| # taz.de -- Filmen in der Sauna: An seinem Handtuch lehnt ein Smartphone | |
| > Ein Mann filmt Frauen in der Sauna. Er wird erwischt und die Polizei | |
| > sichert die Videos. Warum stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlung | |
| > ein? | |
| Bild: In Saunen gilt in der Regel ein Handyverbot – Aufnahmen sind jedoch n… | |
| Als Rebecca P. den Brief der Staatsanwaltschaft Leipzig Ende August zum | |
| ersten Mal durchgeht, kann sie gar nicht glauben, was drin steht: | |
| Ermittlung eingestellt, weil kein hinreichender Tatverdacht besteht. Dabei | |
| gibt es doch keinen Zweifel. Ein Mann hat sie und ihre Freundin vor ein | |
| paar Wochen gegen ihren Willen gefilmt, als sie nackt in der Sauna waren. | |
| Es gibt Zeug:innen. Die Polizei hat das Handy mit weiteren Videos von | |
| nackten Frauen gesichert. Der Mann hat selbst zugegeben, dass er an diesem | |
| Samstag im Juli heimlich in der Sauna gefilmt hat. Doch eine Strafe dafür | |
| muss er nicht befürchten. | |
| P. liest den Einstellungsbescheid noch einmal. Sie versucht zu verstehen, | |
| ob das wirklich ernst gemeint ist, so erzählt sie es der taz später. Die | |
| Behörden ermittelten wegen einer möglichen Verletzung des | |
| höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen. Im Strafgesetzbuch | |
| regelt das der Paragraph 201a: Wer sich nackt in einem geschützten Raum | |
| befindet, darf nicht unbefugt gefilmt werden. Allerdings: Die Sauna der | |
| Wellnessoase zählt nicht. | |
| „Wie kann die Sauna kein geschützter Bereich sein?“, fragt sich P. mit | |
| Blick auf den Brief. Dann wird ihr bewusst: „Krass, es passiert einfach | |
| nichts!“ | |
| Rebecca P. und ihre Freundin sind beide Mitte zwanzig. Der Saunabesuch im | |
| Juli sollte einen ausgefallenen Urlaub kompensieren. Ruhe genießen, im | |
| Dampf entspannen. [1][Stattdessen kämpfen die beiden nun dafür], dass sich | |
| das Strafrecht in Deutschland ändert. | |
| ## Die Sorge, was mit den Aufnahmen passiert | |
| Es ist nicht selten, dass Männer heimlich Frauen filmen. Das bestätigen | |
| Anwält:innen und Betroffenenorganisationen der taz. Seit Langem gibt es | |
| Berichte darüber, genaue Daten und Studien hingegen kaum. Klar ist aber: | |
| Die Gefilmten kann es über Jahre belasten, wie verletzbar und machtlos sie | |
| sich in diesem Moment fühlen. Doch es hängt zurzeit von den Umständen ab, | |
| ob überhaupt Konsequenzen für die Filmenden folgen. | |
| In vielen Fällen ist es keine Straftat, andere heimlich mit der Kamera | |
| aufzunehmen. Zuletzt sorgte etwa der Fall von Yanni Gentsch für | |
| Aufmerksamkeit. Sie joggte im Februar durch Köln, als sie bemerkte, wie ein | |
| Mann ihren Hintern filmte. Sie wollte ihn anzeigen, konnte aber nicht: | |
| Gentsch trug eine Hose, das Filmen war deshalb nicht strafbar. | |
| In der Sauna an diesem Julinachmittag tragen P. und ihre Freundin gar | |
| nichts. Die textilfreie Wellnessoase, die sich die beiden ausgesucht haben, | |
| hat einen guten Ruf, der Name ist der taz bekannt. Aber heimlich filmen, | |
| das ist dort genauso wie auch in anderen öffentlichen Saunen keine | |
| Straftat. | |
| Die beiden Frauen erzählen den Tathergang so: Sie sind etwa eine halbe | |
| Stunde im Raum, als sich ein Mann direkt neben die auf einer Holzbank | |
| liegende Rebecca P. setzt. Ihr fällt das sofort unangenehm auf. | |
| „Normalerweise halten die Leute ein bisschen Abstand“, erklärt sie später | |
| der taz. Er hätte woanders sitzen können, in der Sauna wäre genug Platz. | |
| Doch als P. zu ihm blickt, um das anzusprechen, fällt ihr noch etwas | |
| anderes auf. An seinem Handtuch lehnt ein Smartphone. Dabei herrscht im | |
| Saunabereich Handyverbot. | |
| So wie das Smartphone neben ihr ausgerichtet ist, der Winkel, die | |
| Kameralinse, ist P. sofort klar: Der filmt mich. | |
| Meist seien es Männer, die ungefragt nackte Frauen filmen, berichtet Sandra | |
| Boger vom [2][Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe] | |
| (bff), dem deutschlandweit 227 Stellen angehören. Sie ist dort seit zehn | |
| Jahren Referentin für digitale Gewalt. „Solche Fälle werden immer wieder an | |
| uns herangetragen.“ Häufig geschehe das innerhalb von oder nach | |
| Beziehungen. Es gebe aber auch Fälle in Umkleidekabinen, [3][Toiletten auf | |
| Festivals] oder wie bei P. in der Sauna. | |
| Schon das Filmen selbst sei für Betroffene übergriffig, erklärt | |
| Diplom-Psychologin Boger. Hinzu kämen die Sorgen, was alles mit den | |
| Aufnahmen passieren kann. Anders als das Filmen ist die Verbreitung solcher | |
| Fotos und Videos strafbar. Aber: „Was einmal im Internet ist, ist für immer | |
| im Internet“, sagt Boger. Häme, Drohungen – die Betroffenen könnten sich | |
| „der Gewalt kaum entziehen, weil digitale Geräte und Medien unser ganzes | |
| Leben durchdringen“. Ob und wann die Nacktaufnahmen wieder auftauchen? | |
| Ungewiss. „Es gibt keinen Rückzugsort mehr. Das ist zermürbend.“ | |
| In der Sauna habe Rebecca P. den Mann ohne nachzudenken direkt | |
| konfrontiert, erzählt sie Wochen später. „Er hat es abgestritten, uns | |
| unterstellt, wir würden uns was ausdenken. Da sei gar kein Handy. Dabei hat | |
| er währenddessen damit in der Luft herumgefuchtelt.“ Ihre Freundin ergänzt: | |
| „Er hat versucht, das Handy irgendwie in sein Handtuch einzuwickeln.“ | |
| P. habe schnell einen Saunamitarbeiter dazu geholt. Sie habe verhindern | |
| wollen, dass der Mann die Videos und damit Beweise löscht, „weil wir | |
| angenommen haben, dass es eine Straftat ist, nackte Menschen heimlich zu | |
| filmen“, sagt P. Doch der Saunamitarbeiter und etwas später auch einer der | |
| beiden Geschäftsführer hätten sie nur zögerlich unterstützt. Er sei ein | |
| Stammgast, habe es geheißen, er sei mit Vornamen angesprochen worden. „Hier | |
| passiert nichts“, habe P. gedacht und dann die Polizei gerufen. | |
| ## Zeugin berichtet von sexueller Belästigung | |
| Die Geschäftsführung der Sauna erklärt auf Anfrage der taz: „Das Verhalten | |
| des Mannes verurteilen wir aufs Schärfste.“ Hätten nicht die beiden Frauen | |
| die Polizei gerufen, hätte die Sauna das übernommen. Es sei das erste Mal, | |
| dass so gegen das Handyverbot in der Sauna verstoßen wurde. Es stimme | |
| allerdings nicht, dass der Mann ein Stammgast sei. Außerdem habe er nun | |
| „lebenslänglich Hausverbot“. Das Handyverbot in der Sauna sei verschärft | |
| worden. | |
| Während sie auf die Beamten warteten, habe P.s Freundin immer wieder | |
| verlangt, der Mann solle sein Handy entsperren und beweisen, dass da keine | |
| Videos von ihnen drauf seien. Er habe weiterhin alles abgestritten. | |
| Mittlerweile standen sie im Foyer der Wellnessoase. Die beiden Freundinnen | |
| hatten sich nur Handtücher übergeworfen. | |
| Etwas später meldet sich in der Umkleide eine Zeugin bei ihnen. Sie habe | |
| die Diskussion mitbekommen. Den Mann kenne sie. Schon bei ihrem letzten | |
| Besuch der Sauna im März habe er sie sexuell belästigt. Er sei ihr und | |
| ihrer Mitbewohnerin bis unter die Dusche gefolgt. So schildern die Zeugin | |
| und ihre Mitbewohnerin es auch im Gespräch mit der taz. Doch als sie sich | |
| bei der Sauna über ihn beschweren, hören sie nur, es stehe Aussage gegen | |
| Aussage und er sei ein Stammgast. | |
| Gegenüber der taz äußert sich die Geschäftsführung der Sauna nicht zu jenem | |
| Vorfall. Sie räumt aber ein, es habe im Juni einen weiteren Vorfall mit | |
| demselben Mann gegeben. Ein Mitarbeiter sei sofort eingeschritten. | |
| Als sie im Foyer stand, forderte Rebecca P. ein weiteres Mal, der Mann | |
| solle beweisen, „dass da nichts ist“. Da lenkte der ganz plötzlich ein. | |
| Warum auch immer öffnete er seine Videogalerie und zeigte sie den Frauen | |
| sowie dem anwesenden Geschäftsführer der Sauna. Die Bilder waren laut P. | |
| und ihrer Freundin eindeutig: nackte Menschen in der Sauna, teilweise von | |
| hinten gefilmt. Sich selbst hätten sie nicht gesehen, aber andere Frauen, | |
| die offenbar unbemerkt gefilmt worden seien. Der Geschäftsführer nahm das | |
| Handy an sich, dann traf die Polizei ein. Die Geschäftsführung der Sauna | |
| widerspricht dieser Darstellung. „Wir hatten keinen Einblick auf das Handy | |
| des Mannes“, heißt es gegenüber der taz. | |
| Laut Staatsanwaltschaft gab der Beschuldigte den Beamten gegenüber | |
| ebenfalls zu, gefilmt zu haben. Sie beschlagnahmten sein Smartphone und | |
| leiteten Ermittlungen ein. Die juristische Grundlage: Paragraph 201a, | |
| Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs – so wie es später im | |
| Brief an Rebecca P. steht, als die Ermittlungen nach einem Monat wieder | |
| eingestellt wurden. Das Verhalten sei, „auch wenn es zu missbilligen ist – | |
| nicht strafbar gewesen“, erklärt die Staatsanwaltschaft der taz. | |
| Aber stimmt das wirklich, oder hat die Staatsanwaltschaft einen Fehler | |
| gemacht? Die Anwältin Valeska Knarr vom Verein Nebenklage sagt, beim | |
| Paragraphen 201a hänge es davon ab, wie der „gegen Einblick besonders | |
| geschützte Raum“ ausgelegt werde. Bislang sei die Rechtsprechung dabei | |
| „restriktiv“ gewesen, sagt Knarr. | |
| ## Sauna gilt juristisch nicht als geschützter Raum | |
| „Es ist relativ klar, dass Toiletten dazugehören“, erklärt die Berliner | |
| Anwältin. Vier Wände, nur geschaffen, um die Blicke anderer auszuschließen. | |
| Und eine Sauna, die alle betreten können, die Eintritt bezahlen? Die zähle | |
| in der juristischen Auslegung nicht dazu. „Auch wenn wir allgemein sagen | |
| würden, dass wir da nicht fotografiert werden wollen“, sagt Knarr. | |
| „Letztlich kommt man da mit der aktuellen Gesetzeslage nicht ran.“ Die | |
| Anwältin hält das für eine Gesetzeslücke. | |
| Weil kein Tatverdacht mehr vorlag, hatte die Staatsanwaltschaft keine | |
| Rechtsgrundlage, um Daten des Handys auszuwerten oder Videos zu löschen. | |
| „Konkrete Anhaltspunkte“, dass der Beschuldigte etwas veröffentlicht habe, | |
| gebe es auch keine, sagt die Staatsanwaltschaft. Der Mann hat sein Handy | |
| inzwischen zurück. | |
| Für P.s Freundin unverständlich. Sie erzählt, in den Tagen nach dem | |
| Saunavorfall habe sie Sorge gehabt, dass der Täter ihren Namen gehört habe. | |
| Sie sei auf Umwegen von der Arbeit nach Hause gegangen. „Dieses Wissen, | |
| dass das wieder passieren kann, ohne Konsequenzen, das ist scheiße.“ | |
| [4][Die Joggerin Yanni Gentsch hat im August eine Petition mit 125.000 | |
| Unterschriften eingereicht], um das Strafrecht zu reformieren und heimliche | |
| Aufnahmen mit sexueller Absicht gänzlich zu verbieten. Rebecca P. und ihre | |
| Freundin planen aktuell ebenfalls eine Petition. „Es braucht eine | |
| Rechtsgrundlage, damit sich Frauen in solchen Situationen wehren können“, | |
| sagt P. Doch bis sich das Strafrecht ändert, dürfte es dauern. Solange | |
| sollten Mitarbeiter:innen von Saunen sensibilisiert werden, fordern | |
| die Frauen. | |
| Vertreiben lassen wollen sie sich nicht. „Ich will wieder in eine | |
| öffentliche Sauna gehen“, sagt P.s Freundin. Und P. bekräftigt: „Machen w… | |
| auch“. | |
| 4 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| David Muschenich | |
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