamal-Adwan-Krankenhauses in Beit Lahiya in | |
| Nordgaza. Die beiden Männer hätten zusammen in einer Zelle gesessen. „Er | |
| war sehr schwach“, sagt Muhammad. „Ich habe versucht ihm Essen und Trinken | |
| zu geben, doch er wollte nicht.“ Al-Rantisi habe darauf bestanden, dass er | |
| Arzt sei – sonst nichts. | |
| „Er konnte die Erniedrigungen und die Schläge nicht ertragen“, sagt | |
| Muhammad. „Ich habe immer wieder den Wärtern gesagt: Dem Mann geht es | |
| schlecht, holt einen Arzt. Sie haben nicht auf mich gehört.“ Eines Tages, | |
| erzählt er weiter, bei einer Befragung, habe er dem Verhörenden vom Zustand | |
| des Arztes erzählt. Der Beamte habe zwei Wärter in die Zelle geschickt, die | |
| hätten ihn mitgenommen, unter Gewalt. „Am selben Tag änderte sich etwas im | |
| Gefängnis. Ich hatte das Gefühl, dass etwas passiert ist.“ Später sei er | |
| befragt worden, was mit dem Arzt geschehen sei: Wer ihn geschlagen habe, | |
| wann er Hilfe bekommen habe, ob die Wärter ihn misshandelt hätten, als sie | |
| ihn abholten. | |
| „Ich habe ihnen alles erzählt: wie sie ihn geschlagen und hinausgezerrt | |
| haben.“ Wann genau Iyad al-Rantisi gestorben sei, wisse Muhammad nicht. „Um | |
| den 16. bis 18. November“, sagt er. Das deckt sich mit einem [7][Bericht] | |
| der linken israelischen Zeitung Ha’aretz, der im Juni erscheint. Der Tod | |
| des Arztes im Gefängnis von Aschkelon wird erst zu dieser Zeit publik, das | |
| Gericht hatte ein sechsmonatiges Informationsembargo verhängt. Al-Rantisis | |
| Leiche befindet sich noch immer in Israel, die Todesursache ist bis heute | |
| unklar. | |
| ## Mangelnde medizinische Versorgung | |
| Die Nichtregierungsorganisation Ärzte für Menschenrechte in Israel | |
| ([8][PHRI]) sammelt Informationen zu toten palästinensischen Insassen in | |
| israelischen Gefängnissen. Der taz liegen zwei Obduktionsberichte vor, die | |
| von Ärzten für PHRI verfasst wurden, einer von Ende Oktober, der zweite aus | |
| dem Februar. In dem älteren Bericht schreibt der obduzierende Arzt über den | |
| Todesfall eines Gefangenen: Es gebe keine Zeichen für eine Gewalteinwirkung | |
| von außen. Der an Diabetes Typ I leidende junge Mann sei wahrscheinlich an | |
| einem Herzinfarkt gestorben. Wer an Diabetes Typ I erkrankt ist, muss meist | |
| den Botenstoff Insulin spritzen, der für einen funktionierenden | |
| Stoffwechsel essenziell ist. Wer an Diabetes erkrankt ist, hat ein höheres | |
| Infarktrisiko – gerade bei unpassender Ernährung und mangelnder | |
| medizinischer Versorgung. | |
| Der Bericht aus dem Februar bezieht sich ebenfalls auf einen jungen Mann, | |
| gerade einmal 20 Jahre alt, der an einer angeborenen Erkrankung des Darms | |
| leidet. Er brauche eine spezielle Diät und Darmspülungen, sonst könne seine | |
| Krankheit lebensbedrohlich werden, so der Obduktionsbericht. Laut dem | |
| obduzierenden Arzt würden sich dann im Körper Fäkalien ansammeln, was unter | |
| anderem zu niedrigem Blutdruck, Schmerzen und Nierenversagen führen könne. | |
| Der Verstorbene sei kurz vor seinem Tod aus dem Gefängnis in ein | |
| Krankenhaus verlegt worden, „in ernstem Zustand“, so der Bericht. Kurz nach | |
| der Ankunft in der Notaufnahme sei er verstorben. Der Obduktionsbericht | |
| betont: Der Tod des jungen Mannes hätte wohl vermieden werden können, wenn | |
| er rechtzeitig adäquate medizinische Hilfe erhalten hätte, wenn er sich | |
| entsprechend seiner Krankheit hätte pflegen können. Bei der Ankunft in der | |
| Notaufnahme sei sein Zustand bereits so schlecht gewesen, dass die Chance, | |
| ihn noch retten zu können, gering gewesen sei. | |
| Zu al-Rantisi liegt der taz kein Obduktionsbericht vor. Etwa zwei Wochen | |
| nach dem Tod des Arztes wurde Muhammad nach Ofer verlegt. Als er dort | |
| angekommen sei, erzählt er, habe er den Ruf zum Gebet aus dem nur wenige | |
| Kilometer entfernt liegenden Ramallah, der De-facto-Hauptstadt der | |
| palästinensischen Autonomiegebiete, gehört. Das Gefängnis Ofer liegt im | |
| C-Gebiet – also dem Bereich des Westjordanlandes, über das Israel nach den | |
| Oslo-Abkommen Anfang der 90er Jahre sowohl die Sicherheits- als auch die | |
| Verwaltungskontrolle ausübt. | |
| Muhammads Berichte aus Ofer ähneln denen Amiras: Die Zellen seien | |
| überbelegt, die Versorgung mit Lebensmitteln mangelhaft gewesen. In seiner | |
| Zelle seien während seines Aufenthaltes zwischen zehn und fünfzehn Menschen | |
| untergebracht gewesen, sagt Muhammad. „Wir hatten drei Matratzen und zwei | |
| Decken für uns alle.“ Morgens, erzählt er, sei er vom Ruf zum Morgengebet | |
| im nahen Ramallah aufgewacht, dann seien die Sicherheitskräfte zum | |
| Morgenappell gekommen. Genau wie Amira, sagt auch Muhammad, dass die | |
| Gefangenen dafür auf dem nackten Boden hätten kauern müssen. Und wie Amira | |
| in seinem Zellenblock 22 habe auch Muhammad in Block 23 die Schreie der | |
| anderen gehört. Schläge, sagt er, seien an der Tagesordnung gewesen. | |
| Mit Muhammad hätten weitere Menschen aus Gaza in Ofer eingesessen, erzählt | |
| er. Bei einem Besuch der Gemeinschaftsduschen – zu denen man äußerst selten | |
| Zugang bekommen habe, betont Amira – sei Muhammad auf Adnan al-Burj | |
| getroffen. Der sei ebenfalls Arzt gewesen, vor dem Krieg Leiter der | |
| Orthopädie des mittlerweile bekannt gewordenen Al-Schifa-Spitals in | |
| Gaza-Stadt. Nach israelischen Angaben befand sich unter dem Klinikum ein | |
| Kommandozentrum der Hamas, den dafür genutzten Bunker hat Israel während | |
| seiner Besatzung des Gazastreifens in den 1980er Jahren selbst gebaut. Nach | |
| wochenlangen Gefechten im Frühling ist das Krankenhaus heute zerstört. | |
| Das Wasser in den Duschen in Ofer sei immer kalt gewesen und mit einem | |
| Sensor automatisch angegangen, sagt Muhammad. Als die beiden dort gewartet | |
| hätten, hätten sie sich einander vorgestellt. Dann sei ein Wärter | |
| zurückgekommen, die Konversation sei versiegt. Es sei das erste und letzte | |
| Mal gewesen, dass er al-Burj getroffen habe. Mitte April starb er in Ofer. | |
| Eine Obduktion wurde laut PHRI nicht vorgenommen. | |
| Nach Angaben von Addameer ist Adnan al-Burj einer von mindestens drei | |
| Gefangenen, die seit dem 7. Oktober im Gefängnis Ofer starben. In allen | |
| israelischen Gefängnissen sind es mindestens 18 Tote, so Addameer. Und nach | |
| Berichten verschiedener Medien starben im Militärcamp Sde Teiman über 30 | |
| gefangen genommene Palästinenser. | |
| Dazu trägt, wie der Obduktionsbericht von PHRI nahelegt, auch die mangelnde | |
| medizinische Versorgung bei. Auch Amria erzählt: Er habe einige | |
| gesundheitliche Probleme, müsse drei verschiedene Medikamente einnehmen. | |
| Erst nach drei Wochen Haft habe er zumindest Tabletten gegen seinen | |
| Bluthochdruck erhalten. Die zweite Art von dringend benötigter Medizin habe | |
| er zwei Tage vor seiner Entlassung bekommen. Und als er nach etwa | |
| zweieinhalb Monaten schließlich freigekommen sei, sagt er, habe er 33 | |
| Kilogramm weniger als bei seiner Festnahme gewogen. In vielen Momenten habe | |
| er nicht mehr mit einer Freilassung und einer Rückkehr nach Hause | |
| gerechnet, sondern nur noch mit dem Tod. | |
| Amiras 19-jährige Tochter, die mitangesehen hat, wie ihr Vater von den | |
| Soldaten bedrängt und schließlich verhaftet wurde, stürzt ins Zimmer, die | |
| dunklen Locken noch feucht: „Papa, ich brauche dringend die Autoschlüssel.“ | |
| Amira seufzt väterlich und beginnt zu suchen. Ihm sei bei seiner Entlassung | |
| verboten worden, mit Medien zu sprechen, sagt er, sonst werde man ihn | |
| gleich wieder inhaftieren. Trotzdem habe er etwa Haaretz [9][bereits ein | |
| Interview] gegeben. Als gewaltloser Aktivist sei es seine Aufgabe, zu | |
| erzählen, was ihm passiert sei – auch wenn er dafür wieder einen hohen | |
| Preis bezahlen könnte. | |
| 18 Jul 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.amnesty.org/en/documents/mde15/7841/2018/en/ | |
| [2] /Palaestinensische-Haeftlinge/!5975573 | |
| [3] https://www.amnesty.ch/de/laender/naher-osten-nordafrika/israel-besetzte-ge… | |
| [4] https://edition.cnn.com/2024/05/10/middleeast/israel-sde-teiman-detention-w… | |
| [5] https://www.middleeasteye.net/news/gaza-israel-detainees-abuse-torture-sde-… | |
| [6] https://www.addameer.org/ | |
| [7] https://www.haaretz.com/israel-news/2024-06-18/ty-article/.premium/israel-a… | |
| [8] https://www.phr.org.il/en/ | |
| [9] https://www.haaretz.com/israel-news/twilight-zone/2024-04-28/ty-article-mag… | |
| ## AUTOREN | |
| Lisa Schneider | |
| Sami Ziara | |
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