# taz.de -- ARD-Doku über Autos und Deutschland: Das Monster, ein Horrorfilm | |
> In „Kraftfahrzeug – Eine deutsche Liebe“ kontrastiert Jan Tenhaven die | |
> Emotionalitäten von Autofans und Kritiker:innen. Etwas Hoffnung gibt es | |
> auch. | |
Bild: Im Studio von Fotograf René Staud wird ein aktuelles Porsche-Modell für… | |
Es gibt Filme, die sind ab der ersten Minute zum Gruseln. Die ARD-Doku | |
„Kraftfahrzeug – Eine deutsche Liebe“ ist sicherlich nicht als Horrorfilm | |
gedacht. Doch sie zeigt eine Republik im Wahn. Genauer gesagt: die | |
Autorepublik Deutschland. | |
Da schwärmt der Autofotograf René Staud von der Schönheit der Fahrzeuge, | |
die er in aller Perfektion inszenieren darf. „Das Auto ist an sich eine | |
große Persönlichkeit, es hat eine große Seele“, behauptet der | |
Hochglanzgestalter genau dieses Bildes. | |
Da spricht der Vertriebsvorstand von VW über die Rolle des „Autos als | |
Familienmitglied“. | |
Da kommen Klangdesigner zu Wort, die den Sound von Elektroautos aus | |
Akkorden von [1][Gustav Mahler] so entwickeln, dass sich der Mensch am | |
Steuer nicht nur als Fahrer, sondern „als Komponist“ fühlen könne. Sie | |
schwärmen von der „Leidenschaft, die wir mit dem Fahrzeug projizieren.“ | |
## Nicht ohne Röhren | |
Da werden Menschen gezeigt, in erster Linie Männer, die bei einem Autosalon | |
um ein neues Modell schwärmen. Und Käufer:innen, die in Wolfsburg zum neuen | |
Auto die Nacht im Ritz Carlton und die Volkswagen-Currywurst serviert | |
bekommen. | |
Natürlich darf Ulf Poschardt nicht fehlen. Der Journalist, mittlerweile | |
Herausgeber von Welt und Co., gibt [2][zum wiederholten Mal] den Mensch | |
gewordenen Porsche, der von röhrenden Sportwagen als Kulturgut schwärmt. | |
„Das Tempolimit ist wie die Steuererhöhung. Das ist der Freiheitsneid. Das | |
ist Hass auf Menschen, die dich überholen“, sagt Poschardt. Nur um gleich | |
darauf über „die Clowns“ zu schimpfen, die angeblich alle anderen | |
entschleunigen wollen. „Scheiße, Scheiße, Scheiße!“, ruft der | |
Ferrari-Fahrer an einer Stelle gleich mehrfach. Man möchte ihm aus vollem | |
Herzen zustimmen. Aber er flucht nur über seinen italienischen Sportwagen, | |
der bei der Fahrt auf der Autobahn nicht so spurten will, wie sein | |
Herrchen. | |
Die knapp erste halbe Stunde der Doku ist schlichtweg unerträglich. Es geht | |
ausschließlich um Kult, Inszenierung, Emotion, Freiheit, Tempo. Dass das | |
Auto mal erfunden wurde, um von A nach B zu kommen, spielt kaum eine Rolle. | |
Nur wer dieses Konzentrat der Automanie durchhält, bekommt auch kritische | |
Stimmen zu hören, die nach und nach das Bild bestimmen. | |
Stefan Gössling, Professor für Verkehrswissenschaften, spricht vom Tanz ums | |
goldene Kalb. Die Mobilitätskritikerin Katja Diehl erinnert an die im | |
Schnitt täglich 8 Verkehrstoten [3][und tausenden Verletzten in | |
Deutschland]. Die Künstlerin Folke Köbberling erklärt, [4][warum sie in | |
München einen SUV aus Lehm verwittern lies]. | |
## Ein Raubtier | |
Der Filmemacher Jan Tenhaven selbst verzichtet nahezu vollständig auf einen | |
gesprochenen Kommentar. Nur an wenigen Stellen lässt er „das Auto“ mit | |
dräuenden Worten selber philosophieren – was ein wenig gaga wirkt. Aber so | |
oft, wie in dieser Doku dem Blechgefährt eine Seele zugesprochen wird, ist | |
das nur konsequent. | |
Die Stärke des Films aber liegt in der kontrastreichen Konfrontation | |
verschiedener Stimmen. Da beschreibt zum Beispiel der | |
Verkehrswissenschaftler Gössling, dass die Scheinwerfer der Autos anders | |
als früher nicht mehr rund, sondern schmal sind. Als er seine 12-jährige | |
Tochter gefragt habe, woran sie das erinnere, habe sie ohne Zögern gesagt: | |
„Ein Monster“. | |
„Es ist nicht verkehrt, wenn man an ein Raubtier erinnert wird“, bestätigt | |
gleich darauf der Chefdesigner der BMW-Gruppe Adrian van Hooydonk. „Und | |
wenn sie dann Platz machen, auch nicht verkehrt“, ergänzt er mit einem | |
Lächeln. Denn das fänden BMW-Kunden bestimmt gut. | |
An anderer Stelle darf sich Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der | |
Automobilindustrie, darüber echauffieren, dass SUV von Kritiker:innen | |
„Stadtpanzer“ genannt würden. Das sei ein unangemessener Begriff in einer | |
Debatte, „die wir sachlich führen müssen“, sagt Müller. Und gleich danach | |
schildert ein Unfallsanitäter die Gefahren für Fußgänger:innen durch | |
SUV. | |
## „Kulturgut“ über die Autobahn jagen | |
Wenig später schneidet Tenhaven Fotos von Unfällen hintereinander. Särge, | |
die in einen Leichenwagen gehoben werden. Vollkommen zerfetzte Karosserien. | |
Ein zerbeultes Fahrrad. Rettungssanitäter. Leichensäcke. Es ist die | |
bildgewaltigste Sequenz des Films. | |
Und die Hoffnung? Die setzt Jan Tenhaven an den Schluss seines Films. Da | |
werden [5][die wunderbaren Filmschnipsel des Digitalkünstlers Jan Kamensky] | |
gezeigt, in denen erst Autos, Ampeln, Verkehrsschilder wegfliegen, um dann | |
Platz für Pflanzen, Straßenbahnen und Menschen zu machen. „Ich bin kein | |
Stadtplaner, ich bin Utopist“, sagt Kamensky dazu. | |
Überraschender aber noch sind die Statements der Autonarren. Selbst ein Ulf | |
Poschardt fordert am Ende eine Verkehrswende, den Bau von Radwegen und eine | |
S-Bahn im Ferrari-Stil – wenn er denn weiterhin sein CO2-schleuderndes | |
„Kulturgut“ über die Autobahn jagen darf. Und der Chefdesigner von BMW | |
orakelt, dass Innenstädte bald möglicherweise autofrei sein könnten – ganz | |
so wie in Kamenskys Utopien. | |
Das Schlussswort aber überlässt Tenhaven dem Auto. Es werde bleiben, sagt | |
es. | |
11 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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