Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Satire kann zu weit gehen: Rassistische Gedankenspiele
> In einem satirischen Text entwirft ein taz-Autor das Szenario eines
> „Gaza-Erlebnisparks“. Dabei bedient er rassistische Klischees und rechte
> Narrative.
Bild: Darüber, was Satire darf, wird nicht zum ersten Mal gestritten
Um das voranzustellen: Ja, Satire darf vieles. Ihr enge Grenzen
aufzuerlegen, widerspricht ihrem Wesenskern. Und doch sollte sich linke
Satire immer wieder hinterfragen: Gegen wen richtet sie sich, welche
Narrative bedient sie? Wann ist sie machtkritisch und wann reproduziert sie
schlicht frauenfeindliche oder rassistische Klischees, wie es Blondinen-
oder Polenwitze tun? Letztes Wochenende ist [1][einem taz-Text] diese
Balance gründlich misslungen.
Die Grundidee: In der Lüneburger Heide eröffnet ein fiktiver
„Gaza-Erlebnispark“. Mitarbeiter in israelischen Militäroutfits
kontrollieren am Einlass der Kriegsgebietskulisse Taschen, bei per Sirene
angekündigten „Verpflegungsausgaben“ kommt es zu inszenierten Prügeleien
und bei Attraktionen wie „Hau die Fatima“ (angelehnt an „Hau den Lukas“)
können Besucher:innen mit faustgroßen Steinen auf Gummipuppen mit
Kopftuch werfen. Das Elternpaar Jassir und Annalena H. aus Hamburg wird
zitiert: Für sie sei der Besuch die „ideale Gelegenheit, um den
Antisemitismus ihrer Kinder zu fördern“.
Wer an dieser Stelle entsetzt aussteigt, dem mag versichert sein: Einem
Teil der taz-Redaktion ging es ähnlich.
Denn die Idee, fremde Lebensrealitäten in deutschen Parks zu inszenieren,
ist nicht neu. [2][Ausgehend von Hamburg verbreiteten sich die sogenannten
Völkerschauen] ab den 1870ern in ganz Europa. In diesen „Menschenzoos“
ließen die Veranstalter „Wilde“ aus Südwestafrika, aus dem Sudan und aus
Grönland [3][zur Bespaßung der Massen auftreten]. Fast sechzig Jahre lang
trugen sie zur Verbreitung eines rassistischen Überlegenheitsdenkens in
Deutschland bei.
## Kolonial-rassistisches Denken wird fortgesetzt
Im „Gaza-Erlebnispark“ scheint dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte
gänzlich vergessen. Munter dürfen sich hier deutsche Besucher:innen
beim Steinewerfen auf eine Gummipuppe mit Kopftuch („Hau die Fatima“)
vergnügen. Instrumentalisiert der Autor hier Gewaltfantasien gegen
migrantisierte Frauen, um der palästinasolidarischen Szene die
Unterstützung der islamistischen Hamas zu unterstellen? Unklar. Was bleibt,
ist ein Szenario, das nichtweiße Menschen zum Objekt der eigenen
Unterhaltung macht – und sich damit liest wie die Fortsetzung
kolonial-rassistischen Denkens.
Der Text knüpft auch an Narrative an, die in der Gegenwart existieren. Denn
die Vorstellung des „inszenierten“ Leids in Gaza ist keine Erfindung des
Autors, sondern [4][eine von der israelischen Regierung verbreitete
Erzählung]. Auf YouTube zeigt sie [5][Videos] von Supermärkten und
Konditoreien in Gaza als angeblichen Beleg dafür, dass die
„voreingenommenen Medien“ lügen würden.
Unabhängige Medien berichten seit langem über [6][katastrophalen Hunger in
Gaza]. Ein taz-Team vor Ort ist den Vorwürfen nachgegangen und hat die
Realität [7][beschrieben], in der es für einige wenige zu überteuerten
Preisen auch Schoko-Pfannkuchen geben mag – dies aber nichts daran ändert,
dass ein Großteil der Menschen hungert. Von Machtkritik ist in dieser
Satire, die der [8][Realitätsverzerrung der israelischen Regierung] in die
Karten spielt, wenig zu spüren.
## Narrativ des „importierten Antisemitismus“
Kommen wir zum Elternpaar Jassir und Annalena H., für das der Besuch des
„Gaza-Erlebnisparks“ Gelegenheit sei, „den Antisemitismus ihrer Kinder zu
fördern“. Dass die Kinder des fiktiven Arabers Jassir bereits vor Antritt
des Parkbesuchs antisemitisch denken, scheint hier Teil des Humors. Was
könnten arabische Kinder auch anderes sein als Antisemiten in
Kinderschuhen? Oder „kleine Paschas“, wie Friedrich Merz es ausdrücken
würde.
Das Klischee des „antisemitischen Arabers“ funktioniert dabei ähnlich wie
das [9][Stereotyp des „kriminellen Ausländers“]. Es reduziert eine Gruppe
auf ein ihnen zugeschriebenes Merkmal und lässt daneben wenig
Menschlichkeit zu. Die Kunstfigur Jassir und sein angeblich antisemitischer
Nachwuchs bedienen damit das von CDU bis AfD propagierte [10][Narrativ des
„importierten Antisemitismus“], der Antisemitismus in Deutschland vor allem
migrantischen Communities zuschiebt – und damit von dem in Deutschland zur
Genüge verankerten Antisemitismus und Rassismus ablenkt.
Die Presse- und Kunstfreiheit ist ein hohes Gut. Sie schützt auch diese
pietätlose und von rassistischen Klischees und rechten Narrativen gespickte
Satire, die erscheint, während die israelische Regierung in Gaza mutmaßlich
[11][einen Völkermord verübt]. Aber als linke Zeitung muss man sich fragen,
ob man diesen diskriminierenden Humor publizistisch verstärken will. Oder
ob man es einfach lässt.
28 Sep 2025
## LINKS
[1] /Die-Wahrheit/!6111170
[2] /Voelkerschauen-in-Hagenbecks-Tierpark/!5997025
[3] https://www.spiegel.de/geschichte/zoo-spektakel-im-kaiserreich-a-948152.html
[4] /Sprache-im-Gazakrieg/!6101683
[5] https://www.youtube.com/watch?v=3usAK5h33iM
[6] /Hungersnot-in-Gaza/!6106238
[7] /Humanitaere-Lage-in-Gaza/!6105475
[8] /Journalisten-in-Gaza/!6107213
[9] /Racial-Profiling-bei-der-Polizei/!5697146
[10] https://correctiv.org/faktencheck/hintergrund/2025/07/03/importierter-anti…
[11] https://www.nytimes.com/2025/07/15/opinion/israel-gaza-holocaust-genocide-…
## AUTOREN
Mitsuo Iwamoto
## TAGS
Reden wir darüber
talkshow
Nahost-Debatten
Antirassismus
Schwerpunkt Rassismus
Satire
Islamophobie
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
GNS
Kolumne Gaza-Tagebuch
Gaza
talkshow
Satire
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gaza-Tagebuch: Bis zum Einbruch der Nacht auf dem Bürgersteig
Die Offensive auf Gaza-Stadt beginnt, als unsere Autorin noch dort ist. Der
Versuch, schnell in den Süden des Gazastreifens zu fliehen, scheitert.
Die Wahrheit: Mit Gänsehaut auf die Geiselbahn
Im neuen Gaza-Erlebnispark wird Ausnahmezustand für Krisentouristen als
spannende Inszenierung erfahrbar.
Memes über Putin: Normalisieren Witze das Böse?
In einem „New York Magazine“- Artikel über Haarverlust wird Putin
abgebildet. Er ist oft Gegenstand von Memes. Lustig oder unangebracht?
Gerichtsentscheid über Satire: El Hotzo darf weiter schlechte Witze machen
Der Satiriker Sebastian Hotz hatte vor einem Jahr einen Witz über das
Attentat gegen Donald Trump gemacht. Ein Gericht entschied nun: Das war
erlaubt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.